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Shell soll sich nicht mit Nigerias Öl beschmutzen

Laut Amnesty International sind mehr als 2000 Regionen im Niger-Delta verschmutzt. Keystone

Anstatt vom schwarzen Gold profitieren zu können, leidet die Bevölkerung Nigerias unter der Umweltverschmutzung durch die Erdölförderung. Die Schweizer Sektion von Amnesty International unterstützt eine Kampagne, welche die Reinigung der verschmutzten Regionen verlangt.

Laut Amnesty International (AI) sind rund 2000 Regionen in Nigeria wegen der Erdölförderung verschmutzt. Darunter zu leiden habe die lokale Bevölkerung, vielerorts sei das Trinkwasser verunreinigt, sagt Danièle Gosteli von der Schweizer Sektion von Amnesty International im Gespräch mit swissinfo.ch.

Im Kanton Bern hat AI Schweiz kürzlich vor einer Shell-Tankstelle eine Protestaktion durchgeführt. Ab 1. Juli wird nämlich mit Peter Voser ein Schweizer die Zügel des britisch-niederländischen Erdöl-Giganten Shell führen.

Shell ist im Niger-Delta der wichtigste Erdölförderer. Als neuer CEO übernimmt Peter Voser auch das Erbe des Erdölkonzerns in Nigeria. AI hat ihn in einem offenen Brief aufgerufen, den Aufräumarbeiten im Niger-Delta oberste Priorität einzuräumen.

swissinfo.ch: 1995 wurden der nigerianische Schriftsteller Ken Saro-Wiwa und acht andere Aktivisten vom Abacha-Regime gehängt, weil sie Widerstand leisteten gegen die Praktiken von Shell. Hat sich die Menschenrechts-Situation inzwischen verbessert?

Danièle Gosteli: Nach der Hinrichtung von Ken Saro-Wiwa war Shell eine der ersten internationalen Unternehmungen, die bereit waren, mit Organisationen wie AI oder Pax Christi über einen Verhaltenskodex in Menschenrechtsfragen zu diskutieren.

Shell hat auch die wichtigsten freiwilligen Initiativen unterzeichnet, die von den Industrie-Firmen lanciert wurden, um die Einhaltung der Menschenrechte zu verbessern.

Leider gibt es noch eine grosse Kluft zwischen Praxis und Theorie.

swissinfo.ch: Wollen Sie damit sagen, dass der Verhaltenskodex, den sich Shell auferlegt hat, nur tote Buchstaben sind?

D.G.: Shell würde darauf hinweisen, dass der Konzern Entwicklungsprojekte unterstützt und einen Fonds für spezielle Projekte unterhalte. Natürlich sind diese Initiativen lobenswert.

Aber wichtiger wäre, dass Shell zuerst vor der eigenen Haustür kehrt, dass zuverlässige Studien gemacht würden, um die Auswirkungen der Erdölindustrie auf die Umwelt und die Rechte der betroffenen Bevölkerung zu kennen.

Shell ist seit 1960 im Niger-Delta tätig. Aber nach fast 50 Jahren ist immer noch nichts geschehen. Das Ökosystem dieser Region ist sehr empfindlich. Heute fangen die Fischer Meerestiere, die nach Petrol riechen. Kinder, die in den öligen Tümpeln spielen, haben Hautprobleme. Und es gibt spezielle Gase, die Atemerkrankungen verursachen.

swissinfo.ch: Geht es nur um die Firma Shell? Der Bericht von AI deutet an, dass die Aktionen und Reaktionen der Bevölkerung ein Teil des Problems ausmachen.

D.G.: Der Bericht beschränkt sich bewusst nur auf einen Aspekt des Problems, nämlich der Erdölförderung. Klar ist die Situation sehr komplex und sind verschiedene Akteure beteiligt. Nigeria ist auch oft Sabotage-Akten ausgesetzt.

Ein Stück weit sind diese Akte auch das Werk einer frustrierten lokalen Bevölkerung, die sich rächt oder Petrol an den Erdölleitungen abzapft.

Aber es gibt auch die MEND (eine Bewegung für die Emanzipation des Niger- Deltas, A.d.R.), die tatsächlich immer militanter wird und Installationen oder sogar Mitarbeiter der Erdölindustrie angreift.

