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Keine anonymisierten Lebensläufe nach Test in Genf

Anonymisierte Dossiers sollten bei Anstellungen Objektivität ermöglichen. Keystone

Drei Genfer Unternehmen verzichten nach einem dreimonatigen Test darauf, neue Mitarbeiter aufgrund anonymisierter Lebensläufe einzustellen.

Gemäss allen Beteiligten ist es aber gelungen, die Arbeitgeber für das Problem der Diskriminierung in Anstellungsverfahren zu sensibilisieren.

«Unsere Erfahrungen haben geholfen, das Kader und die Angestellten für das Problem der Diskriminierung in Anstellungsverfahren zu sensiblisieren», sagt Jean-Charles Bruttomesso gegenüber swissinfo.

Der Leiter der Personalabteilung der Migros Genf bringt die Erkenntnis aller am dreimonatigen Versuch Beteiligten auf den Punkt. Vertreter des Grossverteilers, der Stadtwerke Genf (SIG) und der Gemeinde Vernier zogen am Dienstag Bilanz.

Initiantin des Versuchs war die kantonale Stelle für die Integration von Ausländerinnen und Ausländern in Genf.

Ohne Name, Alter, Nationalität und Geschlecht

In den Lebensläufen der Stellenbewerber bei den beteiligten Unternehmen wurden Name, Alter, Geschlecht und Nationalität gestrichen. Nur die Berufserfahrungen und -kompetenzen sollten entscheiden, wer das Rennen um einen Job macht.

So sollte ausgeschlossen werden, dass Bewerber oder Bewerberinnen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Namens oder Geschlechts vorschnell auf dem Stapel der Absagen landeten.

Die drei Betriebe vergaben in dieser Zeit insgesamt 22 Stellen. Während des Versuchs seien vier Personen eingestellt worden, die ohne anonymisierte Daten im Lebenslauf auf Grund ihres Alters oder Geschlechts möglicherweise hätten diskriminiert werden können, hiess es.

Die Genfer Stadtwerke stellten für technische Posten zwei Frauen ein. Und in Vernier erhielten zwei eher ältere Bewerber Stellen, bei denen körperliche Arbeit gefragt war.

Interne Charta

Laut Robert Cuénod, dem Vorsteher der kantonalen Stelle für Integration, hat der Versuch die Arbeitgeber sensibilisiert. So hätten sich Kandidaten mit ungewöhnlichem Profil vorstellen können. Cuénods Behörde will nun noch weitere Unternehmen für einen gleichen Versuch gewinnen.

Die mit dem Versuch ebenfalls zufriedenen Arbeitgeber wollen zwar wegen des administrativen Aufwandes anonymisierte Lebensläufe nicht definitiv einführen. Doch die Migros Genf und die Gemeinde Vernier wollen eine interne Charta zum Thema Diskriminierung erstellen.

Verzicht auf Passfoto

Die Genfer Industriebetriebe wollen vor der Einladung zum Vorstellungsgespräch vermehrt atypische Bewerber berücksichtigen. Alle drei Firmen verzichten zudem darauf, Bewerbungsdossiers mit Passfoto zu verlangen oder sie entfernen die Bilder vor der Auswahl.

In Zürich war ein ähnliches Pilotprojekt ebenfalls aufs Tapet gebracht, aber am Montag vom Kantonsparlament abgelehnt worden. Diskriminierungen könnten so nicht aus der Welt geschafft werden, war sich die bürgerliche Mehrheit im Kantonsrat einig.

Im Nachbarland Frankreich schreibt das neue, noch nicht in Kraft getretene Gesetz über Chancengleichheit vor, dass Unternehmen mit über 50 Angestellten Stellenbewerber aufgrund anonymisierter Lebensläufe auswählen müssen.

swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

Frankreich ist wegweisend für anonymisierte Lebensläufe, denn das Parlament hat am 4. März dafür grünes Licht erteilt. Sie sind Bestandteil des Gesetzes über die Chancengleichheit, das die Regierung im letzten Dezember guthiess.

Das Gesetz soll 2007 in Kraft treten.

Anonymisierte Lebensläufe sollen für Bewerbungen in Betrieben mit mehr als 50 Angestellten gelten (rund 30’000 Firmen).

Die Arbeitslosigkeit unter Immigranten ist in Frankreich doppelt so hoch. 2005 waren 18% der Immigranten ohne Arbeit, während von den ursprünglichen Franzosen 9% stellenlos waren.

Die Genfer Bevölkerung ( Volkszählung 2000):
Einwohner: 413’673
Doppelbürger: 67’584 (16,3 %)
Schweizer: 188’595 (45,6 %)
Ausländer: 157’494 (38,1 %)

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