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Was bringt 2026 für die Demokratie in der Welt?

den Kopf einer Frau von hinten, die eine Schleife mit der US-Flagge in ihrem Haar trägt
"Wir, das Volk": 250 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung ist die Demokratie in den USA ein umstrittenes Thema. EPA / Olga Fedorova

Die Onlinewelt versinkt im Müll, der Champion der illiberalen Demokratie muss in die Wahl – und die liberale Demokratie feiert ihr bis anhin längstes Jubiläum. In Ländern wie Brasilien, Bangladesch und Israel stehen Wahlen an.

Wahrscheinlich versammelten sich seit Anbeginn der Menschheit Gruppen von Menschen, um zusammen zu entscheiden oder Vertreter:innen zu wählen. Doch das heutige Verständnis von Demokratie ist nicht denkbar ohne Gleichheitsprinzip und liberalen Rechten in modernen Staaten.  

Zumindest die liberale Demokratie feiert darum 2026 ihr längstes Jubiläum. «Alle Menschen sind gleich geschaffen», erklärten vor 250 Jahren 13 abtrünnige Kolonien, die bald die Vereinigten Staaten von Amerika bildeten und damit einen Staat, der bis heute Bestand hat. 

Noch vor den ersten US-Präsidentschaftswahlen schrieb der Bieler Unternehmer und Politiker Johann Rudolph Valltravers 1778 an Benjamin Franklin: «Lasst uns gemeinsam die Menschenrechte, die rechtliche Freiheit, die Toleranz und das durch ehrliche Arbeit gesicherte Eigentum verteidigen! Lasst uns die wohlverdienten Segnungen des Friedens geniessen, Kunst und Wissenschaft fördern und ein Zufluchtsort für deren unterdrückten Anhänger sein!»  

Ein Appell, der heute nicht weniger aktuell wirkt und der im kommenden Jahr zu kurz kommen könnte, in dem die Demokratie weltweit vor verschiedenen Herausforderungen steht. 

Externer Inhalt

1. Die Grenze zwischen Demokratie und Sicherheit verschwimmt

Es ist nichts grundsätzlich Neues, dass Demokratien sich sorgen wegen Versuchen, sie von aussen zu untergraben.

Doch 2026 will der Europarat sicherstellen, dass die Erhöhung der militärischen Sicherheit auf dem Kontinent mit der Erhöhung der demokratischen Sicherheit einhergeht. Sein «Neuer Demokratischer Pakt für Europa» wird die Diskussionen zwischen seinen 46 Mitgliedstaaten über Themen wie die Integrität von Wahlen vorantreiben. Der Europarat arbeitet auch an einem Übereinkommen über Desinformation und ausländische Beeinflussung.

Die Europäische Union hat Ähnliches vor. Ihr «Schutzschild für die Demokratie» umfasst Massnahmen zum Schutz der freien Meinungsäusserung, der demokratischen Institutionen und der Zivilgesellschaft in der gesamten EU. Geplant sind die Finanzierung von unabhängigem Journalismus, die Förderung von Medien- und Digitalkompetenz – und ein neues Europäisches Zentrum für demokratische Resilienz. «Die Demokratie ist unsere erste Verteidigungslinie», sagte EU-Kommissar Michael McGrath bei der Vorstellung des Projekts im November 2025.

Die Schweiz ist eher zurückhaltend: Zwar anerkennt sie, dass ausländische Akteure, vor allem Russland und China, Einflusskampagnen durchführen. Spezifische Gesetze zur Bekämpfung von Desinformation hat sie aber nicht eingeführt.

Lesen Sie auch unsere Analyse dazu, wie international kursierende Falschinformationen zur Sicherheitsfrage werden können:

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2. Die «KI-Müll»-Kaskade erstmals in grossen Wahlkämpfen

2026 werden Wahlkampagnen überall auf der Welt mit billig produzierten Videos und Bildern geflutet, die mit Künstlicher Intelligenz (KI) hergestellt sind. 

Wie eine Schicht «Sedimentgestein» habe sich «KI-Müll» 2025 in den «in den äusseren Hüllen unserer kulturellen Institutionen und sozialen Sphären» verhärtet, schrieb kürzlich der Kulturjournalist Brian Merchant. Dies gilt ebenso für die politische Kommunikation: Kitschige Landschaftsbilder vom Heimatschutzministerium und brachiale Videos von einem Comic-Trump, der im Kampfjet über New York fliegt und auf der Stadt etwas hinterlässt, das aussieht wie eine grosse Menge Scheisse.  

Mit seinem Gang ins Weisse Haus hat der KI-Müll den Marsch durch die Institutionen automatisiert in kürzester Zeit geschafft – entsprechend ist zu erwarten, dass in vielen Wahlen 2026 KI-generierte Billiginhalte zum Einsatz kommen.  

Dies bringt voraussichtlich mehr Negativwerbung. Denn vor wenigen Jahren stand hinter jedem Entscheid für ein Werbevideo ein Budgetposten, passiert das nun gratis. Und weil die Inhalte künstlich generiert sind und auch über anonyme Accounts verbreitet werden können, müssen die politischen Akteur:innen wohl weniger Rede und Antwort dazu stehen, wenn Wahlwerbung aggressiv oder gar unlauter ist.  

3. 1776 crasht die US-Zwischenwahlen 

Vor wenigen Jahren wäre das einfach ein Jubiläum gewesen: Die Erinnerung an die Gründung der ersten neuzeutlichen Republik, die es als selbstverständlich erachtete, dass alle – zunächst alle weissen Männer – gleich geboren sind. Man hätte sich erinnert, man hätte auf die Geschichte der Sklaverei in den USA hingewiesen und darauf, wie lange es dauerte, bis das Gleichheitsprinzip auf Frauen und Schwarze ausgeweitet worden ist.  

Doch die Feier einer liberalen Demokratie wird 2026 wohl knarzen. Nun, wo einige Wissenschaftler:innen eine massive Autokratisierung beobachten und das Land 2026 vor entscheidenden Kongresswahlen steht, wird das Jubiläum der Staatsgründung wohl vor allem zum Schlachtfeld eines historischen Deutungskampf. In diesem werden die oppositionellen Demokraten wohl vor allem die Werte der Unabhängigkeitserklärung in den Vordergrund stellen; die Trump-Republikaner indessen die Realität des nationalen Kampfes im Unabhängigkeitskrieg. 

2027 wiederum wird dann die Schweiz ein Jubiläum feiern: 180 Jahre seit dem letzten Krieg auf Schweizer Boden – bevor die Schweiz zum Bundesstaat wurde. Das Schweizer Parlament aus Ständerat und Nationalrat ist dem US-Vorbild nachgebildet. Doch das Schweizer Jubiläum droht nicht kontrovers zu werden: Die Institutionen sind zwar teils der grossen “Schwesterrepublik” nachempfunden; die emotionale Polarisierung ist aber weniger akut. 

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Sister Republics: Was die Geschichte der USA und der Schweiz verbindet 

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Einst waren die Schweiz und die USA allgemein als Schwesterrepubliken bekannt. Kürzlich holte Donald Trumps Ex-Botschafter in der Schweiz den Begriff wieder hervor. Tatsächlich haben die beiden Länder gegenseitig geprägt.

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4. Dem Pionier der ‘illiberalen Demokratie’ steht eine Wahl bevor

In einer Rede in Zürich 2023 sagte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, sein Land und die Schweiz hätten ein grosses gemeinsames Problem: Die EU, die «voller Bürokraten statt Politiker» sei.

