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Slowakischer Urwald: Je wilder, desto nützlicher

Slowakische Waldforscher neben der Tafel am Eingang des Urwalds von Badinsky prales. swissinfo.ch

Was der Schweiz die Alpen, sind der Slowakei die Karpaten. Deren dichtes Netz von Waldreservaten bedarf ständiger Pflege. Mit Geld aus dem sogenannten Erweiterungsbeitrag der Schweiz sollen dortige Primärwälder besser erforscht, aber auch genutzt werden.

Gelb, rot, braun in allen Variationen: Die Farbenpracht der Herbstwälder überwältigt den Besucher, würzige Waldluft steigt in die Nase. Auf den ersten Blick unterscheidet sich der Ur- oder Primärwald Badinsky prales in den Westkarpaten bei Banska Bystrica in der Zentralslowakei kaum von einem Mischwald im Westschweizer Jura.

Die slowakischen Biologen und Waldfachleute vor Ort schmunzeln denn auch über die Bemerkung des Besuchers aus der Schweiz. Diese 30 Hektaren Urwald hier in den Westkarpaten stehen für ähnliche Waldabschnitte im Zentrum und Osten des Landes (Polana, Dobrocsky prales und die Unesco-geschützten Buchenurwälder an der Grenze zur Ukraine), für deren Ausbau und Schutz Unterstützungsbeiträge aus der so genannten  «Kohäsionsmilliarde» vorgesehen sind. 

2006 war diese von den Schweizer Stimmbürgern angenommen worden. Sie kommt den zehn neuen EU-Ländern in Mittel-und Osteuropa für Projekte im Bereich der Reformen, Sicherheit, soziale Entwicklung, aber auch Umwelt zu Gute. Von den der Slowakei zustehenden 67 Mio. Fr. Kohäsionsgelder sind allein für Projekte zugunsten der Umwelt und Infrastrukturen 24,5 Mio. vorgesehen.

In der Slowakei befinden sich zahlreiche, zum Teil vernetzte Reservate von artenreichen Ur- und Primärwäldern. Sie sind auch für die Wissenschaft von grösster Bedeutung. Von den Forschungsresultaten profitieren auch Naturwissenschaftler aus der Schweiz, deren Waldreservate im Vergleich zu jenen in den Karpaten meist stärker vom Menschen beeinflusst sind.

Gesellschaftlicher Nutzen eines (Ur-)Walds

Daten aus Urwäldern dienen zum Beispiel für Modellsimulationen, wie sich die Wälder künftig entwickeln könnten, sagt Peter Brang, Schweizer Waldforscher von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. Mit solchen Modellen lasse sich zum Beispiel auch der Einfluss des Klimawandels auf das Waldwachstum abschätzen.

Wälder regulieren Wasserflüsse, binden Kohlenstoffe, schützen vor Lawinen und beugen der Bodenerosion vor, was nicht nur ökologisch gut ist, sondern auch der Gesellschaft dient. Das Projekt im Osten des Landes soll deshalb dem Aus- und Aufbau von Informationen und Kompetenzen sowohl in der Slowakei als auch in der Schweiz dienen.

Gen-Reservoir, Freiluft-Labor und Attraktion in einem

«Die Reservate sind für die Bewahrung der Artenvielfalt, also der Biodiversität, unentbehrlich», sagt Jan Kadlecik gegenüber swissinfo.ch. Der slowakische Wissenschaftler, der für die Staatliche Naturschutzbehörde arbeitet,  führt die Besucher aus der Schweiz über einen kaum sichtbaren Waldpfad im Urwald. «Wichtig ist auch die Funktion der Reservate als Reservoir für genetisch vielfältige Baumarten, als Freiluft-Labor für Forscher und als vorsichtig zu vermarktende Attraktion für fachkundige Touristen.»

Je tiefer die Besucher in den Urwald eindringen, umso höhere und dickere Bäume finden sie vor, desto mehr totes Holz liegt herum. Wasserquellen brechen aus dem Waldboden heraus und schwemmen Erde weg: Der Unterschied zum ’normalen› Wald wird immer offensichtlicher.

300-jährige Föhren, 200-jährige Buchen

Baumarten aus dem gemässigten Klimabereich wie Tannen, Buchen oder Ulmen wachsen im Urwald über Jahrzehnte zu wahren Giganten heran. «Die Föhren können bis 400 Jahre alt werden», sagt Jan Kadlecik. «Hier haben wir 300-jährige Exemplare, und 200-jährige Buchen.»

«Ausserdem leben hier auch alle grösseren Raubtierarten Europas, wie Bär, Wolf, Fuchs, Luchs, Wildkatze oder Marder» – Kadlecik zeigt auf eine frische Kotspur ausgerechnet auf einem liegenden Baustamm, über den der Waldpfad führt, und kommentiert lachend: «Das Raubtier will uns Besuchern mitteilen, dass dies sein Terrain ist und dass wir hier stören!»

