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Tessin: Illegale Prostitution bleibt ein Problem

Der illegalen Prostitution beizukommen ist nicht einfach. Keystone

Seit 1.Januar ist die Prostitution im Tessin gesetzlich geregelt. Doch das Gesetz bietet keine Instrumente gegen die illegale Prostitution.

«Jede Person, die der Prostitution nachgeht oder dies beabsichtigt, muss sich bei der Kantonspolizei melden», heisst es im Artikel 5 des neuen Gesetzes. Gerade mal zwei Frauen haben seit Jahresbeginn von dieser Vorschrift Gebrauch gemacht. Zwei Schweizerinnen.

Die registrierten Frauen erhalten von der Polizei eine Liste mit Arztadressen. Dort können sie sich gratis untersuchen lassen. Aber: Würde sich eine Ausländerin bei der Polizei melden, müsste sie mit einer sofortigen Ausweisung rechnen. Es sei denn, sie hätte eine Arbeitserlaubnis.

Doch eine solche Erlaubnis hat keine der rund 600 ausländischen Sexarbeiterinnen im Tessin. Die vom Kanton gewünschten Kontingente für ausländische Liebesdienerinnen sind noch Zukunftsmusik.

Die Tänzerinnen in Nachtklubs haben zwar Sonderbewilligungen, doch diese gelten nicht für den «Nebenerwerb». Die Frauen reisen, vermittelt über dubiose Agenturen, mit einem Touristenvisum für drei Monate ein, um in dieser Zeit möglichst viel Geld zu verdienen.

Steuerfrei, da illegal

Bis 30’000 Franken nehmen sie monatlich ein, wie eine Erhebung der Kantonspolizei ergab. Ihre Herkunft: Vorab Brasilien und Osteuropa, neuerdings auch Thailand und Surinam. Sie arbeiten in bordellähnlichen Bars und Hotels; seit die Polizei die Schlinge enger gezogen hat,vermehrt auch in privaten Appartements.

Die Polizei musste handeln, nachdem in der Bevölkerung der Unmut stark zugenommen hatte. Einige Tessiner Geschäftsleute hatten erkannt, welch ertragreiches Business diese Branche darstellt. Mieten von 2000 Franken pro Monat für schäbige Mini-Studios sind in dieser Branche keine Seltenheit.

Kunden aus Italien und Lega-Politiker

Dass es im Tessin soweit gekommen ist, hat vor allem mit der italienischen Doppelmoral zu tun: In Italien gibt es gekauften Sex fast nur auf der Strasse, weil Bordelle wegen der Kirche verboten sind, in der Schweiz diskret im komfortablen Apartment. Eine Erhebung Anfang des Jahres 2000 kam auf fast 1000 Sexarbeiterinnen im Tessin. Die Kundschaft besteht vor allem aus Italienern.

Doch im Umfeld gediehen Kriminalität und Drogendelikte. Der Autoverkehr der Freier störte die Nachtruhe. Die Anwohner protestierten – in Lugano-Loreto ging ein ganzes Quartier auf die Strasse. Just in Loretos Hotel Gabbiano, das Lega-Nationalrat Giuliano Bignasca gehört, kam es im Frühjahr 2000 zu einem grausamen Mord an einer Brasilianerin. Die Behörden mussten handeln.

Seither sind im Kanton 23 Lokale geschlossen worden; etliche Wohnungen wurden geräumt, 85 Personen vorübergehend verhaftet. Die Zahl der Prostituierten hat sich fast halbiert. Allerdings hat ein Dutzend der Etablissements wieder geöffnet.

Gesetz gegen Missbrauch

Mit dem revidierten, ebenfalls auf Anfang Jahr in Kraft getretenen Wirtegesetz haben Kanton und Gemeinden allerdings stärkere Instrumente in der Hand, um dem Missbrauch von öffentlichen Lokalen als Bordelle entgegenzutreten. Happige Bussen winken.

Die Gemeinden können die Öffnungszeiten von Bars stark einschränken. Die Polizeistunde lässt sich etwa auf 22 Uhr vorverlegen.

Auch für die Vermietung von Zimmern gelten neue Regeln. Kurzfristige Vermietung an mehr als zwei Personen, die nicht miteinander verwandt sind, müssen gemeldet werden. Der Rücklauf eines behördlichen Rundschreibens an knapp 3000 Vermieter im Kanton war bisher aber mager: Nur drei Gesuche gingen ein.

Prostitution ist in der Schweiz legal und untersteht somit der Gewerbefreiheit, doch das neue Prostitutions-Gesetz räumt den Tessiner Gemeinden ein, die Ausübung dieses Berufs an Orten zu verbieten, wo sie Ruhe, Sicherheit und öffentliche Moral tangiert – allerdings nur an öffentlichen Orten.

Den Gemeinden sind die Hände gebunden, wenn die Prostitution in privaten Räumlichkeiten erfolgt. «Will eine Gemeinde generell prostitutionsfreie Gebiete, muss sie dies in ihrem Zonenplan festlegen», sagt Guido Corti, Rechtsberater der Tessiner Regierung.

Eine solche Regelung hat nach langen juristischen Auseinandersetzungen bis vor Bundesgericht nur die Stadt Zürich für eine einzige Wohnstrasse erreicht. Bei den Tessiner Gemeindevertretern herrscht denn auch grosse Skepsis gegenüber der Wirksamkeit des neuen Gesetzes.

Die Hilfsorganisationen Aiuto Aids und May Day befürchten hingegen, dass die Sexarbeiterinnen noch stärker in die Illegalität getrieben werden.

Gemeinde Paradiso greift durch

Dass eine Gemeinde auch ohne spezielle Gesetze und Verordnungen in Sachen Prostitution einiges erreichen kann, hat Paradiso vorgemacht. Das Städtchen, bis vor kurzem als Rot-Licht-Viertel von Lugano bekannt, hat durch nächtliche Fahrverbote den Freierverkehr vom Gemeindeterrain verbannt.

Erwirkt wurde auch die Schliessung des kantonsbekannten Bordells «Casa Giulia», in dem über 50 Frauen und Transsexuelle in 35 Studios arbeiteten. Vor Gericht konnte die Gemeinde nachweisen, dass der Wohnblock nicht -wie im Zonenplan vorgeschrieben – als Primärresidenz genutzt war.

Für CVP-Regierungspräsident Luigi Pedrazzini kann nur ein Zusammenspiel von Aktivitäten des Kantons und der Gemeinden der illegalen Prostitution einen Riegel schieben: «Prostitution lässt sich nicht ausrotten, wir können das Phänomen nur in bestimmte Bahnen lenken.»

Gerhard Lob, Bellinzona

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