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Palästinenser nicht fallen lassen

Jede humanitäre Frage hat einen politischen Hintergrund, sagt DEZA-Chef Walter Fust. Keystone

Das Schicksal palästinensischer Flüchtlinge stand im Mittelpunkt einer Konferenz in Genf. Vertreter von über 60 Ländern bekräftigten den Willen, die Palästinenser weiter zu unterstützen.

DEZA-Direktor Walter Fust betont in einem Interview, dass Nothilfe keine politische Lösung ersetzen kann.

Das zweitägige Treffen war vom UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) organisiert worden.

Im Zentrum der Konferenz stand die Strategie für die humanitäre Arbeit der UNRWA in den nächsten fünf Jahren, vor allem die Zukunft der Kinder sowie die Infrastruktur in den Flüchtlingslagern. Insgesamt 4,1 Mio. Menschen sind auf diese internationale Hilfe angewiesen.

DEZA-Direktor zufrieden

In einem Interview mit swissinfo zeigt sich DEZA-Direktor Walter Fust befriedigt über das Ergebnis der Konferenz. Er betont aber auch, dass die humanitäre Hilfe keine politische Lösung für den Konflikt im Nahen Osten ersetzen könne.

Obwohl es sich nicht um eine Geberkonferenz handelte, wurden laut Fust 10,5 Mio. Dollar zusätzliche Hilfsgelder zugesagt, unter anderem von Kanada, Japan, Grossbritannien, Neuseeland und Algerien. Die Schweiz kündigte 2 weitere Mio. Franken für Nothilfe an, womit ihre jährliche Unterstützung an das Hilfswerk UNRWA von 12 auf 14 Mio. Franken steigt.

swissinfo: Wie beurteilt die Schweiz als Gastgeberin das Ergebnis der Konferenz?

Walter Fust: Aus meiner Sicht war die Konferenz ein deutlicher Erfolg. Die internationale Gemeinschaft hat klar gemacht, dass sie die palästinensischen Flüchtlinge nicht im Stich lässt. Wir sahen auch eine klare Verpflichtung, die Hilfe weiter zu finanzieren.

Auch die Verantwortlichkeit wurde besprochen. Die internationale Gemeinschaft sieht nicht ein, warum sie kompensieren soll, was andere zerstören.

swissinfo: Skeptiker haben deswegen die Frage aufgeworfen, warum Häuser gebaut werden sollen, die vielleicht vom israelischen Militär wieder zerstört werden. Was ist ihre Antwort?

W.F. : Das fragen sich wirklich viele der Geber. Dabei dürfen wir aber nicht ausser acht lassen, dass wir kürzlich Häuser wieder aufgebaut haben, die nicht zerstört wurden. Die zerstörten Häuser waren alte Häuser, die von der israelischen Armee als Verstecke von Terroristen betrachtet werden.

swissinfo: Trotzdem wurden mehrfach unschuldige Menschen obdachlos.

W.F. : Ja. Die Frage nach der Verantwortlichkeit erstreckt sich daneben auch auf die Verteilung von Hilfsgütern. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, warum Palästinenser für Baumaterial, wenn sie es überhaupt kriegen können, überhöhte Preise bezahlen müssen?

Warum werden die Genfer Konventionen nicht eingehalten, die klar vorgeben, dass alles unternommen werden muss, um die Verteilung von Hilfsgütern zu vereinfachen? In diesem Fall wird sie erschwert.

swissinfo: Israel nahm an dieser Konferenz nicht teil. Wie können Entscheide der internationalen Gemeinschaft ohne Zutun Israels die Situation verbessern?

W.F. : Diese Konferenz befasste sich damit, wie die internationale Gemeinschaft die Tätigkeiten der UNO-Hilfsorganisation unterstützen kann. Humanitäre Hilfe kann keine Lösung sein für die Frage nach der Rückkehr der Palästinenser – dies muss auf politischer Ebene gelöst werden.

Die Antwort darauf kann aber auch nicht sein, die Hilfe für die Menschen einzustellen, welche Opfer einer Situation sind, von der wir alle wissen, dass sie nach internationalem Recht illegal ist.

Es ist nicht an uns, Politik oder Diplomatie zu betreiben. Es ist an uns, Probleme anzusprechen, zu Lösungen beizutragen und die Spannungen und Härten abzubauen. Die UNO muss einerseits mehr humanitäre Hilfe erbringen, anderseits aber auch mehr politischen Mut, um diesen Konflikt auf hoher Ebene anzugehen.

swissinfo: Sie scheinen in dieser Frage sehr engagiert zu sein.

W.F. : Das hat nichts mit Engagement zu tun… Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und ein Aufschrei der Frustration.

Es ist notwendig, dass alle Parteien das internationale Recht beachten, Aber auch, dass die Palästinenser die Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen.

Aber die Hälfte der Menschen in den Flüchtlingslagern sind Kinder, die eine Zukunft wollen. Welche Zukunft haben sie, wenn sie sozusagen im Belagerungszustand aufwachsen? Ich denke, je mehr wir die Ausbildung verbessern, desto besser werden die Chancen für Frieden.

Im Grunde genommen war das keine politische Konferenz, es war eine humanitäre Konferenz. Aber es gibt keine humanitären Fragen ohne politischen Kontext.

swissinfo-Interview: Anna Nelson, Genf
(Übertragung aus dem Englischen von Philippe Kropf)

Die Schweiz leistet seit 1993 aktive Hilfe im Westjordanland und im Gaza-Streifen. Im laufenden Jahr umfassen die Hilfszahlungen über 20 Mio. Franken. 2003 waren es 10 Mio. Franken.

An einer zweitägigen Konferenz besprachen Vertreter von über 90 Ländern und Organisationen die Hilfe für die palästinensischen Flüchtlinge.

Die Schweiz wird das UNO-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) mit weiteren 2 Mio. Franken unterstützen.

Die UNRWA wurde 1949 geschaffen, um palästinensische Flüchtlinge im Westjordanland, im Gazastreifen, in Jordanien, Libanon und Syrien zu unterstützen.

Das Hilfswerk sieht sich seit Jahren mit dem Problem konfrontiert, immer mehr Menschen mit immer weniger Mitteln unterstützen zu müssen.

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