Urwald inklusive Pufferzone

Auf den 150 Hektaren (ha) des Urwalds von Badinsky prales existieren 140 Pflanzenarten, davon 34 Baum- und Holzpflanzenarten. Viel grösser als das Kern-Reservat, in dessen 30 ha umfassendes Gebiet eigentlich niemand eindringen darf, ist die so genannte Pufferzone: Sie umfasst über 120 ha und soll den zu konservierenden Waldteil vor direktem Kontakt mit der Landwirtschaft schützen.

«Scheinbar ein Luxus, aber eigentlich notwendig», meint dazu Waldforscher Brang. «Die Schweizer Urwälder bei Brigels und Derborence besitzen aus Platzgründen keine Pufferzone. Auch im Nationalpark in Graubünden, der 1914 errichtet wurde, gibt es erst streckenweise eine Pufferzone.»

Universität Bern als Partner

Die Pufferzone solle nicht nur schützen, sondern auch nützen, sagt Heino Meessen, Landschafts-Ökologe am Centre for Development and Environment (CDE) der Uni Bern. Er ist der fachliche Schweizer Verbindungsmann zu Kadleciks Staatlicher Naturschutzbehörde: «Mögliche Nutzer, die Bevölkerung, die Land- und Holzwirtschaft, müssen in die Projekte miteinbezogen werden, ebenso Infrastruktur-Projekte in der Gegend», so Meessen.

Für den Schutz der vom Schweizer Erweiterungsbeitrag unterstützten Urwaldprojekte kann das slowakische Umweltministerium auf die wissenschaftliche Unterstützung des Berner Instituts zählen. «Diese Art der Zusammenarbeit und die Ansätze der wirtschaftlichen Entwicklung bei Projekten, die Naturschutz in Gross-Schutzgebieten vorsehen, sind ein Novum», sagt Meessen.

Die Erfahrung des Berner Instituts in anderen Teilen der Welt zeige, dass rein ökologisch ausgerichtete Schutzprojekte unrealistisch seien, wenn wirtschaftliche Aspekte nicht auch einbezogen würden.  

Der Wald ist eines der wichtigsten Ökosysteme der Welt. Global ist es aber um die Wälder nicht gut bestellt (Rodung, Abholzung, etc.)

2011 ist von der UNO zum internationalen Jahr des Waldes erklärt worden.

Die grössten Waldgebiete Europas befinden sich in Polen und der Ukraine.

Ein Gürtel ‹gemässigten Waldes› zieht sich von Frankreich über Mittel-/Nordeuropa den Alpen entlang bis nach Osteuropa.

Gemässigte Wälder bestehen aus Laub- und Nadelbäumen. Für stete Feuchtigkeit sorgt der gleichmässig über das Jahr verteilte Niederschlag.

Gemässigte Wälder sind zwar weniger artenreich als tropische Wälder. Dennoch sind sie ein wichtiger Lebensraum für Pflanzen und Tiere.

Herausforderungen für diesen Waldtyp sind die Zersiedelung durch den Menschen und der Klimawandel.

Die Slowakei zählt 5,4 Mio. Einwohner auf einer Fläche von 49’000 Quadratkilometern.

Die Schweiz zählt rund 7,8 Mio. Einwohner auf einer Fläche von 41’300 Quadratkilometern.

2009 betrug die slowakische Kaufkraft im Vergleich zum EU-Durchschnitt 73%.

Rund ein Drittel der slowakischen Fläche sind Waldgebiete – der Anteil entspricht etwa jenem in der Schweiz.

Ein Fünftel dieses Anteil ist in der Slowakei stark geschützt. In der Schweiz sind es zur Zeit schätzungsweise etwa 3,5% bis 6,6%.

Die Schweiz unterstützt die Slowakische Republik mit 67 Mio. Franken. Zum Vergleich: Die EU-Fördergelder (2007/13 betragen 10,2 Mrd. Euro).

Das Geld stammt aus dem Erweiterungsbeitrag («Kohäsionsmilliarde»), den das Schweizer Volk 2006 genehmigt hat, zwei Jahre nach dem Beitritt der zehn neuen Länder Europas zur EU.

Die Mittel sind zur Verminderung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten bestimmt. Finanziert werden konkrete Projekte in den Bereichen Sicherheit, Stabilität, Reformen, Umwelt, Infrastruktur, Förderung des Privatsektors und der sozialen Entwicklung.

40% der Mittel sollen in strukturschwachen Regionen im Osten eingesetzt werden. Für das Biodiversitäts-Projekt in den Karpaten sind bis 2016 fast 2,1 Mio.Franken Kohäsionsbeiträge vorgesehen.

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