Shell wird uns vorwerfen, dass wir nur von der Verantwortung der Erdölindustrie sprechen, ohne die Attacken rebellischer Gruppen zu erwähnen. In Wirklichkeit muss man dies alles in einen Kontext stellen.

Seit rund 50 Jahren hat die Erdölförderung in Nigeria mehr als 600 Mrd. Dollar eingebracht, von denen die lokale Bevölkerung nichts bekommen hat. Die Ausbeutung des schwarzen Goldes ist wahrhaftig ein Unding.

swissinfo.ch: Damit wären wir wieder beim ewigen Problem der Regierungsfähigkeit Afrikas angelangt?

D.G.: Für die Instandstellung der Leitungen und die erlittenen Unrechte können die Erdölfirmen verantwortlich gemacht werden, aber die Regierung muss die Einhaltung der Menschenrechte garantieren können.

Natürlich hat Nigeria Umweltschutzgesetze, aber die lokale Bevölkerung hat kaum Zugang zu den Informationen über verunreinigte oder gereinigte Gebiete oder über Projekte, die entwickelt werden.

Einerseits muss man tatsächlich den Korruptionsproblemen Rechnung tragen, aber andererseits wird sich die nigerianische Regierung auch bewusst, dass die Lage unerträglich wird und Leitplanken nötig sind.

Die nigerianische Regierung ist nicht die einzige, die wir ins Visier nehmen. Wir appellieren auch an die EU und an Grossbritannien sowie die Niederlande, wo Shell ihren Sitz hat, präzise Richtlinien zu erstellen, um die Aktivitäten zu kontrollieren.

Diese Regierungen stehen auch in der Verantwortung: Sie sollen dafür sorgen, dass sich ihre Unternehmungen in Drittländern keiner Menschenrechtsverletzungen schuldig machen.

Carole Wälti, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

Nigeria ist mit rund 150 Mio. Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Afrikas.

Es gehört zu den 15 wichtigsten Erdölförderstaaten.

Das Niger-Delta gleicht heute einem Kriegsgebiet. Bewaffnete Banden nehmen alle paar Wochen ausländische Ölarbeiter als Geiseln, verüben auch ökologisch verheerende Anschläge auf Pumpstationen oder nehmen Tanker in Gewahrsam.

Das Militär versucht mit eiserner Faust durchzugreifen und richtet nur noch grösseren Schaden an.

Monat für Monat vermögen die Mineralölkonzerne weniger Erdöl aus dem Delta zu fördern.

Präsident Umaru Yar’Adua wurde im Mai 2007 durch eine Volkswahl gewählt, aber internationale Beobachter haben massive Wahlfälschungen bemängelt.

Die im Niger-Delta lebende Ijaw-Ethnie beschuldigt die Regierung, die Umweltverschmutzung durch die Erdölindustrie stillschweigend hinzunehmen.

Shell ist seit 1960 im Niger-Delta tätig. Der Erdölmulti wurde der Komplizenschaft mit dem Abacha-Regime beschuldigt.

Das Regime liess 1995 den Schriftsteller und Ökologen Ken Saro-Wiwa und 8 weitere Aktivisten hinrichten.

Mitte Juni hat sich Shell einverstanden erklärt, 15,5 Mio. Dollar zur Beilegung des Streits vor einem US-Gericht zu bezahlen.

Aktuell: Die Schweiz hat im Juni die Initiative für “Transparenz in der Rohstoff verarbeitenden Industrie” (EITI) unterzeichnet.

Beginn: EITI wurde 2007 als Informations-Plattform gegründet, bei der Staaten, private Unternehmen, Vertreter der Zivilgesellschaft, Investoren und internationale Organisationen beteiligt sind.

Ziel: Eine bessere Verteilung der Einkommen aus der Erdöl- und Rohstoffproduktion in den Produzentenländern.

Mittel: Die Schweiz beteiligt sich mit rund 1,8 Mio. Dollar pro Jahr am Sekretariat von EITI und der Weltbank.

Bilanz: Bis heute hat einzig Aserbaidschan die Standards erfüllt. Rund 30 weitere Länder, darunter Nigeria, wollen sich für die Einhaltung der Standards engagieren.

Erinnerung: Die Schweiz beheimatet zahlreiche Banken, welche die Erdöl- und Rohstoffindustrie finanzieren und mit ihr Geschäfte machen.

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