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Schweiz verweigert Auslieferung an Türkei

Erfolgreicher Protest: Demonstration am 30. September in Basel zur Freilassung von Erdogan. Keystone

Das Bundesgericht hat die Beschwerde eines Kurden gutgeheissen und die Haftentlassung angeordnet. Gemäss Ankara soll er in einen Polizistenmord verwickelt gewesen sein.

Inhaftierung und drohende Ausschaffung des Kurden hatten in der Schweiz starke Proteste ausgelöst.

Der unter seinem Vornamen Erdogan bekannt gewordene kurdische Flüchtling ist nach der Gutheissung seiner Beschwerde gegen die Auslieferung an die Türkei bereits aus der Haft entlassen worden, gab das Bundesamt für Justiz (BJ) bekannt.

Die Behörde des Bundes habe nach Eingang des Urteils des Lausanner Bundesgerichts am Dienstag die Thurgauer Behörden angewiesen, den Betroffenen umgehend aus der Auslieferungshaft zu entlassen, sagte BJ-Sprecher Folco Galli. Der Betroffene habe nun die Möglichkeit, beim BJ ein Entschädigungsgesuch für seine ungerechtfertigte Haft einzureichen.

Der Kurde war im Februar letzten Jahres in Moutier im Berner Jura verhaftet worden und sass zuletzt im Kanton Thurgau in Auslieferungshaft.

Ungenügende Verdachtsmomente

Das Bundesgericht hatte in seinem einstimmig gefällten Urteil festgehalten, es fehle an ausreichend verlässlichen Verdachtsgründen, dass der Kurde sich eines Tötungsdelikts schuldig gemacht habe. Deshalb hob das oberste Gericht des Landes die Auslieferungsverfügung des Bundesamts für Justiz auf.

Die Lausanner Richter wiesen auch darauf hin, dass die vorgeworfenen Delikte mehr als elf Jahre zurückliegen. Weiter sei das türkische Ersuchen in zentralen Fragen mangelhaft und widersprüchlich.

Der Fall hatte in den vergangenen Monaten für zahlreiche Proteste auf der Strasse gesorgt. Die türkischen Behörden hatten dem Kurden vorgeworfen, er habe sich in der Zeit von 1994 bis 1995 im Alter von 15 beziehungsweise 16 Jahren im Rahmen von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen einer separatistischen Kurdenorganisation und türkischen Sicherheitskräften strafbar gemacht.

Garantien verlangt

In einem anderen Fall hiessen die Lausanner Richter hingegen die Auslieferung gut. Er betrifft ein von der Türkei gesuchtes Führungsmitglied der kurdischen Separatistenorganisation PKK.

Damit habe das Bundesgericht festgehalten, dass Auslieferungen an die Türkei in Fällen von gemeinrechtlichen Delikten mit politischem Hintergrund möglich seien, sagte dazu BJ-Sprecher Galli. Allerdings nur, wenn die Türkei zureichende Garantien für ein menschenrechtskonformes Verfahren abgebe.

Weil zurzeit beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde hängig ist, sei der negative Asylentscheid des Bundesamts für Migration zur Zeit noch nicht rechtskräftig. Deshalb könne auch die Auslieferung noch nicht vollzogen werden.

Zudem muss die Türkei laut Bundesgericht eine zusätzliche Garantie in Form eines Besuchsrechts der Schweizer Botschaft in Ankara abgeben. Das Bundesamt für Justiz wird nach den Worten Gallis die türkischen Behörden in den nächsten Tagen auffordern, diese Monitoring-Garantie beizubringen.

swissinfo und Agenturen

Das Schweizerische Bundesgericht (BGer) in Lausanne wurde 1848 bei der Umwandlung der Schweiz in einen föderalistischen Bundesstaat errichtet.

Bei der Totalrevision der Bundesverfassung 1874 wurde der Aufgabenkreis des Gerichts erweitert.

Das Bundesgericht ist im Wesentlichen eine Rekursstelle, welche die Einhaltung des Bundesrechts überwachen muss.

Das BGer prüft auch, ob die kantonalen Gesetzgebungen konform mit dem Bundesrecht sind.

Rund die Hälfte aller Kurden leben in der Türkei.

In der Schweiz leben rund 70’000 Kurden, in Westeuropa 850’000 (Quelle: Kurdisches Institut Paris).

Sie sind eine der grössten Volksgruppen ohne eigenen Staat.

Bei der Gründung der Republik Türkei 1923 verloren sie ihren Status als Minderheit.

Die Kurden galten fortan als Türken, denen keine kulturellen und ethnischen Unterschiede zugestanden wurden.

In den letzten achtzig Jahren ist es deswegen zu wiederholten heftigen Aufständen gekommen.

Im Rahmen der EU-Annäherung hat sich Ankara verpflichtet, die Rechte der Minderheiten künftig zu respektieren.

Ein neues Gesetz erlaubt den rund 12 Mio. Kurden Unterricht in ihrer Muttersprache und kurdische Radio- und Fernsehsendungen.

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