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“Katastrophe mit apokalyptischem Ausmass”

Der Psychologe Peter Fässler betreute in Phuket Opfer der Flutwelle. Keystone

Während 6 Tagen hat der Psychologe Peter Fässler in Phuket Opfer des Seebebens betreut. Die Katastrophe sprenge alles, was er bisher gesehen habe.

Im Gespräch mit swissinfo schildert Fässler, was er im thailändischen Touristenort antraf und wie er überlebenden Flutopfern half.

swissinfo: Herr Fässler, was haben Sie in Phuket bei Ihrer Ankunft angetroffen?

Peter Fässler: Ich traf eine unbeschreibliche, beinahe apokalyptische Katastrophe an. Bungalows, Hotelanlagen, ganze Ressorts waren zerstört. Aufeinandergestapelte Autos lagen irgendwo auf einem Felsen. Ein Schiff der Marine, etwa 20 Meter lang und 10 Meter breit, steht jetzt 1,5 km im Landesinneren. Bilder, wie man sie sich schlicht nicht vorstellen kann. Ein unbeschreibliches Ausmass an Zerstörung.

swissinfo: Was war Ihre Aufgabe dort, und welche Hilfestellungen konnten Sie in der ersten Phase leisten?

P.F.: Nach der Flutwelle reagierte die Reiseversicherung Elvia schnell und schickte mich sogleich nach Phuket, um vor Ort abzuklären, was dort benötigt wird. Ich hatte den Auftrag, neben der medizinischen auch die psychologische Versorgung sicherzustellen, oder mindestens ein entsprechendes Angebot einzuleiten. Dass wir einige Verschollene finden konnten, hatte uns in unserer Arbeit sehr bestätigt.

swissinfo: Inwiefern unterschied sich Ihr Einsatz in Phuket von ihren bisherigen Einsätzen in Katastrophengebieten?

P.F.: Es war bisher keine Katastrophe vergleichbar mit einer anderen. Was hier in ganz Asien geschah, war ein Szenario, wie ich es mir bisher schlicht nicht vorstellen konnte. Man stellt als krisenerfahrener Mensch Szenarien her, um Therapeuten schulen zu können. Die bisherigen Szenarien waren jedoch lächerlich im Vergleich zu dem, was wir in Phuket angetroffen hatten.

swissinfo: Welche langfristigen Folgen kann eine solche Katastrophe für die Überlebenden haben?

P.F.: Diese Katastrophen haben immer langfristige Folgen. Wir wissen, dass ein Teil der Betroffenen damit relativ gut zurecht kommt. Dann gibt es aber auch Menschen, die sich schwer damit tun und mit der erlebten dramatischen Angstsituation nicht zurecht kommen. Dann gibt es auch eine grosse Gruppe von Menschen, die jemanden verloren haben oder heute noch jemanden vermissen. Sie alle haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse, denen wir Rechnung tragen müssen. Wir versuchen ihnen allen gerecht zu werden.

swissinfo: Wie können Angehörige von Vermissten ihre Trauer verarbeiten, wenn sie nie sicher sein können, ob ihre Nächsten wirklich gestorben sind?

P.F.: Das hängt letztlich wohl mit dem Papier zusammen, das den Tod des Angehörigen bestätigt. Vermisste Menschen werden allerdings frühestens nach zwei Jahren für tot erklärt. Eine Verschollenenerklärung kann erst ein Jahr nach dem Unglück angefordert werden. Treffen während einer Wartezeit von mindestens einem weiteren Jahr keine Lebenszeichen des Vermissten ein, wird er für verschollen erklärt und gilt als tot.

Wenn man die Leiche, die Asche oder die DN-Analyse seines vermissten Angehörigen hat, gibt es keinen Zweifel. Angehörige von Verschollenen dagegen zweifeln dagegen je nach Veranlagung oft jahre- wenn nicht jahrzehntelang, ob das Familienmitglied tatsächlich gestorben ist. Und das ist eine beispiellose Erschwernis der Trauerarbeit.

swissinfo: Erhalten die Angehörigen von Vermissten eine längerfristige Unterstützung in ihrer Trauerarbeit?

P.F.: Das ist auf jeden Fall so. Es gilt aber ganz klar das so genannte Holprinzip. Wenn jemand eine Unterstützung braucht, muss er sie suchen. Das kann er beispielsweise über Adressen, die bei Reisebüros aufliegen. Er kann sie auch in der näheren Umgebung seines Wohnortes suchen. Wichtig ist einfach, dass er sich mit jemandem in Verbindung setzt, der etwas von der Materie versteht.

swissinfo: Wie gehen Sie mit der starken psychischen Belastung um? Erhalten Sie ein Coaching?

P.F.: Wir tauschten uns regelmässig unter Kollegen aus. Abends besprachen wir unsere Erlebnisse, und morgens gabs ein entsprechendes Briefing. Wichtig ist auch für uns, was für die Betroffenen genauso gilt, darüber reden, reden, reden. Auch wir müssen einen Weg suchen, um uns mit dem Erlebten auseinander zu setzen. Wichtig ist, das Erlebnis nicht in sich hineinzufressen, das wäre der Anfang einer grossen Belastungsstörung.

swissinfo: Gab es auch Touristen, die dort blieben und ihren Urlaub verlängerten, um Hilfe zu leisten?

P.F.: Ich traf viele Schweizer, die ihre Hilfe zur Verfügung gestellt hatten. Einige Angebote nutzten wir auch. Diese Leute verlängerten ihren Urlaub zwar nicht, leisteten aber punktuelle Hilfe. Für uns war ihre Unterstützung recht erfrischend.

Die anderen Touristen, die einfach ihre Ferien absolvierten – manchmal in einem Hotel direkt neben einem zerstörten Ressort – die gibt es. Die wird es auch bei anderen Katastrophen geben und ich denke, diese zwei Gruppen muss man dann voneinander unterscheiden.

swissinfo, Nicole Aeby

Peter Fässler ist Leiter des Winterthurer Zentrums für Krisenintervention.
In Phuket richtete er im Auftrag der Reiseversicherung Elvia und in Absprache mit dem Aussenministerium EDA eine Anlaufstelle für Flutopfer ein.
Davor hatte er auch Angehörige der Opfer des Terroranschlags in Luxor, des Swissair-Absturzes in Halifax und des Seilbahnunglücks in Kaprun betreut.

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