SWISS MADE raus------SERV./ASS.---wie swiss re mit den risiken gewinn macht
Für die Swiss Re sind Risiken das tägliche Brot. Wie und mit welchem Wissen wird das erreicht? Der "Risikochef" des Schweizer Rückversicherers erläutert.
Christian Mumenthaler hat als Mitglied der Generaldirektion am Bericht über weltweite Risiken mitgearbeitet, der im Januar 2006 vom Weltwirtschaftsforum (WEF) veröffentlicht wurde.
swissinfo: Welches sind in Ihren Augen die grössten Risiken, mit denen wir weltweit konfrontiert sind?
Christian Mumenthaler: Es gibt natürliche eine ganze Reihe. Dabei werden wohl die Naturkatastrophen etwas überschätzt.
Dagegen wird das Risiko einer Pandemie (weltweite Verbreitung einer Infektionskrankheit) nur teilweise richtig eingeschätzt. Das gilt vor allem für die wirtschaftlichen Risiken, die mit einer möglichen Pandemie verbunden sind.
swissinfo: Welche Auswirkungen haben Risiken auf Unternehmen und Märkte?
C.M.: Das ist ein weites Feld. Was die Märkte beeinflusst, sind nicht unbedingt die Risiken selbst, sondern eher, wie diese wahrgenommen werden.
Die Risiken der jüngsten Zeit oder jene, die wir besser kennen, werden etwas überschätzt – also Terrorismus, Naturkatastrophen usw.
Dagegen werden bisher theoretischere Risiken eher unterschätzt. Ich denke nicht, dass zum Beispiel die Finanzmärkte die möglichen Auswirkungen einer Pandemie richtig einschätzen.
swissinfo: Warum wurde am WEF in Davos 2006 soviel von Risiken gesprochen?
C.M.: Heute wird viel mehr von Risiken gesprochen als früher. Das hat vielleicht mit dem psychologischen Zyklus zu tun, den die Welt zur Zeit durchlebt.
Es hat sicher auch mit den Medien zu tun. Auf Katastrophen gehen die Medien heute viel stärker und umfassender ein. Ein Ereignis wie der Tsunami wäre vor fünfzig Jahren am Fernsehen nicht gezeigt worden.
Heute gibt es nicht unbedingt mehr Katastrophen, aber man sieht sie besser, man sieht alle, sogar die kleinsten. Und man sieht sie direkt am Fernsehen.
Die Wahrnehmung hat sich also verändert. Und die Leute haben das Bedürfnis, über das zu reden, was sie sehen. Immer mehr realisieren sie auch, dass es allen zugute kommt, wenn rational über Risiken gesprochen wird und man sich auch rationaler mit ihnen befasst.
swissinfo: Wie identifiziert man ein Risiko bei Swiss Re konkret?
C.M.: Einerseits gibt es die Risiken, die wir kennen oder zu kennen glauben. Da es immer eine Frage der Wahrnehmung ist, sind wir laufend daran, unser Vorgehen anzupassen, namentlich mit Hilfe von Statistiken.
Nach einem Wirbelsturm wie Katrina zum Beispiel müssen wir auch darüber nachdenken und uns fragen, ob wir das Risiko verstehen.
Und dann gibt es neue Risiken, die es zu identifizieren gilt. Wir sind ein weltweiter Konzern, mit siebzig Büros in dreissig Ländern. Wir bitten unsere Angestellten, neuen oder potenziellen Risiken nachzugehen.
In Deutschland zum Beispiel führt ein Laden ein Kleidersortiment mit integrierten Chips. Das kann aus Sicht der Raubkopien oder des Datenschutzes ein Problem geben. Die Presse hat darüber berichtet.
Wenn einer oder eine unserer Angestellten so etwas findet, überlegen wir uns, ob dies eines Tages möglicherweise zu einem Risiko werden könnte. Und dann wird es in unser System aufgenommen.
Im Verlauf der Zeit haben wir weltweit rund 120 potenzielle Risiken gesammelt. Mit jeder neuen Technologie ist ein Risiko verbunden, und das kommt in unser System.
Es ist nicht immer das Risiko selber, das uns gefährlich scheint, sondern dessen Wahrnehmung. Zum Beispiel die Gentechnologie. Es ist noch überhaupt nicht erwiesen, dass gentechnisch veränderte Organismen (GVO) gefährlich sind. Aber dafür mussten wir bereits zahlen.
Jemand hat ein Produkt konsumiert, das als gentechnfrei bezeichnet war, jedoch GVO aufwies. Die Firma musste diese Person und uns, die Versicherung, entschädigen. Anders ausgedrückt, wir wissen nicht, ob GVO wirklich ein Risiko darstellen. Aber für uns sind sie eins.
swissinfo: Swiss Re lebt von den Risiken. Wie können Sie damit Geld verdienen?
C.M.: Die Grundidee ist im Prinzip die Diversifizierung. Es ist schwierig für eine Firma, ein Risiko allein zu tragen. Wir sammeln also die Risiken in der ganzen Welt, und wir wissen, dass nicht alle gleichzeitig auftreten.
Aufgrund komplexer Berechnungen legen wir die Prämien fest. Und kommen so auf eine Marge, mit der wir unsere Kosten decken und einen Gewinn erwirtschaften können. Die Berechnungen, zusammen mit einem grossen Risikopool, führen zu unserem Gewinn.
Interview swissinfo: Pierre-François Besson
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)
In Kürze
Swiss Re hat 2006 die wichtigsten Versicherungsgeschäfte von American General Electric für 9 Mrd. Franken gekauft.
Damit ist die Swiss Re zur weltweiten Nummer eins im Rückversicherungs-Geschäft geworden.
Sie beschäftigt rund 8'000 Personen in 70 Filialen und 30 Ländern.
Die Swiss Re wurde 1863 gegründet und wird von Jacques Aigrain geleitet.
Christian Mumenthaler ist Chief Risk Officer und Mitglied der Generaldirektion des Konzerns.
Fakten
2006 wurde während des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos ein Bericht über die weltweiten Risiken veröffentlicht, an dem auch der Rückversicherer Swiss Re mitgearbeitet hat.
Dieser Bericht legt ein Panorama von gegenwärtigen und zukünftigen Risiken weltweit vor. Er soll einen Konsens über gemeinsame Massnahmen ermöglichen helfen.
Kurzfristig sind die wahrscheinlichsten Risiken mit den schlimmsten Auswirkungen ein Fall des US-Dollars um 40%, ein Erdbeben in Tokio und mehrere weltweit gleichzeitig stattfindende konventionelle Terroranschläge.
Darauf folgen die Risiken einer Vogelgrippepandemie (H5N1) sowie eine schnelle Verbreitung von HIV und Tuberkulose ausserhalb Afrikas südlich der Sahara.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Diskutieren Sie mit!