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Noch schwingt das Ja obenaus

Die Abstimmung vom 26. September zeigt den traditionellen Gegensatz zwischen Links und Rechts, wenn es um Sozialpolitik geht. Keystone

Die Mehrheit der Stimmberechtigten unterstützt die Revision der Arbeitslosenversicherung. Laut der zweiten Repräsentativ-Umfrage der SRG SSR im Vorfeld der Volksabstimmung vom 26. September sind Viele noch unentschlossen, und die Nein-Stimmen nehmen zu.

Die Revision der Arbeitslosenversicherung (ALV), die vom Bundesrat und der bürgerlichen Mehrheit im Parlament unterstützt wird, scheint gute Chancen zu haben, auch an der Urne vor dem Volk zu bestehen.

Laut der Umfrage, die das Forschungsinstitut gfs.bern für die SRG-Medien in der Woche vom 6. bis 11. September 2010 bei
1200 repräsentativ ausgewählten Stimmberechtigten durchgeführt hat, werden 26% der Befragten der ALV-Revision auf jeden Fall zustimmen. Eher zustimmend äussern sich weitere 22%.

Die Ja-Seite kommt also auf 48% – einen Prozentpunkt weniger als Mitte August, als in der ersten Umfrage gemacht worden war.

30% (+5%) stehen in gleich gesichertem Masse auf der Nein-Seite; 17% sagen auf jeden Fall Nein, 13% eher Nein. Innert Monatsfrist verringerte sich damit der Vorsprung der Ja-Seite .

“Trotz dieses klaren Gefälles ist es noch zu früh für eine Schlussfolgerung”, sagt Claude Longchamp, Leiter gfs.bern. Das Nein-Lager habe gegenüber der ersten Befragung 5 Punkte zugelegt, und 22% der Befragten können sich noch nicht festlegen.

Zwischen Links und Rechts

Die ALV-Revision wird von Gewerkschaften und Linksparteien mit einem Referendum bekämpft. Die Revision zielt auf eine finanzielle Sanierung der Arbeitslosen-Versicherung. Seit 2004 haben sich die Schulden auf 7 Mrd. Franken angehäuft. Das Revisionsprojekt sieht Anpassungen auf Einnahmen- und Ausgabenseite vor.

Zusätzliche Einnahmen von schätzungsweise jährlich 646 Mio. Franken ergäben sich aus erhöhten Lohnprozenten (von 2 auf 2,2%) und aus Solidaritätsleistungen höherer Einkommen.

Einsparungen von rund 622 Millionen ergäben sich aus verschiedenen Reduktionen der Leistungszeiten und einer Ausdehnung der Wartefristen.

Die Auseinandersetzung bei dieser ALV-Revision verläuft entlang des traditionellen Links-Rechts-Gefälles bei sozialpolitischen Fragen.

Linksparteien und Gewerkschaften halten die Revisionsvorschläge für inakzeptabel, da sie auf dem Buckel der Arbeitslosen, besonders der Jungen, erfolgten.

Regionale und politische Unterschiede

Der Riss zwischen dem rechten und linken Lager zeige sich auch in den jeweiligen Wahlabsichten der Befragten, gemäss ihrer politischen Heimat.

Die höchsten Ja-Anteile für die Revision weist die freisinnig-demokratische Partei auf: 71% der FDP-Wähler sind für die Revision, gegenüber nur 20% Nein-Sagern.

Gleichermassen gross ist die Zuspruch der Sympathisanten der Schweizerischen Volkspartei (SVP): 60% stimmen Ja, 22% Nein. Auch die Christdemokraten wählen zu 51% Ja und zu 30% Nein.

Innerhalb des linken Spektrums möchten 53% jener, die der SP nahestehen, die ALV-Revision bachab schicken, 29% stimmen dafür. Mit 50% Nein- und 28%-Ja-Stimmen liegen die Verhältnisse in der Grünen Partei ähnlich.

Ähnlich bedeutend sind die Unterschiede, welche die Sprachregionen des Landes kennzeichnen. In der mit Beschäftigungsproblemen überdurchschnittlich konfrontierten Westschweiz sprechen sich nur 33% für die Revision aus, während 45% dagegen sind.

In der Deutschschweiz hingegen sind 53% für eine Revision und 26% dagegen. Ähnlich liegen die Verhältnisse in der Südschweiz (50% gegenüber 23%).

Ruhige Kampagne

Bei den Befürwortern der ALV-Revision sind 68% der Ansicht, die Arbeitslosenversicherung werde missbraucht. 53% der Befürworter möchten auch eine weitere Erhöhung der Lohnabzüge verhindern. Falls die Revision nicht durchkommt, ist dies vom Bundesrat bereits in Aussicht gestellt worden.

Ebenfalls für 53% der Revisions-Befürworter ist es gerecht, die Leistungen der ALV für diejenigen abzubauen, die sie nur beschränkt mitfinanziert haben.

Bei den Revisionsgegnern sind 81% gegen eine Kürzung der Leistungen. Für 76% wäre eine solche Reduktion ungerecht, angesichts der überhöhten Manager-Boni. 71% möchten die Finanzierungsprobleme der ALV über Beiträge der Top-Verdienenden lösen.

Der Wirtschaftsaufschwung und eine relativ ruhige Kampagne dürften die Argumente der Revisions-Gegner schwächen, so Claude Longchamps:

“Zur Zeit wird das politische Klima von den Bundesrats-Ersatzwahlen dominiert. Am 22. September werden die Nachfolger von Moritz Leuenberger und Hans-Rudolf Merz bestimmt. Erst an zweiter Stelle folgen die Debatten rund um die Wirtschaftskrise und die Exzesse bei den Managerlöhnen.

Für 25 bis 55-Jährige genügt zur Zeit ein Jahr Beitragzahlung, um die Maximalleistung von 400 Taggelder zu erhalten. Künftig braucht es dafür 1,5 Jahre.

Wer ein Jahr lang Beiträge bezahlt hat, erhält maximal 260 Taggelder.

Über 55-jährige Versicherte: Die Maximalleistung von 520 Sätzen soll neu nur an jene ausbezahlt werden, die mindestens 2 Jahre lang Beiträge bezahlt haben. Heute genügen 1,5 Jahre.

Unter-25-jährige Versicherte: Mindestens 1 Jahr Beitragszahlung gibt neu Anrecht auf 200 Taggelder, gegenüber zur Zeit 260. Jugendliche, die keine Beiträge bezahlt haben, werden 90 Sätze erhalten.

Die wichtigsten Revisionspunkte:

Jahres-Einkommen bis zu 126’000 Franken werden zwischen 2 und 2,2% Lohnabzügen für die Arbeitslosenversicherung belegt. Dabei teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer je die Hälfte.

Einkommen zwischen 126’000 und 315’000 Franken werden darüber hinaus mit einem Lohnprozent Solidaritäts-Abzug belegt, solange das Defizit der ALV anhält.

Falls die Revision vom Volk abgelehnt würde, werden weitere Lohnabzüge zwischen 2 und 2,5% in Aussicht gestellt.

Die Mehrheit des Parlaments und der Bundesrat unterstützen die ALV-Revision.

Der Ständerat hat sich mit 32 gegen 12 dafür ausgesprochen, der Nationalrat mit 91 gegen 64, mit 37 Enthaltungen.

Bürgerliche und Mitteparteien sowie Arbeitgeber-Organisationen sind für die Revision.

Sozialdemokraten, Grüne und Gewerkschaften sind dagegen und haben auch das Referendum lanciert.

Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle

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