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Haarspalterei um Waffenexporte

Teile dieser F/A-18 der US-Streitkräfte wurden in der Schweiz hergestellt. Keystone

Die Schweizer Regierung hat die Rüstungsexporte eingeschränkt. Verkauft werden dürfen nur noch Waffen, die nicht im Irak-Krieg eingesetzt werden.

Die Politik bleibt gespalten. Eine Mehrheit der Bevölkerung fordert die Einstellung aller Kriegsmaterial-Exporte.

Die Schweiz liefert derzeit Kriegsmaterial an Konfliktparteien im Irak-Krieg: Handgranaten an England, Teile für Kampfjets an die USA. Weil diese nicht im aktuellen Krieg eingesetzt werden, dürfen die Hersteller weiterhin liefern.

Für die Schweizer Regierung handelt es sich beim Irak-Krieg um einen Konflikt zwischen Staaten, für die Schweiz gilt daher das Neutralitätsrecht. Kurz nach Kriegsausbruch hatte der Bundesrat in der Folge beschlossen, Rüstungsexporte einzuschränken oder zu verbieten.

«Courant normal»

Kriegsmaterial-Exporte durch die Eidgenossenschaft sind seither verboten. Dies betrifft beispielsweise den bundeseigenen Betrieb Armasuisse.

Exporte der Ruag (Holding früherer Rüstungsbetriebe des Bundes) und privater Unternehmen sollen nicht bewilligt werden, wenn sie «entweder einen Beitrag an die militärischen Operationen leisten oder den ‚Courant normal‘ übersteigen», wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) schreibt.

«Courant normal» wird als die normalerweise hergestellte Anzahl eines Kriegsmaterials beschrieben (das Mittel der letzten drei Jahre). Sollte ein Betrieb plötzlich mehr davon ausführen wollen, dürfte ihm der Verkauf verboten werden.

Bevölkerungsmehrheit für Verbot

Am Wochenende hatten sich in einer Sondierung 70% der Befragten für einen Exportstopp von Kriegsmaterial ausgesprochen. Kommentatoren in den Medien und Organisationen wie Amnesty International forderten gar ein Verbot für immer.

Trotz Widerstand in der Bevölkerung stellt sich die aussenpolitische Kommission des Nationalrats, der grossen Kammer, nun einstimmig hinter die Regierung. Sie hat am Dienstag die Politik des Bundesrates gutgeheissen.

Im Vorfeld hatten linke und christlichdemokratische Kreise für einen Verzicht auf Waffenexporte plädiert. Waffenexporte an die Kriegsparteien liessen sich weder mit dem Völkerrecht noch mit der schweizerischen Aussenpolitik vereinen.

Doch die Wirtschaftsvertreter scheinen überzeugend argumentiert zu haben. Das freisinnige Kommissionsmitglied Claude Frey gegenüber swissinfo: «Wenn wir die Politik ändern würden, wäre das ein Schuss in unseren eigenen Fuss. Wir haben nur zu verlieren, nichts zu gewinnen.»

Andere Kommissionsmitglieder bezeichneten die Sitzung als «Leerlauf». Beatrice Wertli, Pressesprecherin der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), war erstaunt über den Ausgang der Besprechung: «Ich bin überrascht, das zu hören.»

Politik gespalten

Am Montag hatten die Bundeshaus-Fraktionen der Sozialdemokraten (SP) und der Grünen in einem gemeinsamen Brief den Bundesrat aufgefordert, auf seinen Beschluss zurückzukommen und ein vollständiges Exportverbot zu verhängen. Dieselbe Forderung stellte die CVP-Fraktion gleichentags.

Die Schweiz müsse jetzt ein klares Zeichen setzen, betonten SP und Grüne. Sie müsse klar machen, dass sie diesen Krieg nicht nur bedauerlich finde, sondern ihn verurteile.

Die beiden Fraktionen berufen sich dabei auf das Kriegsmaterialgesetz; dieses lasse Waffenexporte in Krieg führende Länder nicht zu.

Handgranaten und F/A-18-Teile

Der Rüstungsbetrieb Ruag hatte bereits vor Ausbruch des Irak-Krieges ein Geschäft abgeschlossen: 360’000 Handgranaten im Wert von 19 Mio. Franken an England.

Die Lieferung allerdings zieht sich laut der Zeitung «Le Temps» bis ins Jahr 2006 hin. Und: Handgranaten aus diesem Geschäft würden derzeit im Irak eingesetzt, so die Westschweizer Zeitung.

Anders mit den Teilen für die Kampfjets F/A-18. In der Schweiz betreiben von den rund 40 ungefähr 20 Betriebe Rüstungsgeschäfte mit den USA. 75% ihrer Exporte betreffen den Sektor Luftfahrt.

Stellenabbau bei Exportverbot?

Die Ruag ist auf die F/A-18-Aufträge aus den USA angewiesen. Vor kurzem musste sie schon einen Abbau von 76 Stellen bekannt geben, weitere 220 gelten als gefährdet. Nun gehen Gerüchte um, dass es zu weiteren Entlassungen kommen könnte.

Die Flugzeugteile, welche die Ruag derzeit herstellt, würden frühestens in einem Jahr mit den Jets eingesetzt, heisst es. Darum würden sie nicht unter die Restriktionen fallen.

«Diese Argumentation versteht die Bevölkerung nicht», meint Johann Aeschlimann von der Zeitung «Bund» gegenüber swissinfo. «Neutralität bedeutete nie, keine politische Meinung zu haben, oder diese nicht vor der Bevölkerung zu äussern.»

Er spricht damit die Meinungsverschiedenheiten in der Regierung an. Denn auch der Bundesrat scheint gespalten. Während der Pragmatiker Pascal Couchepin sich für die Wirtschaft einsetzt, steht ihm Aussenministerin Micheline Calmy-Rey gegenüber, die völkerrechtlich argumentiert.

swissinfo, Christian Raaflaub

Schweizer Waffenexporte:
Total: 280 Mio. Franken pro Jahr
2002 an die USA: 30,8 Mio. Franken
2002 an Grossbritannien: 18,2 Mio. Franken

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