The Swiss voice in the world since 1935
Top Stories
Schweizer Demokratie
Newsletter

Hochwasser in Bern: Ein Monat danach

Offensichtliche Erinnerung: Die gegen die Fluten eingesetzten Sandsäcke harren auf ihren Abtransport. swissinfo.ch

Vor einem Monat wurden weite Teile der Schweiz von Unwettern heimgesucht, die mehrere Tote forderten. Hunderte verloren Heim, Hab und Gut.

Betroffen wurde auch das historische Berner Matte-Quartier, nachdem die Aare ihr Bett verlassen hatte.

Tagelang strömte die aus dem Berner Oberland kommende Aare mitten durch die Berner Matte, nachdem ein riesiger Schwemmholzteppich ihren natürlichen Lauf versperrt hatte.

Sie riss alles mit, was sich auf den Strassen und Gassen befand: Autos, Motorräder, Abfallcontainer – alles was nicht niet- und nagelfest war.

Viele Häuser standen bis zu 2 Metern im Wasser, die Menschen wurden mit Booten und Helikoptern evakuiert.

Verwüstungen

Nach dem Rückzug der Wassermassen blieb zum Teil bestialisch stinkender Schlamm zurück. Deshalb mussten sämtliche Waren, die sich in den Erdgeschossen und Kellern befanden, entsorgt werden.

In den sonst von geschäftigem Treiben belebten Gassen glotzen nun, statt netten kleinen Läden, Boutiquen und gemütlichen Restaurants, dunkle Löcher wie leere Augenhöhlen auf die von Wasser und Schlamm befreiten Strassen hinaus.

Alle im Bereich der Fluten gelegenen Wohnungen und vor allem die Geschäfte sind inzwischen geräumt worden. Drinnen summen Trocknungsapparate, und draussen stehen gefüllte Abfallmulden.

Das Leben regt sich wieder

In der Matte gibt es keine offene Restaurants mehr. Das «Katastrophenbeizli», behelfsmässig in einem Zelt eingerichtet, gilt als Treffpunkt vieler «Mätteler», die inzwischen wieder in ihre Wohnungen zurückgekehrt sind. In einem Container hat das Restaurant Fischerstübli provisorisch seinen Betrieb aufgenommen.

Ausser dem Matte-Quartierladen, der sich in einem Container eingerichtet hat, gibt es keine geöffneten Geschäfte.

Die «Mätteler» sind auf eine Einkaufsmöglichkeit in ihrem Quartier angewiesen: Froh ist aber auch das Heer der mit Aufbau- und Instandstellungs-Arbeiten beschäftigten Handwerker. Zudem kann dort jedermann dort sein Mittagessen in mikrowellentauglichem Plastikgeschirr aufwärmen lassen – gratis, versteht sich.

Einige der geschlossenen Läden werden ihren Betrieb wohl nicht mehr aufnehmen. Nach den Überschwemmungen 1999 und im letzten Jahr hat einige Unternehmer der Mut verlassen. Die anderen rechnen mit einer Wieder-Eröffnung frühestens gegen Ende dieses Jahres.

Noch keine Normalität

Die Stromversorgung der Matte-Häuser ist meist noch behelfsmässig: Dicke orange Stromkabel ziehen sich wie Girlanden den Häuserfassaden entlang. Provisorische Verteilkästen führen die Elektrizität ins Innere. Heizungen und Waschküchen sind häufig noch nicht in Betrieb.

Das Ausmass der Schäden ist noch nicht klar. Für praktisch jedes der betroffenen Häuser haben die Zerstörungen Schäden verursacht, deren Behebung in die Hunderttausende von Franken geht.

Starker Zusammenhalt

Die Menschen in der Matte gelten seit jeher als verschworene Gemeinschaft. «Ich habe das Gefühl, in einem Dorf in der Stadt zu leben. Der Zusammenhalt ist sehr stark,» sagt Esther Friedli, Matte-Bewohnerin und Vorstandsmitglied des Quartiervereins Matte-Leist gegenüber swissinfo. «Und in den letzten Wochen sind wir uns noch näher gekommen.»

Entspannung und angestaute Wut

Die Situation entspannt sich zunehmend. Dies stellt man auch im Matte-Laden fest. Ungehalten ist man jedoch noch immer, vor allem über die Stadtregierung.

Der Verkäufer bringt die seiner Meinung nach zu passive Haltung der Behörden auf den Punkt: «In diesem Herbst kommt der Bericht über das Hochwasser von 1999 vor die Stadtregierung!»

Wurde aus der Vergangenheit nichts gelernt? Esther Friedli: «Zu Beginn der Katastrophe, als es um die Evakuierungen ging, wurden wir sehr spät informiert. Das ist ein Kritikpunkt an den Behörden.»

Die Bewohnerinnen und Bewohner der Matte sind sich bewusst, dass die Probleme bis zum nächsten Frühling, wenn die Hochwassergefahr wieder steigt, nicht gelöst sein werden. Esther Friedli: «Das Ausbaggern des Aarebetts in den Wintermonaten könnte jedoch als eine erste Massnahme die Hochwassergefahr mindern.»

Weiter verlangen die Matte-Bewohner so schnell wie möglich ein Alarmierungssystem, auch eines für die Geschäftsleute, die oft nicht in der Matte wohnen.

Zudem müsse für die Schwelle eine Lösung gefunden werden, damit sich das Schwemmholz nicht mehr so verkeilen könne.

swissinfo, Etienne Strebel, Matte, Bern

In der Nacht vom 21. auf den 22. August trat die Aare in Bern über die Ufer und setzte das Matte-Quartier bis 2 Meter unter Wasser.
In den folgenden Tagen musste das gesamte Quartier evakuiert werden.
Die Schäden gehen in die Millionen.
Der Quartierverein Matte-Leist hat ein eigenes Spendenkonto eröffnet, auf dem bereits gegen 200’000 Franken eingegangen sind.
Um die Verteilung der Gelder kümmert sich eine unabhängige Kommission.
Die Koordination mit der Glückskette soll garantieren, dass die Hilfe an den richtigen Ort gelangt und dass niemand doppelt profitiert.

Die Baudirektorin des Kantons Bern hat sich nach der Hochwasser-Katastrophe mit 18 Aare-Anstösser-Gemeinden auf ein Programm mit 24 Einzelmassnahmen für einen besseren Hochwasserschutz geeinigt.

Unter dem Eindruck des August-Hochwassers sind scheinbar viele Gemeinden bereit, konventionelle planerische Wege zu verlassen.

Als Bremser haben sich einzelne Einsprecher erwiesen. Als der prominenteste gilt ein Mitglied der Berner Stadtregierung, Kurt Wasserfallen, der als Privatperson einige Hochwasser-Schutzprojekte entlang der Aare bekämpft.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft