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Nahrung: Heute schützen, um morgen zu essen

Rares Pflanzen-Saatgut in der Schweiz. Pro Specie Rara

Der Welt-Ernährungstag am Samstag zielt auf die Erhaltung der Vielfalt der Nutzpflanzen. In der Schweiz gibt es dazu seit langer Zeit Saatgut-Banken.

Die Vereinten Nationen mahnen, ohne Schutz der Artenvielfalt, sei das Nahrungsangebot bedroht.

Die Vereinten Nationen nutzen den Welt-Ernährungstag für einen Aufruf, den Hunger zu bekämpfen, indem die landwirtschaftliche Artenvielfalt (Biodiversität) besser genutzt wird.

In der Schweiz wird bereits seit einigen Jahren die Erhaltung der Vielfalt von Nutzpflanzen und –Tieren betrieben. Doch Fachleute warnen: Die Bemühungen sollten verstärkt werden.

Stark geschrumpfte Vielfalt

Laut der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschafts-Organisation der Vereinten Nationen, ist die genetische Vielfalt bei Nutzpflanzen im letzten Jahrhundert um 75% geschrumpft.

Dadurch sei, so die FAO, das Nahrungsangebot anfälliger geworden. Es gebe heute entsprechend weniger Gelegenheiten, Wachstum und Erneuerungen in der Landwirtschaft herbeizuführen.

Auch in der Schweiz musste die Artenvielfalt Schaden erleiden, obschon in erster Linie wildwachsende oder –lebende Pflanzen- und Tierarten betroffen sind. Eduard Hofer von Bundesamt für Landwirtschaft sagt, dass die kultivierten Pflanzenarten weniger bedroht seien.

“Die Schweiz ist vergleichsweise reich an kultivierten Arten”, sagt er gegenüber swissinfo. “Unser grösster Reichtum liegt bei den Pflanzen auf Weiden. Dort finden sich die unterschiedlichsten Ökosysteme.”

Saatgut-Banken als alte Tradition

Der Pflanzenschutz gehört in der Schweiz seit langem zu den Prioritäten. So wurden laut Hofer Saatgut-Banken bereits vor hundert Jahren gegründet. Mit diesem System werden auch Pflanzenarten aufbewahrt, die nicht mehr im Gebrauch sind.

“Saatgut-Banken sind eine Versicherung gegen sich ändernde Bedingungen, sei dies beim Klima, bei neuen Krankheiten oder bei neuen Konsumenten-Wünschen”, sagt Hofer. “In den alten Pflanzen existieren viele Gene, die auch den gängigen Pflanzen hinzugefügt werden können.”

Veranschaulicht wurde der Nutzen einer Saatgut-Bank konkret, als kürzlich japanische Agronomen eine wenig bekannte Schweizer Weizen-Art für den Anbau auf den nördlichen Hokkaido-Inseln nutzten. Diese Art ist resistent gegen kaltes und feuchtes Wetter.

Alte Arten rentieren weniger

Hofer sagt, solche Saatgut-Banken seien die effektivste Methode, die Pflanzen-Vielfalt zu beschützen. Denn es sei nicht Aufgabe der Landwirte, alte Arten zu kultivieren.

“Alle diese alten Pflanzenarten haben einen kleineren Ertrag als die heute gebräuchlichen”, sagt er gegenüber swissinfo. Es sei deshalb viel rationeller, solches Saatgut 20 Jahre im Kühlschrank zu lagern und es dann bei Bedarf zu nutzen.

Unbeliebte Nutztier-Rassen

Doch dieselbe Methode lässt sich auf alte Nutztier-Rassen, wie Rindvieh, Schweine oder Gänse, nicht gleichermassen anwenden. “Wir konnten nur wenige Arten retten”, sagt Philippe Ammann von Pro Specie Rara. Andere seien für immer ausgestorben.

Diese Vereinigung bemüht sich seit 1982 um den Schutz rarer Tierarten und –Rassen. Heute gibt es 24 einheimische Nutzvieh-Arten. Davon sind laut den FAO-Richtlinien neun als gefährdet einzustufen.

Kurzfristig ist dieses Nutzvieh zwar nicht direkt bedroht. Längerfristig jedoch ist das Überleben dieser Arten nicht gesichert.

Das Bundesamt für Landwirtschaft zahlt Zucht-Beiträge, um zur Aufzucht zu motivieren. Dazu gehört auch die Verbesserung des genetischen Reservoirs dieser raren Arten.

Auch Ammann sagt, dass viele der alten Arten wenig kommerziellen Wert für die Landwirte haben. “Ein Tierzüchter hat wenig Interesse an tiefen Renditen. Alte Tierarten können für einen landwirtschaftlichen Durchschnitts-Produzenten höchstens ein Nischen-Geschäft bedeuten.”

Andererseits schätzt Ammann, dass sich Veränderungen abzeichnen könnten. “Heute wird die Landwirtschaft immer mehr zum Zweit-Beruf. Die Leute haben nicht mehr viel Zeit, sich um das Vieh zu kümmern.”

Alte Rassen sind resistenter, also anspruchsloser

Deshalb überlegen sie sich, ob sie nicht doch lieber zu den alten Tier-Arten zurückkehren: “Die werfen zwar weniger ab, sind aber resistenter, sprich anspruchsloser.”

Laut Karin Wohlfender vom Bundesamt für Landwirtschaft sollte vermehrt für die alten Tier-Arten geworben werden. “Wir sollten ihren Nutzen für die breite Bevölkerung hervorheben”, sagt sie.

“Kulturelle Werte spielen beim Schutz der Arten eine grosse Rolle”, sagt Ammann. “Man kann sich beispielsweise im Appenzell keinen Umzug mit Rindern und Kühen vorstellen, ohne dass eine lokale Geiss den Tieren voranläuft.”

swissinfo, Scott Capper
(Aus dem Englischen von Alexander Künzle)

Die FAO schätzt, dass bei den Kulturpflanzen die genetische Vielfalt im letzen Jahrhundert um drei Viertel geschrumpft ist.

Von den über 6300 bekannten Nutztieren sind 1300 in Gefahr oder bereits ausgestorben.

Mehr als 840 Mio. Menschen leiden Hunger.

In der Schweiz gibt es heute 24 einheimische Nutzvieh-Arten.
Neun davon sind als gefährdet eingestuft.
Einheimische Pflanzen gibt es über 16’000.
Davon sind 10’000 Nutz-Pflanzen.
Pro Specie Rara wurde 1982 gegründet, um seltene Pfanzen- und Tierarten zu schützen.

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