Weniger Gemeinsamkeiten haben die Schweiz und Ungarn, wenn es um demokratische Standards geht. Seit Orbán 2010 an die Macht kam, haben die Verfassungs- und Gesetzesänderungen seiner Fidesz-Partei die Rechtsstaatlichkeit, die Pressefreiheit und die Minderheitenrechte kontinuierlich geschwächt und Ungarn nach Ansicht des Europäischen ParlamentsExterner Link in ein «hybrides Regime der Wahlautokratie» verwandelt. Orbán selbst beklagt sich zwar darüber, im Westen verunglimpft zu werden, spricht aber offen über sein konservatives Projekt: 2014 sagte er, dass das Ziel eine «illiberale» Demokratie sei.

Viktor Orban in der Schweiz
Viktor Orban (rechts) wird bei seinem Besuch in der Schweiz im November 2023 vom damaligen Bundespräsidenten Alain Berset (links) empfangen. Keystone / Marcel Bieri

2026 wird er für die Fortsetzung dieses Projekts kämpfen. Vor den Parlamentswahlen im April sehen Umfragen seine Partei hinter der 2024 vom ehemaligen Orbán-Verbündeten Péter Magyar gegründeten Partei Tisza. Was ein neuer Premierminister in Ungarn bedeuten würde, ist schwer vorherzusagen. In einem Interview mit der Financial TimesExterner Link präsentierte sich Magyar als Anti-Orbán – weniger russlandfreundlich und mehr EU und NATO verpflichtet.

Was auch immer das Ergebnis wird: Die Wahlen werden international genau verfolgt, angesichts der Faszination, die Orbán auf Konservative anderswo, auch in den USA, ausübt. In Europa ist die Wahl ein Höhepunkt in einem Wahlkalender für 2026, der sonst eher leer ist.

5. Bangladesch, Brasilien und Israel: Wahlen in Zeiten des demokratischen Rückschritts

Ausserhalb Europas stehen 2026 mehrere wichtige Wahlen an. Alle in Ländern, in denen die Demokratie in den letzten Jahren mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen hatte.

Im Februar finden in Bangladesch die ersten Wahlen statt, seit die ehemalige Premierministerin Sheikh Hasina im August 2024 inmitten von Studentenprotesten aus dem Land floh. Muhammad Yunus, der Chef der Übergangsregierung, hat die Abstimmung als Chance für den Aufbau eines «neuen Bangladesch» nach Jahren der Autokratisierung unter Hasina bezeichnet. Die Wahlen werden zusammen mit einem Referendum über die «Juli-Erklärung» abgehalten, einem programmatischen Entwurf für eine pluralistische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Land.

In Brasilien gab es bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen eine Symmetrie mit den USA. 2018, mitten in der ersten Amtszeit von Donald Trump in Washington, gewann der rechtsgerichtete Jair Bolsonaro in Brasilien. 2022, während der Präsidentschaft von Joe Biden, kam der linksgerichtete Lula da Silva wieder an die Macht. In diesem Jahr kann sich das Muster nicht wiederholen: Der wegen der Beteiligung an einem Putschversuch verurteilte Bolsonaro wird nicht kandidieren. Vieles könnte davon abhängen, ob seine Verbündeten sich verpflichten, ihn im Falle seiner Wahl zu begnadigen, oder ob sie die Verurteilung respektierenExterner Link, die als «historischer Moment für die Rechenschaftspflicht» im Land beschrieben wurde. Der inzwischen 80-jährige Lula da Silva kandidiert erneut.

In Israel schliesslich stehen in diesem Jahr Wahlen an, bei denen der langjährige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Mittelpunkt stehen wird. Seine derzeitige Amtszeit war nicht nur durch den Krieg in Gaza gekennzeichnet, sondern auch durch demokratische Fragezeichen: 2023 löste eine vorgeschlagene Justizreform Strassenproteste aus. Netanjahu sieht sich auch persönlich mit Korruptionsprozessen konfrontiert. Umfragen deuten darauf hin, dass seine Likud-Partei Schwierigkeiten haben könnte, an der Macht zu bleiben. Aber einen prominenten Unterstützer hat Netanjahu: US-Präsident Trump.

Editiert von Mark Livingston

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