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Wissenschaftsrat warnt vor Ärztemangel

Ärzte-Ausbildungsplätze sind in der Schweiz begrenzt, dafür braucht es mehr ausländische Ärzte. Keystone

In der Schweiz steigt der Bedarf an Ärztinnen und Ärzten, im laufenden Jahr gab es aber nur knapp 1000 Studienplätze. Der Wissenschaftsrat verlangt 20% mehr Ausbildungsplätze.

Das Gesundheitssystem kann laut dem Gremium nur dank einem starken Zustrom ausländischer Ärzte aufrecht erhalten werden.

Die ärztliche Aus- und Weiterbildung muss reformiert werden. Dies ist die Schlussfolgerung, die der Schweizerische Wissenschafts- und Technologierat (SWTR) in seinem am Montag präsentierten Bericht zur “Ärztedemographie und Reform der ärztlichen Berufsbildung” zieht.

Erste Massnahme sei die Erhöhung der Studienplätze an Schweizer Universitäten auf 1200, schrieb die Fachkommission, die den Bundesrat in Fragen der Wissenschafts-, Forschungs- und Innovationspolitik berät. Zudem sei die ärztliche Berufsbildung zu überdenken: Die Schweiz bilde nicht die Ärzteschaft aus, die sie brauche.

Numerus clausus überdenken

Mehr als 2000 junge Leute wollten gemäss SWTR in diesem Jahr ein Medizinstudium ergreifen. Aber es standen nur 984 Studienplätze zur Verfügung. Folge: Medizinische Fachkräfte müssen im Ausland rekrutiert werden. Der Anteil von Assistenzärzten aus der EU habe sich seit 2000 auf 39% verdoppelt.

Der SWTR stellt die Frage, ob der Zugang zum Medizinstudium per Numerus clausus weiter so zu beschränken sei, dass andernorts ausgebildetes Personal rekrutiert werden müsse. Das heutige Gesundheitssystem sei auf Immigration angewiesen und trage damit zum “brain drain” (Abwanderung von Spezialisten) aus unterversorgten Ländern bei.

Den steigenden Bedarf an Ärztinnen und Ärzten führt der SWTR auf die Reduktion der Arbeitszeiten und den zunehmenden Wunsch nach Teilzeitarbeit zurück. Zudem seien in den Spitälern die spezialisierten Leistungen stark ausgebaut worden. Die Alterung der Bevölkerung trage das Ihrige dazu bei.

Zu wenig Hausärzte

Es sei dringend erforderlich, mehr Hausärztinnen und Hausärzte für die freie Praxis auszubilden. Nur noch knapp 10% der Assistenzärztinnen und -ärzte strebten eine Weiterbildung in Allgemeinmedizin an. Das sei zu wenig. Lehrstühle und Institute für Hausarztmedizin und Praxisassistenzen seien zu fördern.

Die ärztliche Weiterbildung ist nach Ansicht des SWTR grundsätzlich zu überdenken. Heute führen in der Schweiz 44 akkreditierte Weiterbildungsprogramme zum Facharzt-Titel, der Voraussetzung für die Zulassung zur freien Praxis ist. In der EU seien nur 14 Facharzt-Titel anerkannt.

FMH ausschalten

Die Reform der Fachausbildung lasse sich nicht im Rahmen des Berufsverbandes FMH durchführen, sagte SWTR-Präsidentin Susanne Suter. Standespolitik und Weiterbildung seien zu trennen. Die medizinischen Fakultäten sollten eine Führungsrolle übernehmen, ein Institut für Weiterbildung sollte ins Auge gefasst werden.

Die Reform der ärztlichen Berufsbildung müsse wegen der langen Ausbildungszeiten rasch umgesetzt werden, verlangt der SWTR in seinem vom Staatssekretariat für Bildung und Forschung bestellten Bericht. Mit konkreten Auswirkungen auf die freie medizinische Praxis sei erst nach 12 Jahren, also frühestens 2020, zu rechnen.

Gegen die Reform der medizinischen Weiterbildung stellt sich die FMH. Ein neues Institut sei überflüssig, weil der Berufsverband bereits heute zuständig und durch das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) akkreditiert sei. Was der SWTR fordere, erbringe die FMH bereits “in schlanker Struktur”.

swissinfo und Agenturen

2006 waren in der Schweiz 29’000 Ärzte registriert, was eine Zunahme von 11% gegenüber 2000 bedeutet.
Mehr als die Hälfte davon praktizierten selbständig.
Ein Drittel waren Ärztinnen. 2000 waren es 29% gewesen.
Zwischen 2000 und 2006 verdoppelte sich die Zahl ausländischer Assistenzärzte von 1620 auf 3100.
Derweil sank die Anzahl Schweizer Spitalärzte von 6690 auf 5572.

Im Juli 2002 zog die damalige Innenministerin Ruth Dreifuss bei der Kostenexplosion im Gesundheitswesen die Notbremse und führte einen Zulassungstopp für neue Arztpraxen ein.

Der Stopp war insbesondere gegen die befürchtete Ärzteschwemme aus der Europäischen Union (EU) gerichtet. Durch die Personenfreizügigkeit im Rahmen der Bilateralen Verträge hätten EU-Ärzte leicht zahlreiche Praxen eröffnen können.

Nach drei Jahren wurde der Ärztestopp mangels Alternativen zur Kostensenkung um drei weitere Jahre verlängert. Am 3. Juli 2008 läuft er aus.

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