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Weniger Armut, auch dank guter Konjunktur

Für Familien von Alleinerziehenden besteht das grösste Armutsrisiko. Keystone

In der Schweiz sind rund 360'000 Menschen arm. Ein Drittel davon sind so genannte Working Poor, das heisst Personen, die trotz voller Erwerbstätigkeit unter der Armutsgrenze leben.

Die Zahlen sind dank guter Wirtschaftslage deutlich rückläufig. Anteil an den tieferen Zahlen hat aber auch eine neue Berechnungsmethode. Diese stösst allerdings auch auf Kritik.

Die Zahl der Menschen, die in der Schweiz trotz Erwerbstätigkeit unter der Armutsgrenze leben, ist bisher offenbar überschätzt worden. Nach neuesten Rechenmethoden des Bundesamtes für Statistik (BFS) gab es 2005 knapp 150’000 Working Poor. Das ist die tiefste Quote seit mehreren Jahren.

2005 waren rund 8,5% der Schweizer Bevölkerung im Alter von 20 bis 59 Jahren von Armut betroffen. Fünf Jahre zuvor waren es noch 9,1%. Auch die Zahl der Working Poor hat im gleichen Zeitraum von fünf auf 4,2% abgenommen, wie der am Montag veröffentlichten Statistik des BFS zu entnehmen ist.

2005 lebten rund 125’000 Personen in der Schweiz trotz voller Erwerbstätigkeit unter der Armutsgrenze.

Die stärkste Abnahme verzeichnete das BFS zwischen 2000 und 2002 und führt dies auf die günstige Konjunktur und die damit verbundene sinkende Arbeitslosenquote zurück. Zwischen 2002 und 2004 stieg die Quote allerdings wieder an, um im 2005 wieder leicht zu sinken. Die Zahl der Working Poor reagiert laut BFS mit einer gewissen Verzögerung auf die Konjunktur.

Kinder als Armutsrisiko

Gemäss der Statistik erhöhen vor allem Kinder das Armutsrisiko: So kommen jede sechste kinderreiche Familie und jeder zehnte Alleinerziehende nur mit harten finanziellen Entbehrungen über die Runden.

Auch unqualifizierte Erwerbstätige, Selbstständige sowie Ausländerinnen und Ausländer laufen vermehrt Gefahr, in die Armut abzurutschen. Überdurchschnittlich betroffen sind zudem Personen mit Erwerbsausfällen oder mit einem befristeten Vertrag.

Keine ungeteilte Zustimmung

Ruedi Hofstetter, Chef des Sozialamtes des Kantons Zürich begrüsst gegenüber swissinfo, dass die Berechnung an die SKOS-Richtlinien angepasst wurden. “Früher wurden teilweise auch Leute, die nur wenige Stunden pro Woche arbeiteten, als Working Poor erfasst. Dem ist heute nicht mehr so”.

Für Hofstetter ist klar, dass die gute Wirtschaftslage einen Einfluss auf die Zahl der Working Poor hat und diese deshalb abnimmt.

Die Berechnungen des Bundes stossen beim Hilfswerk Caritas auf Kritik: Caritas-Direktor Jürg Krummenacher kritisiert, dass das BFS die Armutsgrenze neu festgelegt habe, ohne dass dies aus der Medienmitteilung hervor gegangen wäre.

Die neuen Zahlen lägen um rund 40% unter den Armutsquoten, die das BFS selber im Jahr 2004 veröffentlicht habe, sagte Krummenacher.

Letztes Jahr schätzte die Caritas in einem Bericht die Zahl der Armen auf eine Million. Im Gegensatz zum BFS untersuchte die Caritas aber auch die Armut bei Kindern und Rentnern, und nicht nur bei Erwerbstätigen.

Nur “relative” Berechnung der Armutsgrenze

Von einer “relativen” Berechnung der Armutsgrenze spricht auch SKOS-Präsident Walter Schmid. Das Amt habe die SKOS–Richtlinien nur zurückhaltend verwendet. So seien beispielsweise Zahnarztkosten oder Sonderausgaben für Schüler nicht in die Berechnungen mit eingeflossen.

Und Michel Cornu, Chef des Lausanner Sozialamtes, sagt gegenüber Radio Suisse Romande, dass wohl der Armutssatz gesunken sei, also die Anzahl der armen Personen, die in Prozent der Erwerbsbevölkerung ausgedrückt wird.

Das bedeute jedoch nicht, dass die Zahl der Armem tatsächlich zurückgegangen sei. “Denn für die armen Arbeitnehmer hat die SKOS eine sehr präzise Definition, welche jene Leute nicht berücksichtigt, die auf Abruf arbeiten oder Teilzeit, ohne dies gewählt zu haben.”

swissinfo und Agenturen

Gemäss der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) liegt die statistische Armutsgrenze bei 2200 Franken monatlich für Alleinstehende, für Alleinerziehende mit zwei Kindern unter 16 Jahren bei 3800 Franken. Für Paare mit zwei Kindern liegt sie bei 4600 Franken.

Davon sollte es in der Schweiz möglich sein, die Miete, die Krankenversicherungs-Grundprämie und den Grundbedarf abzudecken. Für weitere Auslagen bleiben noch 100 Franken übrig.

All jene Personen, die nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge und Steuern ein monatliches Einkommen unter diesen Werten haben, gelten als arm.

Als Working Poor werden jene Personen bezeichnet, die mindestens eine Stunde pro Woche arbeiten und in einem Haushalt leben, der mindestens über ein volles Erwerbspensum verfügt.

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