USA: Attraktiv für Schweizer Forscher
Was zieht junge Schweizer in die USA? Der Novartis-Entscheid, die Forschung von Amerika aus zu führen, brachte das Thema wieder ins Bewusstsein.
Christian Simm, Leiter des Schweizer Büros für Wissenschaft und Technologie in San Francisco, hat sich intensiv mit jungen Schweizer Forschenden in den USA beschäftigt. Vom häufig gehörten Schlagwort «Brain drain», dem Abzug von Wissens-Substanz aus der Schweiz, hält er nicht viel.
«Ich würde es eher ‹Brain circulation› nennen», sagte er gegenüber swissinfo. «Denn bevor ich gestorben oder zumindest pensioniert bin, kann niemand sagen, ich sei in die USA abgezogen.»
Simm, promovierter Physiker von der ETH Lausanne, organisiert das Netzwerk «Swiss Talents», dem topqualifizierte Berufsleute aus der Schweiz oder mit engen Bindungen zur Schweiz angehören.
«Wir kennen die genauen Zahlen nicht, doch von den insgesamt 500’000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern sind etwa 5000 als Wissenschaftler oder Ingenieure in den USA», erklärt er.
Einmalige Wissenschafts-Umgebung
Einer davon ist Daniel Kaufmann. Der Spezialist für Infektions-Krankheiten stammt aus Lausanne, er hat dort und in Zürich studiert. Seit einem halben Jahr ist Kaufmann dank einem Schweizer Stipendium in Boston, wo er die Unterschiede zwischen der Schweiz und den USA selber erlebt.
Er verstehe klar, weshalb der Pharmakonzern Novartis beschlossen habe, seine Aktivitäten zu verlegen (siehe Link), erzählt er. «Die Region Boston ist ein herausragender Ort, um als Wissenschaftler zu arbeiten. Herausragend nicht nur verglichen mit anderen Ländern, sondern auch einmalig im Vergleich mit anderen akademischen Zentren in den USA.»
Andere Fachleute gleich um die Ecke
«Natürlich gibt es gute Forschungs-Zentren in der Schweiz. Doch einmalig ist hier die beeindruckende Konzentration von Weltklasse-Leuten am gleichen Ort», schwärmt Kaufmann. Dazu komme die rasche Entwicklung der Kenntnisse in Lebenswissenschaften, Computer-, Mikro- und Nanotechnologie.
«Die Teamarbeit ist beeindruckend. Wenn man eine Technik nicht beherrscht, findet man immer gleich um die Ecke jemanden, der helfen kann.»
Auffällig ist für Kaufmann in Boston die Nähe von akademischem Betrieb und der forschenden Industrie. «Das ist wichtig, weil beide davon profitieren. Ich bin sicher, die Nähe zur akademischen Welt hat den Entscheid von Novartis beeinflusst.»
Höhere Risiko-Bereitschaft in den USA
Christian Simm geht davon aus, dass eine Entwicklung wie das weltbekannte «Silicon Valley» oder die Vorreiterrolle der Region Boston in der biomedizinischen Forschung wohl kaum nachahmbar seien. «In Silicon Valley leben und arbeiten 3,5 Millionen Menschen. Das ist die Hälfte der Schweizer Bevölkerung», gibt er zu Bedenken.
Allerdings: Nicht nur die Grösse sei ausschlaggebend, betonen sowohl Simm wie auch Daniel Kaufmann. Sie orten grosse Unterschiede zwischen Schweizern und Amerikanern in der Bereitschaft, Risiken einzugehen.
«In Europa sind die Leute sehr zurückhaltend, bevor sie jemandem die Mittel geben, um etwas anzupacken», so die Erfahrung von Kaufmann. «Hier hat man mehr Vertrauen in die Innovations-Fähigkeit von jungen Leuten. Das Tempo, in dem erste Hypothesen zu Forschungs-Projekten werden, ist enorm.»
Vincent Landon, Boston
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