Giuseppina Antognini, die Schweizer Mäzenin, die Mailand ein grosses Geschenk machte

Schweizerin, Kulturliebhaberin; stille, aber unermüdliche Philanthropin: Das Vermächtnis von Giuseppina Antognini, der Seele der Pasquinelli-Stiftung, lebt weiter zwischen den Meisterwerken des 20. Jahrhunderts und sozialen Projekten.
Giuseppina Antognini ist im Frühling 2025 in Mailand verstorben. Sie war eine zurückhaltende Frau, deren Name vielen vielleicht nicht vertraut ist, die jedoch zusammen mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Francesco Pasquinelli einen bemerkenswerten Einfluss auf das kulturelle und soziale Leben Mailands ausgeübt hat.
Ihr Wirken zeigtExterner Link, wie Philanthropie sich in ein kraftvolles Instrument der Kulturbildung der Öffentlichkeit verwandeln kann.
Ein Leben zwischen der Schweiz und Mailand
Antognini wurde 1940 in eine Tessiner Familie im Bleniotal geboren und wuchs im Schatten der Schokoladefabrik Cima Norma auf, die ihrer Familie gehörte.
Das Schicksal führte sie früh nach Mailand, wohin sie nach dem Abschluss der Lehrerinnenausbildung ihrer Schwester folgte, kaum älter als zwanzig. Was ursprünglich nur eine Station auf ihrem Lebensweg sein sollte, wurde zu ihrer Wahlheimat.

In Mailand begegnet sie Francesco Pasquinelli (1922–2011), einem Mann mit zwei Leidenschaften: Ursprünglich Musiker, entschied er sich 1950, die Musik aufzugeben, um in die Industrie einzusteigen.
Mit unternehmerischem Weitblick spezialisiert er sich auf wärme- und schalldämmende Isolierstoffe für Bau und Industrie – vor allem dank der Konzessionen für Perlite-Minen, die er in Sardinien erhält.
Unter seiner Leitung wachsen die Firmen der Unternehmensgruppe rasch, weiten sich auf andere Bereiche aus und erobern die Märkte in Europa und Nordafrika. 1995 verkauft Pasquinelli das entstandene Industrieimperium.
Trotz ihres Umzugs nach Mailand blieb Giuseppina Antognini ihrer Heimat sehr verbunden. Sie kehrte häufig ins Bleniotal zurück und war bis 2000 in den Fussstapfen ihres Vaters Vorsitzende des Pfarrgemeinderats von Torre.
Die Geburt der Kunstsammlung
Mit dem Rückzug aus dem Geschäftsleben begann für Pasquinelli und Antognini ein neues Abenteuer: der Aufbau einer Kunstsammlung, die sich als eine der bedeutendsten in Italien erweisen sollte.
In der Tradition seines Grossvaters, eines aufgeklärten Sammlers, begann Pasquinelli mit feinem Geschmack und Weitblick Meisterwerke des 20. Jahrhunderts zu erwerben.

