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Wer ersetzt Andrea Maechler im Nationalbank-Direktorium?

Andrea A Mächler am Redepult
Wer auf die zurücktretende Vorsteherin des III. Departements bei der Schweizerischen Nationalbank folgt, entscheidet demnächst der Bundesrat. Keystone / Anthony Anex

Andrea M. Maechler, Mitglied im Direktorium der Schweizerischen Nationalbank, tritt per Ende Juni zurück. SWI swissinfo.ch nennt fünf mögliche Nachfolger:innen. Fast alle sind international gut vernetzt.

Das Kandidat:innenkarussell dreht sich: Nach dem Rücktritt von Andrea M. Maechler, Vorsteherin des III. Departements bei der Schweizerischen Nationalbank, wird der Bundesrat schon bald ein neues Direktoriumsmitglied wählen. Im Fokus stehen neben der fachlichen Eignung auch das Geschlecht und die Herkunft. Das deshalb, weil mit dem SNB-Präsidenten Thomas Jordan und dem SNB-Vizepräsidenten Martin Schlegel zwei männliche Deutschschweizer im Führungsgremium der SNB verbleiben werden.

Wer kommt für diesen Job in Frage? SWI swissinfo.ch hat die Übersicht über die Kandidat:innen, und weiss, wie gut sie international vernetzt sind.

Marlene Amstad

Sehr gute Aussichten hat Marlene Amstad (55). Sie arbeitete bereits in den 2000er-Jahren bei der Nationalbank, darunter zwei Jahre in der Forschungsabteilung und sechs Jahre als Vizedirektorin im Bereich der Finanzmarktanalysen. Im Jahr 2012 verliess Amstad die Nationalbank – fortan wirkte sie als Beraterin für die Bank for International Settlement (BIS) und als Professorin an der Chinese University of Hong Kong.

Während dieser Zeit veröffentlichte sie unter anderem ein zukunftsweisendes Buch über digitales Zentralbankengeld. Im Frühling 2020 wurde Amstad vom Bundesrat zur Verwaltungsratspräsidentin der Schweizer Finanzmarktaufsicht (Finma) gewählt; diese Position hält sie bis heute.

Amstad ist zuzutrauen, die Nationalbank von innen zu erneuern: Personen aus dem erweiterten Umfeld der Nationalbank erzählen, dass Amstad schon während ihrer Zeit bei der SNB versucht habe, neue Ideen einzubringen. Für Amstad sprechen ihre internationale Erfahrung in zentralbanknahen Institutionen und ihre intellektuelle Unabhängigkeit. Gegen sie spricht, dass sie nicht mit Unterstützung aus der aktuellen SNB-Spitzen rechnen kann.

Beatrice Weder di Mauro

Wie bei jeder Vakanz sehr gute Chancen auf einen Sitz im SNB-Direktorium hat Beatrice Weder di Mauro (57). Sie ist eine der angesehensten und bestvernetzten Ökonominnen der Schweiz: In Washington arbeitete Weder di Mauro in den 1990er-Jahren für den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank, in Tokio forschte sie an der United Nations University, in Deutschland diente sie zwischen 2004 und 2012 im “Rat der Wirtschaftsweisen”, und in Genf ist sie seit 2019 Professorin am Graduate Institute. Nebenbei präsidiert sie das angesehenen Centre for Economic Policy Research (CEPR) in London.

Weder di Mauro forschte zuletzt über den Zusammenhang zwischen CO2-Steuern und Inflation; zudem hat sie mehrere Papiere zum Thema Bankenregulierung veröffentlicht. Ein weiterer Pluspunkt: Weder di Mauro beherrscht neben Deutsch, Französisch und Englisch auch Italienisch und Spanisch.

Für sie sprechen ihre Erfahrung in wirtschaftspolitischen Gremien, ihr internationales Netzwerk und ihr umfassender Beitrag zur akademischen Forschung. Gegen sie spricht, dass sie bei der vorletzten Vakanz im SNB-Direktorium als Kandidatin gehandelt wurde, sich aber selbst aus dem Rennen nahm, indem sie ein Verwaltungsratsmandat bei der UBS übernahm. Zudem wird ihr nachgesagt, dass sie nicht an einem Führungsjob bei der Nationalbank interessiert sei.

In einem ersten Schritt einigt sich der SNB-Bankrat auf einen Wahlvorschlag zuhanden des Bundesrats. Der Bankrat ist das Aufsichtsgremium der Nationalbank; er setzt sich zusammen aus Vertreter:innen der Kantone, der Wissenschaft und der Wirtschaft. Darauf wählt der Bundesrat ein neues Mitglied ins SNB-Direktorium. Der Bundesrat ist dabei frei, er ist also nicht an den Vorschlag des Bankrats gebunden. Ein Abweichen vom Wahlvorschlag müsste der Bundesrat allerdings begründen; politisch wäre es einem Affront gegenüber der Nationalbank. Kein Mitspracherecht hat das Parlament.

Petra Gerlach

Intakte Chancen hat Petra Gerlach (48). Sie doktorierte 2002 an der Universität Basel. Danach folgte ein kurzer Aufenthalt an der Hong Kong University, eine erste Anstellung bei der Schweizerischen Nationalbank (2004–2009), eine Lehrtätigkeit an der Universität Basel (bis 2009) und eine Anstellung bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (bis 2011). Darauf forschte sie bis 2014 am renommierten Trinity College in Dublin.

Seit ihrer Rückkehr in die Schweiz arbeitet Gerlach wieder für die Nationalbank. Zuletzt hat sie im August 2022 den Sprung ins erweiterte Direktorium der SNB geschafft, wobei ihr das Kunststück gelang, den Chefökonomen hierarchisch zu überspringen.

Petra Gerlach gilt als umgängliche, in der Sache aber harte Ökonomin. Für sie spricht ihr steiler Aufstieg innerhalb der Nationalbank sowie ihre Erfahrung als Leitung der inhaltlich breiten Abteilung “Geldpolitische Analysen”. Gegen sie spricht, dass mit Thomas Jordan und Martin Schlegel bereits zwei SNB-interne im Direktorium vertreten sind.

Sarah Lein

Aussenseiterchancen hat Sarah Lein. Die deutsch-schweizerische Doppelbürgerin studierte in den 2000er-Jahren an der Universität Konstanz. Später wechselte sie nach Zürich, wo sie 2009 ihren Doktortitel erwarb. Danach arbeitete sie während sechs Jahren als Senior Economist bei der Schweizerischen Nationalbank und während weiteren sechs Jahren als Assistenzprofessorin an der Universität Basel. Seit 2021 hält Sarah Lein eine Wirtschaftsprofessur an der Universität Basel.

Sarah Lein hat sich einen Namen gemacht als hochklassige Forscherin auf dem Bereich der Preissetzung. Für Sarah Lein spricht, dass sie eine ausgewiesene Inflationsexpertin ist. Als Empirikerin weiss sie zudem Bescheid über die neusten Trends in der Inflationsprognose. Gegen Sarah Lein spricht ihr relativ junges Alter und ihre fehlende Praxiserfahrung an der Spitze von wirtschaftspolitischen Institutionen.

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Cédric Tille

Mit intakten Chancen ins Rennen geht der welsche Ökonom Cédric Tille (53). Er hat Ende der 1990er-Jahren an der renommierten Princeton University bei den einflussreichen Ökonomen Michael Woodford und Kenneth Rogoff doktoriert und ist seit 2007 Professor am Graduate Institute in Genf. Er ist zudem Mitglied im SNB-Bankrat, dem Aufsichtsgremium der Nationalbank. Dieses Gremium wird er wegen Amtszeitbeschränkung noch dieses Jahr verlassen. Im Vergleich zur letzten Vakanz im SNB-Direktorium wird ihm sein Bankratsmandat dieses Mal also nicht mehr im Weg stehen.

Tille hat dutzende Forschungsarbeiten über die internationalen Kapitalströme und der Währungsmärkte veröffentlicht, einige davon mit Fokus auf die Schweiz. In seinen geldpolitischen Ansichten ist er stark durch seine amerikanische Ausbildung geprägt: Hinter vorgehaltener Hand kritisiert er die konservative Grundhaltung der Nationalbank. Für ihn spricht, dass er ein ausgewiesener Währungsexperte ist. Gegen ihn spricht, dass Tille als linker Ökonom gilt, was schlecht zum konservativen Selbstverständnis der Nationalbank passt.

Aymo Brunetti

Seit Jahren als Kandidat für das SNB-Direktorium gehandelt wird Aymo Brunetti (60). Seine Wahlchancen sind allerdings klein. Brunetti war zwischen 2003 und 2012 Chefökonom im Staatssekretariat für Wirtschaft; zudem führte er im Nachgang zum Beinahe-Kollaps der UBS von 2008 die bundesrätliche Expertengruppe zur Bankenregulierung. Heute ist er Professor an der Universität Bern, wo er für seine herausragende Lehrtätigkeit bekannt ist.

Brunetti ist in der Schweiz gut vernetzt, international aber nur wenig bekannt. Für ihn spricht seine Führungserfahrung. Gegen ihn seine überschaubaren Forschungsarbeiten und sein vergleichsweise hohes Alter. Brunetti hat im Juni 2021 im GeldcastExterner Link gesagt, dass er nicht zur Verfügung stehe.

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