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“Eine Bereicherung für das Land”

Carlo Sommaruga: Zuerst muss der Grundsatz verankert werden, dass Auslandschweizer vertreten sein sollen. Ex-press

Auslandschweizer sollten ihre eigene Vertretung im Parlament erhalten, verlangt eine parlamentarische Initiative des Genfer Nationalrats Carlo Sommaruga. Die grosse Parlamentkammer wird sich in dieser Session damit auseinandersetzen.

Mit einem Potenzial von 120’000 eingeschriebenen Stimmenden entwickeln sich die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer langsam zu einem nicht mehr zu vernachlässigenden politischen Faktor.

Doch haben sie ein Problem. Ihr Stellenwert kommt nicht zur Geltung, da sie auf die verschiedenen Herkunfskantone aufgesplittert sind. Kandidaturen von Auslandschweizern haben somit kaum Chancen gegenüber kantonalen Kandidierenden, die lokal verankert sind.

So bewarben sich zwar 44 Auslandschweizerinnen und -schweizer an den Parlamentswahlen von 2007 um einen Sitz in Bern. Aber keiner kam durch.

Es geht also um Chancengleichheit: Auf dem Papier sind ihnen die Rechte zwar zugesichert. Doch de facto bleiben sie chancenlos.

Aus dieser Situation heraus entstand die Diskussion um einen eigenen Wahlkreis für Schweizerinnen und Schweizer mit Wohnsitz im Ausland. Italien kennt bereits ein ähnliches Modell.

Die parlamentarische Initiative des sozialdemokratischen Nationalrats Carlo Sommaruga zielt ebenfalls in diese Richtung, wobei sie Details bei Prozeduren und Terminen offen lässt.

Zuerst sollte eine Repräsentanz der Auslandschweizer im Ständerat (der Kammer der Kantone), und dann erst im Nationalrat eingerichtet werden.

Im vergangenen Februar setzte sich die Staatspolitische Kommission des Nationalrats mit dem Problem auseinander, verwarf aber knapp einen Vorschlag zu einer entsprechenden Verfassungsänderung.

Im Plenum des Nationalrats ist ein Eintreten für die laufende Sommersaison vorgesehen.

swissinfo: Der Entscheid der Staatspolitischen Kommission hat überrascht. Was erwarten Sie vom Entscheid im Nationalrat selbst?

Carlo Sommaruga: Überrascht hat der Umstand, dass sich die Ja- und Nein-Stimmen nicht entlang dem üblichen Rechts-Links-Schema verteilen.

Das lässt mich hoffen, dass in allen politischen Vertretungen ein Verständnis besteht, das Anliegen weiter zu tragen.

Die Debatte verläuft eher zwischen jenen, die eine Modernisierung der Institutionen wünschen, um sie der neuen politischen Wirklichkeit anzupassen, und den institutionell Konservativen.

swissinfo: Was die Modalitäten betrifft, bleibt ihr Vorschlag recht offen. Weshalb?

C.S.: Ich formulierte die parlamentarische Initiative möglichst offen, um das prioritäre Ziel, die Repräsentanz, nicht zu bremsen.

Das Schweizer Politik-System ist ausserdem mit den drei Ebenen kommunal, kantonal und eidgenössisch höchst komplex.

Jede Lösung muss dies berücksichtigen. Ganz im Gegensatz zu Frankeich oder Italien, die eine solche Aufteilung nicht kennen.

Deshalb hat es mich erstaunt, dass einige Leute in der Kommission die Gelegenheit nicht nutzten. Es geht ja um den Grundsatz der Vertretung der Auslandschweizer, und nicht um die exakte Art und Weise der Ausgestaltung.

Einige der Fortschrittlicheren finden ausserdem, dass die Integration der in der Schweiz ansässigen Ausländer in den politischen Prozess nötig wäre, noch bevor man sich mit der Repräsentanz der Schweizer, die im Ausland ansässig sind, befasst.

Für mich wäre es denkbar, beide Aspekte parallel zu behandeln.

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ASO

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) vertritt in der Schweiz die Interessen der rund 650’000 Auslandschweizerinnen und -schweizer. Sie informiert die Landsleute im Ausland über das Geschehen in der Schweiz und bietet ihnen eine breite Palette von Dienstleistungen an. Die 1916 gegründete Organisation wird von rund 750 Schweizervereinen und schweizerischen Institutionen in aller Welt getragen.