Die Räume des eleganten Privathauses am Mailänder Corso Magenta wurden Stück für Stück mit Werken der grössten Meister gefüllt: Le Douanier Rousseau, Picasso, Modigliani, Klee, Carrà, De Chirico, Mirò, Magritte, Chagall. Um nur einige zu nennen.
Besondere Aufmerksamkeit wird den italienischen Futuristen gewidmet, mit Ankäufen von Werken von Balla, Boccioni, Sironi und Severini, die einen Kern von grosser Bedeutung für die Geschichte der italienischen Kunst des frühen 20.Jahrhunderts bilden.
Von der Privatsammlung zum Kulturerbe für alle
«Ich habe so viel von Mailand erhalten – und ich möchte dieser Stadt etwas zurückgeben.» An diesen Satz von Antognini erinnert Alberto Fossati, der heutige Präsident der Fondazione Pasquinelli. Er bringt ihr Denken und ihre tiefe Verbundenheit mit der Stadt Mailand auf den Punkt.
2011 markierte einen Wendepunkt in Antogninis Leben. Nach dem Tod ihres Partners gehörte ihr im Alter von 70 Jahren ein Vermögen von unschätzbarem Wert.
Wo viele einen privaten Besitz gesehen hätten, der eifersüchtig gehütet werden sollte, sah sie die Gelegenheit, der Stadt zurückzugeben, was Mailand dem Paar über Jahrzehnte hinweg gegeben hatte.
Als leidenschaftlicher Sammler war es Pasquinelli immer schwergefallen, sich von seinen Werken zu trennen. Doch wie Fossati sagt, hatte er seiner Lebensgefährtin die Aufgabe übertragen, die Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Allerdings erst nach seinem Tod. Antognini nahm dieses Erbe mit Entschlossenheit an.
Die Pasquinelli-Stiftung: Werkstatt für Kultur und Solidarität
So entstand die Pasquinelli-Stiftung, die in einem komplett renovierten 500 Quadratmeter grossen Raum am Corso Magenta untergebracht ist. Sie ist nicht nur ein Museum, sondern ein lebendiger Ort, an dem Kunst, Musik und soziales Engagement in einer kontinuierlichen, konkreten und stillen kulturellen Aktion miteinander verbunden sind.
Die Aktivitäten der StiftungExterner Link sind auf drei grundlegende
Bereiche ausgerichtet: Musik, Kunst und soziales Engagement.
Musik
Im Bereich der Musik ist die Stiftung bestrebt, den Geist von Francesco Pasquinelli lebendig zu erhalten, der als junger Mann ein begabter Musiker war. Dieses Engagement ist auch von den Gedanken von Maestro Claudio Abbado inspiriert, der sagte: «Das gemeinsame Musizieren ist in der Tat die wirksamste Erziehung zu Gemeinschaftsleben, Respekt, Disziplin und vor allem gegenseitigem Zuhören.»
Kunst
Pasquinellis tiefe Leidenschaft für die Kunst – die er mit Begeisterung und seltener Kompetenz pflegte – ist die Grundlage für die künstlerischen Initiativen, die am Sitz der Stiftung gefördert werden. Hier werden Ausstellungen organisiert, wobei der Schwerpunkt auf Grundschulkindern liegt, besonders aus den Vororten von Mailand.
Soziales
Die Stiftung möchte eine konkrete, aktive und verantwortungsvolle Präsenz im sozialen Bereich sein, indem sie Mittel zur Unterstützung von Projekten bereitstellt, die den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechen. Sie fördert auch die Stärkung lokaler Vereinigungen und begleitet sie auf ihrem Weg zu Autonomie und organisatorischer Nachhaltigkeit.
Mit Klarheit und Weitblick holt Antognini wichtige Persönlichkeiten der Mailänder Kulturszene zusammen: Daniela Volpi, um die Räume neu zu gestalten, den Kunsthistoriker Antonello Negri, der die Ausstellungen kuratiert, und die Musikwissenschaftlerin Maria Majno, die eine Musikschule für Grundschulkinder aufbaut – besonders für solche in schwierigen Lebenslagen.
Dabei bleibt Antognini stets zurückhaltend, aber sehr wirkungsvoll. Ihr Motto bringt das gut auf den Punkt: «Mir ist wichtig, dass Dinge gemacht werden – und zwar gut. Nicht, dass nur darüber geredet wird.»
Das grosse Geschenk an Mailand
Im Jahr 2019 macht Antognini, die sich der Abwesenheit von Erb:innen bewusst ist und sich um das Schicksal der Sammlung sorgt, eine grosszügige Geste. Sie erscheint im Büro des Bürgermeisters Giuseppe Sala mit einem klaren Ziel: den gesamten Bestand der Gemeinde zu schenken.
Dies unter der Bedingung, dass die Erweiterung des Museo del NovecentoExterner Link, ein Projekt, das sie selbst als «absolut notwendig» bezeichnet, in Betracht gezogen wird. Und um zu beweisen, dass ihre Worte nicht leer sind, übergibt sie sofort einen Scheck über fünf Millionen Euro.

Ihre Initiative löste den Wettbewerb «Novecentopiùcento» aus, einen internationalen Wettbewerb zur Planung eines grossen neuen Museumszentrums im ehemaligen Zweiten Arengario auf der Piazza Duomo. Dieses neue Zentrum sollte mit dem bestehenden Museo del Novecento verbunden werden.
Fast 100 Architekturbüros aus aller Welt nahmen teil, gewonnen hat Calzoni architetti aus Italien. Das Ziel des Siegerentwurfs ist, eine architektonische Verbindung zwischen den beiden Zwillingsgebäuden des Arengario zu schaffen, sodass sie als ein einziges Gebäude wirken.
Der Traum von Giuseppina Antognini nimmt damit konkrete Formen an: zwei Zwillingsgebäude, die in einem einzigen Museum vereint sind, das zu einem der weltweit wichtigsten Museen für die Kunst des 20. Jahrhunderts werden soll, namentlich des Futurismus.
Nach Abschluss der Arbeiten wird das Arengario 2 eine Ausstellungsfläche von etwa 4100 Quadratmetern bieten, während die beiden Zwillingsflügel des Arengario wahrscheinlich durch einen markanten, 20 Meter hohen Glassteg verbunden werden.

