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Durchs Herz des Gotthard-Basistunnels

Keystone

Wegen der berüchtigten Piora-Mulde mit ihrem zuckerförmigen Dolomitgestein wäre der neue Basistunnel am Gotthard fast gescheitert. Doch im Berg hat sich der Optimismus der Tunnelbauer durchgesetzt: Die heikle Piora-Mulde ist fast durchbohrt.

Von der Alptransit-Baustelle in Faido führt die Fahrt mit dem Bus steil nach unten ins Berginnere. 2,7 Kilometer bei 12 Steigungsprozenten: Dann ist man auf dem Tunnelniveau des künftigen Gotthardbasistunnels – rund 18 Kilometer vom Südportal in Bodio und 38 Kilometer vom Nordportal in Erstfeld entfernt.

Hier befindet sich die so genannte Multifunktionalstelle Faido. Dereinst können an dieser Stelle Züge von der West- in die Oströhre wechseln und umgekehrt. Räume von der Dimension einer Kathedrale tun sich auf. “Glück auf!” steht auf Deutsch an der Decke als Motto für die Bergleute. Eine kleine Statue der Heiligen Barbara – der Schutzpatronin der Mineure – ist ebenfalls auszumachen.

Zum Glück lief es bisher rund

Mit dem Betriebszug geht es in der Oströhre weiter Richtung Norden. Nach rund vier Kilometern ist es soweit: Der nördlichste Punkt des Vortriebs in Richtung Sedrun ist erreicht. Die gewaltige Tunnelbohrmaschine (TBM) von 430 Metern Länge steht allerdings still, als erstmals Medienvertreter in die Piora-Zone vorgelassen werden.

“Diese Zone hätte den Gotthard-Tunnel fast verhindert”, sagt Heinz Ehrbar, Leiter Tunnel- und Trasseebau der AlpTransit Gotthard AG während der rappeligen Fahrt Richtung Piora-Zone. “Glücklicherweise ist es nicht passiert.”

Ehrbar erinnerte damit an den Expertenstreit über die Neat Anfang der 1990er-Jahre: Damals stellten einige Geologen den Bau des Gotthardtunnels wegen kaum zu bewältigender Störzonen – darunter die bereits gemeisterte Calvaniev-Zone mit dem Tavetscher-Zwischenmassiv und die Piora-Mulde – in Frage.

Einmal mehr entbrannte die Debatte um Gotthard- und /oder Lötschbergtunnel. Und als Ende März 1996 eine Kernbohrung im Erkundungs-Stollen auf die Piora-Mulde traf und 1400 Kubikmeter Gestein und Wasser aus dem Bohrloch flossen, sass der Schock tief.

Grosses Aufatmen

Das ist mittlerweile Geschichte. Dank aufwändiger Sondierbohrungen konnte festgestellt werden, dass das zuckerförmige Dolomitgestein der Piora-Mulde nicht bis auf Tunnelniveau reicht. “Ein Gipshut hat uns gerettet”, sagt Ehrbar. Denn auf der Höhe des Basistunnels besteht der Piora-Abschnitt aus hartem Dolomitmarmor ohne Wasserdruck, wie Renzo Simoni, der Vorsitzende der Geschäftsleitung der AlpTransit Gotthard AG, ausführt. Der Gipshut trennt diese Schicht vom zuckerförmigen Gestein in oberen Lagen.

Die Erleichterung über diesen Befund ist enorm. Der Piora-Abschnitt ist zwar nur 150 Meter lang, doch im Falle des zuckerförmigen Dolomitgesteins wären extrem aufwändige Arbeiten zur Traversierung nötig gewesen. Jetzt konnte man mit der Tunnelbohrmaschine diesen Abschnitt anfahren. 10 Meter am Tag schafft das Monstrum. Dreiviertel der Strecke sind ausgebrochen. Bis Mitte Oktober sollte der Piora-Abschnitt in der Oströhre ganz durchbohrt sein.

Noch bleibt viel Arbeit

Grund zum Aufatmen gibt es, doch längst sind nicht alle Gefahren gebannt. So besteht die Möglichkeit, dass die TBM wegen des hohen Drucks eingeklemmt wird. Um dies zu verhindern, werden hinter dem Bohrkopf Stahlringe mit einem Abstand von einem Meter eingebaut und weitere Sicherheitsvorkehrungen getroffen.

Zudem ist die Strecke zwischen Sedrun und Faido jene Zone des Gotthard-Basistunnels, wo die höchsten Überlagerungen (1500 Meter an Fels) und mit über 50 Grad die höchsten Gebirgstemperaturen auftreten. Da ist die Angst gegenwärtig, dass doch noch Störzonen mit Wasserauftritt auftauchen könnten.

Die Verantwortlichen der Alptransit Gotthard AG geben sich gleichwohl zuversichtlich, den Zeitplan einhalten zu können. Im Moment sind 77 Prozent des Gotthard-Basistunnels ausgebrochen.

Mit dem Hauptdurchschlag zwischen den Abschnitten Faido und Sedrun wird in der ersten Hälfte des Jahres 2011 gerecht. Der kommerzielle fahrplanmässige Betrieb des Gotthard-Basistunnels – des längsten Eisenbahntunnels der Welt – sollte Ende 2017 erfolgen.

swissinfo, Gerhard Lob, Faido

Am Gotthard werden gleichzeitig vier Tunnelbohrmaschinen (TBM) eingesetzt. Die bisherige Rekorddistanz des 2700 Tonnen schweren Ungetüms beträgt rund 40 Meter pro Tag. Die durchschnittliche Tagesleistung liegt bei 15 bis 18 Metern.

Angetrieben werden die 440 Meter langen TBM von zehn Motoren. Der Bohrkopf weist einen Durchmesser von 9,63 Metern auf. Er ist mit 62 Rollenmeisseln besetzt.

Nach 16 Stunden Betrieb werden die Maschinen jeweils gewartet. Dann müssen Teile der Rollenmeisseln ersetzt werden.

Der Stromverbrauch des Ungetüms ist mit maximal 63 MWh pro Tag enorm. Er entspricht dem Verbrauch von 4200 Einfamilienhäusern. Bedient wird eine Maschine von 18 bis 20 Mann.

Weltweit hat die Firma Herrenknecht rund 250 TBM im Einsatz. Aber nirgendwo sind die Maschinen derart extremen Belastungen ausgesetzt wie am Gotthard.

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