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Volk will lebenslange Verwahrung

Extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter, die auf keine Therapie ansprechen, bleiben für immer hinter Schloss und Riegel. Keystone

Gewaltstraftäter sollen in Zukunft härter angefasst werden. Dies ist der Wille einer Mehrheit des Schweizer Stimmvolkes.

Mit 56,2 % hat es Ja gesagt zur Volksinitiative «Lebenslange Verwahrung für extrem gefährliche, nicht therapierbare Sexual- und Gewaltstraftäter».

In der Schweiz kommen viele Initiativen vors Volk. Doch selten wird eine auch angenommen. Zwischen 1991 und 2003 beispielsweise waren es von 51 gerade deren 3.

Das Ja ist umso erstaunlicher, weil das private Initiativkomitee aus Opfern und Angehörigen keine politische Unterstützung hatte, ausser von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und einigen kleinen Rechtsparteien.

Doch schon die rund 200’000 Unterschriften, die das Komitee im Jahr 2000 eingereicht hatte, zeigten, dass die Verwahrung im Volk ein Thema ist. «Das Volk denkt oft anders, als es die Politiker tun», kommentierte die erfreute Initiantin Anita Chaaban gegenüber SR DRS das Abstimmungsergebnis.

Opferschutz vor Täterschutz

Für die Bevölkerung sei der Opferschutz wichtiger als der Täterschutz, betonte SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer vom Komitee «Ja zur Verwahrungsinitiative». Mit dem positiven Ausgang der Abstimmung sei auch der Wille zum Ausdruck gekommen, Gewaltstraftäter härter anzufassen und keine Experimente mit Hafturlaub und provisorischer Freilassung zu machen.

Die Revision des Strafgesetzes habe in dieser Hinsicht keine Lösung gebracht. Mit der Initiative werde die beschlossene – doch aus seiner Sicht ungenügende – Verschärfung im Strafgesetz ergänzt und keinesfalls ersetzt.

Bedenken von Juristen

Die Juristen der Schweiz waren praktisch geschlossen dagegen angetreten. Sie hatten darauf hingewiesen, dass das revidierte Strafgesetz bereits härtere Massnahmen für Täter dieser Kategorie vorsehen würde. Die Behörden seien in den letzten Jahren vorsichtiger geworden im Umgang mit extremen Straftätern.

Mit der Initiative werde ein neues Sicherheitsgefühl vorgegaukelt, das nicht bestehe. Zudem befürchteten die Fachleute, dass mit der Initiative ein paralleler Verwahrungsartikel entstehen würde, denn das neue Gesetz wird voraussichtlich 2006 eingeführt.

Weitaus am deutlichsten angenommen wurde die Verwahrungs-Initiative mit 74,6% im Kanton Tessin. Verworfen wurde sie lediglich von zwei Ständen: Basel-Stadt sagte mit 51,9% Nein, Waadt mit 50,4%.

Keine zweite Chance

Die Initiative fordert, dass extrem gefährliche Sexual- und Gewalttäter, die nicht auf eine Therapie ansprechen, lebenslang verwahrt werden und keinen Hafturlaub erhalten. Gutachten zur Beurteilung von Sexual- und Gewaltstraftätern sollen immer von zwei voneinander unabhängigen Experten erstellt werden.

Ein Fall soll nur erneut überprüft werden dürfen, wenn durch «neue wissenschaftliche Erkenntnisse» nachgewiesen ist, dass der Täter geheilt werden kann, und er künftig für die Allgemeinheit keine Gefahr mehr darstellt. Die Verantwortung für einen Rückfall eines entlassenen Täters sollen die Behörden übernehmen.

Laut der Gegnerschaft kommen nun gravierende Probleme auf die Gutachter zu. Der Hauptstreitpunkt: Wie sollen sie im Moment der Verurteilung entscheiden können, ob ein Täter bis ans Ende seines Lebens nicht mehr therapierbar ist?

Ausgestaltung noch offen

Eine weitere Aufgabe ist nun die menschenrechtskonforme Ausgestaltung der Ausführungsbestimmungen der Initiative. Sieht doch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) eine periodische Überprüfung aller Inhaftierten vor.

Schlüer lässt den Einwand des Verstosses gegen die Menschenrechte nicht gelten. Der Volksentscheid sei höher zu gewichten als «von Funktionären festgelegte internationale Normen».

Das Initiativ-Komitee fordert, dass das Volksbegehren nunmehr getreu dem Willen der Initianten in ein Gesetz umgewandelt werden müsse.

swissinfo, Christian Raaflaub

Gegen Bundesrat, Parlament und nahezu alle Parteien haben Volk und Stände die Verwahrungs-Initiative deutlich angenommen.

Nach der neuen Verfassungsbestimmung dürfen die anvisierten Täter nur dann aus der Verwahrung entlassen werden, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse ihre Therapierbarkeit beweisen.

Bundesrat und Parlament hielten diesem «Null-Chancen-Regime» vergeblich eine Gesetzesrevision entgegen, die an einer periodischen Neubeurteilung aller Verwahrten (das heisst nicht nur psychisch kranker) festhält.

Diese Revision tritt 2006 gleichwohl in Kraft, gilt nun aber nicht für «nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter».

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