Das Projekt befindet sich derzeit im Bau, die Mäzenin erlebt die Fertigstellung nicht mehr. «Geduld. Das Wichtigste ist, dass es fertig wird», hätte sie dazu gesagt.
Ursprünglich sollte der neue Flügel des Museo del Novecento im Februar 2026 eingeweiht werden, zeitgleich mit der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Mailand-Cortina. Leider wird dieser Termin aller Voraussicht nach nicht eingehalten werden können.
Das Erbe ist bereits zugänglich
Trotz der langen Zeit, die das Gesamtprojekt in Anspruch nimmt, ist ein Teil der aussergewöhnlichen Sammlung Pasquinelli-Antognini bereits für die Öffentlichkeit zugänglich.
Die Werke von Boccioni («Crepuscolo», 1909), Severini («Paesaggio toscano», 1912-13), Sironi («Figura», 1913), Balla («Velocità di automobile luce», 1913), Savinio («Jour de réception», 1930) und De Chirico («La sala di Apollo», 1920) sind endgültig in den Rundgang des Museo del Novecento aufgenommen worden und bereichern zusammen mit den Werken der vier erstgenannten Künstler das, was als die weltweit wichtigste dem Futurismus gewidmete Sammlung gilt.
Der Rest der Sammlung, bestehend aus etwa dreissig Meisterwerken der grössten Meister des 20. Jahrhunderts, wird den Kern des Arengario 2, des neuen Flügels des Museo del Novecento, bilden und damit das visionäre Projekt vervollständigen.
Ein Vermächtnis, das über die Kunst hinausgeht
Das Vermächtnis von Giuseppina Antognini geht über die aussergewöhnliche Kunstsammlung oder das sich im Bau befindende Museum hinaus.
Ihr wahres Vermächtnis besteht in einer klaren Vision von Kultur als Gemeingut, in einer konkreten und stillen Idee von Philanthropie, die in der moralischen Strenge ihres Heimatlands verwurzelt ist und im pulsierenden Herzen Mailands gedeiht. Sie hat den Weg für neue Generationen von Mäzen:innen geebnet, und ihre Aussaat hat bereits üppige Früchte getragen.
Die 2011 gegründete und heute von Alberto Fossati geleitete Stiftung, die den Namen seines Weggefährten trägt, hält das Andenken an Francesco Pasquinelli lebendig, indem sie soziale und kulturelle Projekte unterstützt.
Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem auf dem künstlerischen und musikalischen Bereich, mit besonderem Augenmerk auf interdisziplinären Bildungsinitiativen, die sich an Kinder richten, um ihnen die Schönheit der Kunst näherzubringen.
Sie ermöglicht aber auch jungen Menschen Stipendien an der Università Commerciale Luigi Bocconi und der Accademia Teatro della Scala. Für ältere Personen gibt es Projekte zur Bekämpfung der Einsamkeit.
Zwischen Herbst 2013 und heute hat die Stiftung folgende Projekte unterstützt:
– 15 Ausstellungen im eigenen Haus mit begleitenden Workshops
– 22 Workshop-Projekte mit Schulen mit insgesamt 26’912 teilnehmenden Kindern
– Zusammenarbeit mit 102 Schulen in der Stadt Mailand
– Zusammenarbeit mit 52 Schulen aus Gemeinden im Umland von Mailand
Das Engagement der Stiftung geht über Kunst und Musik hinaus und umfasst auch Bildung und juristische Bildung. Ein Beispiel dafür ist die Unterstützung von Schulprojekten des ehemaligen Richters Gherardo Colombo.
Besonders bemerkenswert ist auch die Hilfe für Familien mit Kindern aus dem Autismus-Spektrum, insbesondere mit Asperger-Syndrom – ein Zeichen für eine Haltung, die niemanden ausschliesst. Und das sind nur einige Beispiele.
Mailand und die Schweiz verabschieden sich mit grosser Dankbarkeit von dieser aussergewöhnlichen Frau. Giuseppina Antognini hat mit ihrem Leben und ihren Entscheiden gezeigt, dass Schönheit ein kraftvoller, bürgerlicher Akt sein kann – und dass sogar eine einzelne Person mit Entschlossenheit und Liebe zur Kultur das Gesicht einer Stadt verändern kann.
Übertragung aus dem Italienischen mit der Hilfe von Deepl: Janine Gloor

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch