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Rückkehr in die Trostlosigkeit

Bosnische Musliminnen beten beim Gedenk-Friedhof ausserhalb Srebrenicas für ihre Angehörigen. Keystone

Nur zögernd findet die Rückkehr muslimischer Menschen nach Srebrenica statt. Srebrenica steht für das Massaker an gegen 8000 Muslimen.

Besuch bei einem zurückgekehrten Ehepaar, das acht Jahre im Exil in der Schweiz gelebt hatte.

Traurige Bekanntheit erreicht hatte die damalige UNO-Schutzzone Srebrenica im Sommer 1995.

Bosnische Serben-Verbände hatten am 11. Juli die dort stationierten UNO-Soldaten überrannt und beim darauf folgenden Massaker gegen 8000 muslimische Männer und Jugendliche getötet. Mehrere Zehntausend Frauen und Kinder wurden aus der Gegend vertrieben.

Das Massaker von Srebrenica gilt als das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Der damalige Armeechef und der damalige politische Führer der bosnischen Serben, General Ratko Mladic und Radovan Karadzic, entziehen sich immer noch der internationalen Gerichtsbarkeit des UNO-Tribunals in Den Haag.

Acht Jahre in der Schweiz

Zu den Menschen, die es mittlerweile gewagt haben, in ihr Dorf in der Nähe von Srebrenica zurückzukehren, gehört das Ehepaar Fatima und Salko Mehmedovic. Sie hatten acht Jahre als Flüchtlinge in der Schweiz gelebt.

Das Tal von Srebrenica ist schmal. Kleine Maisfelder, Gemüsegärten und Weiden wechseln mit unkultiviertem Land ab, neu errichtete Häuser stehen neben Ruinen, aus denen Bäume wachsen.

Wenige Kilometer vor Srebrenica biegen wir von der Hauptstrasse in ein Natursträsschen ein, das steil den Hang hinauf führt. Eine Viertelstunde später stehen wir vor dem unverputzten Haus von Fatima und Salko Mehmedovic, die uns freundlich in ihre Wohnstube mit der offenen Küche bitten.

Schreckliche Erinnerungen bleiben

Die hügelige und bewaldete Umgebung ist wunderschön, wären da nicht die schrecklichen Erinnerungen der Mehmedovics. «Zwei Grosskinder sind vor unserem Haus bei einem Granateneinschlag ums Leben gekommen,» erzählt die Frau und versucht die Tränen zu unterdrücken.

Auch einen Sohn und zwei Schwiegersöhne verlor sie im Krieg. Die zwei überlebenden Söhne wurden beide schwer verletzt und leiden noch heute an den Folgen. Einer lebt in der Deutschschweiz, der andere in Dänemark.

Sie selbst waren 1992 zuerst in die muslimische Enklave Srebrenica geflüchtet und gehörten im Juli 1995, nach der Eroberung der Stadt durch die bosnisch-serbischen Truppen, zu den Zehntausenden von Vertriebenen. 1996 kamen sie in die Schweiz und fanden vorläufige Aufnahme in Yverdon, wo der Bruder von Fatima seit über zwanzig Jahren lebte.

Rückkehr-Hilfe aus der Schweiz

Im August letzten Jahres kehrten die Mehmedovics in ihr zerstörtes Dorf zurück. Dank dem Unterstützungs-Programm des Bundesamtes für Migration für freiwillige Rückkehrer erhielten sie eine Starthilfe von 4000 Franken und Caritas half ihnen, das Haus wieder aufzubauen.

Jetzt leben sie von einer monatlichen Rente von 80 Euro, die Salko Mehmedovic als ehemaliger Bauarbeiter erhält. Sie sind mit dem Nötigsten ausgestattet: Kochherd, Holzofen, ein Sofa, ein Tischchen und ein Fernseher stehen vor den kahlen Wänden.

Fatima sitzt am Boden und fährt mit einer Art Tischroller über den Teppich. «Ich habe keinen Staubsauger und keine Waschmaschine», kommentiert sie lächelnd.