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swissinfo: Weshalb schlagen Sie vor, bei einer Vertretung im Ständerat zu beginnen?

C.S.: In den kleinen Kantonen könnten Befürchtungen entstehen, dass die Vertretung der Auslandschweizer zu grosse Dimensionen annimmt. Eine Vertretung im Ständerat hätte deshalb den Vorteil, die heute bestehende Verteilung nicht übermässig zu strapazieren.

Andererseits stimmt es, dass institutionell gesehen diese ständerätliche Vertretung auf einen virtuellen 27. Kanton hinausliefe.

swissinfo: Bei der Begründung ihrer Eingabe beziehen Sie sich auf französische und italienische Modelle. Welches wäre denn vorzuziehen?

C.S.: Spezifische Präferenzen habe ich keine. Jedoch könnte eine direkte Vertretung der Fünften Schweiz die bestehende Auslandschweizer-Organisation konkurrieren. Die ASO vertritt zur Zeit die Interessen der Auslandschweizer. In Italien ist dies in etwa mit dem Rat der Auslanditaliener passiert.

Die abgeänderte Lösung im französischen Modell würde diese Konkurrenz ausschalten. Sie sieht ein eigenes Auslandschweizer-Parlament vor und eine indirekte Wahl von Repräsentanten in die beiden Kammern der Bundesversammlung. Damit liessen sich auch alle Siedlungsgebiete der Auslandschweizer berücksichtigen.

Das Problem hier besteht darin, dass das System der indirekten Wahl den schweizerischen Traditionen nicht entspricht. Politisch jedoch spricht Vieles für eine derartige Lösung – doch bleibe ich allen Lösungen gegenüber offen.

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Fünfte Schweiz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Fünfte Schweiz bezeichnet die Gesamtheit der Schweizer Gemeinden im Ausland. Der Begriff Fünfte Schweiz nimmt Bezug auf die vier sprachregionalen Gemeinden der Schweiz (deutsch-, französisch-, italienisch- und romanischsprachige Schweiz). Über 600’000 Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland, der grösste Teil in Ländern der Europäischen Union. Ihre Interessen werden durch die Auslandschweizer-Organisation (ASO) vertreten.

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swissinfo: Könnte denn eine Auslandschweizer Vertretung im Parlament für neue Perspektiven sorgen?

C.S.: Schweizer, die im Ausland leben, haben sicher eine offenere Sicht der Dinge in Europa und weltweit als Inländer. Leute, die im Ausland ihre beruflichen und persönlichen Erfahrungen erweitern, wirken grundsätzlich bereichernd.

Deshalb glaube ich, dass unser Land von der Präsenz von Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern im Parlament profitieren würde.

swissinfo-Interview: Andrea Tognina
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

Ende 2007 lebten rund 668’000 Schweizer im Ausland, 3,6% mehr als im Vorjahr.

Fast 120’000 waren in den Stimmregistern ihrer Heimatgemeinden registriert. Ihr Stimmenpotential würde demnach vergleichsweise der Grösse von Basel Stadt entsprechen.

Über 400’000 Schweizer leben in der EU. Am meisten entfallen auf Frankreich (177’000), Deutschland (75’000) und Italien (48’000).

Weitere Schweizer “Expats” leben in den USA (74’000), Kanada (38’000), Australien (22’000), Argentinien (15’400), Brasilien (14’400), Israel (13’100) und Südafrika (9’000).

Seit 1992 dürfen im Ausland lebende Schweizer ihr Stimmrecht per Korrespondenzweg ausüben.

Dazu müssen sie sich in ein Stimmregister eintragen. Ihre Stimme geht in jenen Stimmkorb, der sich in der von ihnen zuletzt bewohnten Gemeinde oder ihrer Herkunfsgemeinde befindet.

Die Stimmregister wachsen ständig. Sie belaufen sich zur Zeit auf fast 120’000 Eintragungen bei einem Total von 670’000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern.

Nur elf Kantone sehen vor, dass “Expats” auch in den Ständerat (kleine Kammer) gewählt werden dürfen.

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