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Schweiz will nicht mehr Musterschülerin sein

Auch in der Ukraine im Einsatz: Schweizer Sturmgewehre. Keystone

Das Parlament beauftragt die Regierung, die Regeln über die Kriegsmaterialexporte zu lockern. Die Bürgerlichen begründen die Lockerung mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation der Schweizer Rüstungsindustrie. Pazifisten und die Linke sind empört und sehen den guten Ruf der Schweiz in Gefahr.

Es sei “ein Skandal, dass die Schweiz wirtschaftliche Interessen vor den Schutz von Menschenrechten stellt”, sagt Alain Bovard, Lobbyist und Rüstungsexperte von Amnesty International Schweiz: “Damit setzen wir die Reputation unseres Landes aufs Spiel, weil wir ein grosses Stück Glaubwürdigkeit als Vorreiterin für Menschenrechte verlieren.”

“Wir sind zufrieden. Damit kann die Schweizer Sicherheits- und Wehrtechnik-Industrie auf dem Weltmarkt wieder mit denselben Rahmenbedingungen Handel treiben wie zum Beispiel Schweden oder Österreich”, sagt dagegen Ivo Zimmermann, Leiter Kommunikation beim Verband der die schweizerischen Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie, Swissmem gegenüber swissinfo.ch.

Konkret habe der Entscheid des Parlaments zur Folge, dass die Schweizer Rüstungsindustrie auch “nach Saudi Arabien oder Pakistan exportieren kann, also auch in Länder, in denen die Gefahr besteht, dass mit Schweizer Waffen Menschenrechte verletzt werden können”, kritisiert Amnesty International.

Waffenexporte erleichtert (Sendung 10vor10 Fernsehen SRF vom 6.3.2014)

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Bundesrat muss Exportgesuche prüfen

Das Parlament schützte mit seinem Entscheid “Arbeitsplätze in einem völlig unbedeutenden Industriezweig, der gerademal 0,33% der gesamten Schweizer Exporte ausmacht”, schreibt die entwicklungspolitische Lobbyorganisation Alliance Sud: “Statt einen nachhaltigen Beitrag zur Lösung weltweiter Krisen zu leisten, will man sich ein möglichst fettes Stück vom letzten grossen Wachstumsmarkt für Kriegsmaterial in Saudi-Arabien sichern.”

Dem hält Ivo Zimmermann entgegen, “dass der abschliessende Entscheid, ob ein Exportgeschäft zustande kommt oder nicht”, auch in Zukunft in der Kompetenz des Bundesrates bleibe. Dieser werde “mit Bestimmtheit sehr gründlich prüfen, ob ein Geschäft vertretbar ist oder nicht”. Damit werde die “Gefahr, dass Menschenrechte verletzt werden könnten, minimiert”.

Im Jahr 2013 exportierte die Schweiz laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft Waffen im Wert von 462 Millionen Franken. 2012 waren es noch 700 Millionen Franken.

Das war der zweite Rückgang der Exporte seit dem Rekordjahr 2011 mit Exporten im Wert von 872 Millionen Franken.

Dennoch sind in den vergangenen zehn Jahre die Exporte gestiegen.

Waffenexporte machen – betrachtet auf einen Zeitraum von zehn Jahren -zwischen 0.17 und 0.42% der Warenexporte der Schweiz aus.

Regeln erst vor 5 Jahren verschärft

Schweizer Rüstungsexporte sind seit Jahrzehnten ein Dauerthema in der öffentlichen Diskussion des Landes. Vor sechs Jahren stand ein Volksinitiative auf der Agenda, die ein Verbot von Rüstungsexporten verlangte. Um die Chancen der Initiative an der Urne zu schmälern, verschärfte der Bundesrat  im Vorfeld der Abstimmung das Kriegsmaterialgesetz. Das Volk lehnte die Initiative ab. Die Schweiz hatte weiterhin eines der weltweit schärfsten Waffenausfuhrgesetze.

Das wird sich nun ändern. Die Änderung geht zurück auf eine Motion des christdemokratischen Schwyzer Ständerates Bruno Frick. Frick argumentiert mit “gleich langen Spiessen” für die hiesige Rüstungsindustrie, die es brauche, um die schweizerische Rüstungsindustrie zu erhalten und ihr die Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Umfeld zu garantieren. Der Bundesrat und im vergangenen September auch der Ständerat schlossen sich diesem Argument an.

Schärfstes Geschoss: Arbeitsplätze

Der Nationalrat hat am Donnerstag als Zweitkammer definitiv der Lockerung zugestimmt. Konkret wird der Artikel 5 in der Kriegsmaterialverordnung geändert. Künftig darf Kriegsmaterial nicht in ein Land exportiert werden, wenn ein “hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial für die Begehung von schwerwiegenden Menschenrechts-Verletzungen eingesetzt wird”. Bisher waren Lieferungen in alle Länder verboten, die “Menschenrechte systematisch und schwerwiegend” verletzen.

Der Entscheid im Nationalrat kam denkbar knapp und nur dank dem Stichentscheid des Präsidenten zustande. Das schärfste Geschoss der bürgerlichen Befürworter einer Lockerung war das Argument Arbeitsplätze. Rund 10’000 Stellen seien betroffen, sagte Nationalrat Raymond Clottu von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). “Den Export von Schweizer Waffen verbieten würde nicht den Frieden auf Erden bringen, aber die Schweizer Rüstungsindustrie nach und nach unterhöhlen, so dass die Produktion und das Know-how in andere Länder ausgelagert würden.”

Einsatz in der Ukraine

Der freisinnige Walter Müller sagte, es mache keinen Sinn, den Export von Luftwaffenabwehrsystemen nach Saudi-Arabien zu blockieren, denn solche System könnten nicht eingesetzt werden, um Menschenrechte zu verletzen.

Nun bestehe die Möglichkeit, dass Schweizer Rüstungsgüter auch in Ländern wie Pakistan oder Ägypten zum Einsatz kämen, die derzeit einem Pulverfass glichen, sagte der Sozialdemokrat Pierre-Alain Fridez. Gerade jetzt zeige der Einsatz von Schweizer Waffen auf dem Maidan-Platz in der Ukraine die Brisanz solcher Lieferungen.

mit Inputs von Urs Geiser

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