Das Haus liegt weit ab von jeglicher Einkaufsmöglichkeit. Vor dem Krieg besass Salko einen kleinen Landwirtschafts-Transporter, jetzt haben sie kein Fahrzeug mehr. «Ohne die jüngste Tochter, die in der Nähe von Tuzla wohnt, könnten wir nicht überleben,» seufzt die 68jährige Fatima.

Nicht in der Fremde sterben

Immer wieder hält sie die Hände vor den Magen und kneift die tief blauen Augen vor Schmerz zusammen. Sie sei krank, erklärt sie, deshalb sei es ihr Wunsch gewesen, zurückzukehren, in die Nähe der jüngeren Tochter.

«Ich wollte nicht im Ausland sterben», fügt sie hinzu. «Mir hat es in der Schweiz gefallen,» meint dagegen ihr Mann, «aber wir hätten sowieso irgend einmal ausreisen müssen».

In dem Weiler hätten vor dem Krieg zwanzig Familien gelebt, fährt er fort. «Jetzt sind es nur noch zehn Familien und fast nur alte Leute. Im Krieg gab es in den zwanzig Familien 47 Tote.»

Er würde niemandem raten, hier her zurückzukehren, antwortet Salko Mehmedovic auf die Frage, ob die Vertriebenen zurückkehren sollten.

«Es gibt keine Arbeit, keine Perspektive für die Menschen hier. Die wenigen Arbeitsplätze im Bauxit-Minenbetrieb sind längst besetzt und sonst gibt es nichts ausser etwas Landwirtschaft.»

Keine Angst mehr – aber Erinnerungen bleiben

Ganz in der Nähe des Weilers liegt ein von Serben bewohntes Dorf. «Es ist so nahe, dass manchmal die Hühner bis zu unserem Haus kommen», lacht Fatima.

Ob sie keine Angst hätten vor Serben, fragen wir. «Nein, jetzt benehmen sie sich wieder normal» meint Salko Mehmedovic. «Seit dem Zweiten Weltkrieg bis zu diesem Krieg hatten wir nie Probleme mit ihnen.»

Etwas später zeigt er unvermittelt zum Fenster: «Von diesem Hügel gegenüber warfen die Serben ihre Granaten. Sie riefen meinen Namen und schrien, ‹hier, trink damit Kaffee!› Jetzt behaupten die serbischen Nachbarn, sie wüssten von nichts!»

Infosüd, Elisabeth Kaestli

Auf Initiative der Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey haben 25 eidgenössische Parlamentarierinnen vor einem Jahr eine Patenschaft für die Frauenorganisation «Vive Zene» in Tuzla (Bosnien-Herzegowina) übernommen.

«Vive Zene» betreut traumatisierte und gewaltbetroffene Frauen und Kinder, zu einem grossen Teil Vertriebene aus Srebrenica. Finanziert wird «Vive Zene» unter anderem von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und von IAMANEH Schweiz.

Vom 5.-9. Juli haben neun der Patenschafts-Parlamentarierinnen «Vive Zene» besucht, um sich zehn Jahre nach dem Massaker von Srebrenica ein Bild der Situation zu machen.

Im Rahmen dieser Reise besuchte ein Teil der Gruppe in der Nähe von Srebrenica auch ein bosnisches Ehepaar, das als Flüchtlinge in der Schweiz gelebt hatte.

In den 1990er-Jahren zerfiel das damalige Jugoslawien in blutigen Konflikten in Teilrepubliken. Der Bosnien-Krieg dauerte von 1992 bis 1995; noch heute sind zur Stabilisierung der Lage internationale Truppen in dem Land; an dem Einsatz unter Leitung der EU beteiligt sich auch die Schweiz.

Die Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien kosteten rund 350’000 Menschen das Leben, ungefähr 3,5 Mio. wurden vertrieben. Aus Bosnien-Herzegowina allein fanden rund 10’000 Menschen Zuflucht in der Schweiz.

In allen Konflikten kam es zu ethnischen Säuberungen; das Massaker von Srebrenica ist darunter die schlimmste Gräueltat.

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