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Auf den Spuren des gesuchten Schweiz-Russen Vladislav Osipov

Blick vom See her auf Herrliberg
Vladislav Osipov ist Schweizer und russischer Staatsbürger: Er könnte sich in Herrliberg ZH aufhalten, einer kleinen Gemeinde an der Goldküste unweit von Zürich. Prisma by Dukas Presseagentur GmbH / Alamy Stock Photo

Die US-Justizbehörden haben ein Kopfgeld von einer Million Dollar für die Ergreifung von Vladislav Osipov ausgesetzt: Der Schweiz-Russe soll dem bekannten Oligarchen Viktor Vekselberg bei der Umgehung von Sanktionen geholfen haben. Der gesuchte Mann könnte sich an der Goldküste nahe Zürich aufhalten. Eine Spurensuche.

Dicke Regenwolken hängen bei unserer Ankunft über dem See, auch wenn am Horizont einige Sonnenstrahlen durchschimmern. Die Gemeinde Herrliberg liegt an der Goldküste des Zürichsees: Eine der reichsten Gegenden der Schweiz, in der sich die Mittelschicht mit den Reichen und Superreichen vermischt. Neben Villen von etlichen Millionen Franken stehen mehr oder weniger normale Wohnblocks.

Niedrige Steuern vermischen sich hier mit Schweizer Diskretion. Es ist ein idealer Ort für Leute, die nicht auffallen oder untertauchen wollen. Hier könnte sich denn auch eine Person befinden, die von der US-Justiz gesucht wird. Es ist ein Mann, auf den das FBI ein gigantisches Kopfgeld von bis zu einer Million Dollar ausgesetzt hat.

Die rechte Hand von Viktor Vekselberg

Sein Name ist Vladislav Osipov. Er ist 52 Jahre alt, russischer Staatsbürger und hat 2019 auch die Schweizer Staatsbürgerschaft erhalten. Von der US-Strafverfolgungsbehörde FBI wird er beschuldigt, diverse Finanzdelikte begangen zu haben – von Bankbetrug über Geldwäscherei bis zur Verschwörung zum Zweck des Betrugs. Viele Anschuldigungen betreffen Handlungen, die er ausgeführt haben soll, um die Sanktionen zu umgehen, die gegen Moskau und verschiedene Kreml-Vertraute wegen des Krieges in der Ukraine verhängt wurden.

Fahndungsfoto des FBI über Vladislav Osipov
FBI

Osipov soll insbesondere die rechte Hand des russischen Oligarchen Viktor Vekselberg (66) sein. Es handelt sich nicht um irgendeinen Oligarchen, sondern um einen der reichsten Oligarchen der Russischen Föderation: Er steht Putin sehr nahe, ist aber der Schweiz sehr verbunden, wo er seit vielen Jahren lebt und seine Unternehmen angesiedelt hat. Er ist neben Beteiligungen im Rohstoffhandel auch im Immobiliengeschäft tätig und verfügt über ein Milliarden-Vermögen.

Osipov wird verdächtigt, ein kompliziertes Netz von Briefkastenfirmen geschaffen zu haben, um zu verhindern, dass Vekselberg als Eigentümer der 90 Millionen Franken teuren Luxusyacht “Tango” identifiziert wird. Die Verschleierungs-Operation gelang allerdings nicht, da die Megayacht 2022 im Hafen von Palma de Mallorca auf Gesuch der US-Justiz beschlagnahmt wurde. Die Bilder der Operation, welche die spanische Militärpolizei Guardia Civil gemeinsam mit FBI-Beamten durchführte, gingen um die Welt.

Das undurchsichtige Firmengeflecht wurde nach Angaben Washingtons vom 52-jährigen Russland-Schweizer Osipov aufgebaut. Dieser befindet sich gemäss FBI derzeit möglicherweise in der Schweiz, wo er gemeldet und unternehmerisch tätig war. Das FBI fahndet momentan intensiv nach Osipov.

Bilder der Operation des FBI und der spanischen Guardia Civil:

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Am Sitz der Finanzgesellschaft

Osipov lebte in Herrliberg, wo er auch eingebürgert wurde. Er war Mitglied des Verwaltungsrats einer grossen Zürcher Immobiliengesellschaft, an der auch Vekselberg Anteile hielt. Er trat sofort von seinem Amt zurück, nachdem er ins Visier der US-Justiz geraten war.

Gemäss einem vom Radio und Fernsehen der italienischsprachigen Schweiz (RSI) gefundenen Eintrag im Handelsregister des Kantons Zürich ist jedoch eine seiner Finanzgesellschaften weiterhin aktiv. Sie hat ihren Sitz in Herrliberg, wo die amerikanischen Ermittler:innen auch nach Osipov suchen.

Die Adresse ist die eines gesichtslosen, kürzlich errichteten mehrstöckigen Gebäudes. Wir klingeln mehrere Male an der Tür. Niemand antwortet. Doch sein Name ist zusammen mit anderen Personen deutlich sichtbar auf einer Gegensprechanlage aufgelistet. Nach ein paar Minuten ruft uns eine Frau von einem Fenster zu: “Wer sind Sie, was wollen Sie?”

Wir antworten, dass wir Journalisten sind und mit Vladislav Osipov sprechen möchten. “Ich kenne ihn nicht, hier gibt es keinen Osipov.” Seltsam: Er hat seine Firma an dieser Adresse angemeldet und wohnt in Herrliberg, da er hier, wie wir herausgefunden haben, die Schweizer Staatsbürgerschaft erhalten hat.

Das merkwürdige Telefongespräch

Die Website seiner Firma ist abgedunkelt. Aber dank des Internetarchivs lässt sich auf eine alte Version zurückgreifen – und damit auf eine Telefonnummer. Wir rufen diese Nummer an. Es meldet sich ein Mann auf Englisch, aber mit einem seltsamen Akzent, der osteuropäisch klingt.

Hier ist eine Rekonstruktion des Telefongesprächs:

Frage: Guten Morgen, wir suchen Herrn Osipov, wir haben diese Firmennummer online gefunden, können wir mit ihm sprechen?

Antwort: Guten Morgen, … eh… das ist nicht mehr sein Büro…

Frage: Aber war er früher da?

Antwort:  Ja, er war früher hier, er hatte dieses Büro gemietet, aber jetzt ist er nicht mehr hier…

Frage: Können Sie mir sagen, wo wir ihn finden können?

Antwort: Es tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, wo er sich befindet. Auf Wiedersehen…

Die Einbürgerung in Herrliberg im Jahr 2019

Osipov droht in den USA eine mehrjährige Haftstrafe. Das hohe Kopfgeld zeigt, wie schwerwiegend die Vorwürfe eingestuft werden: Bis zu 1 Million Dollar werden für Informationen versprochen, die zu seiner Verhaftung und/oder Verurteilung führen. So steht es auf der  FahndungsseiteExterner Link des FBI, die den meistgesuchten Personen der US-Strafverfolgungsbehörden gewidmet ist. Im Originalwortlaut heisst es: “The United States Department of State’s Transnational Organised Crime Reward Programme is offering a reward of up to $1 million for information leading to the arrest and/or conviction of Vladislav Osipov.”

Auf dem Plakat sind zwei Bilder im Stil von Fahndungsfotos zu sehen, die schon im Internet an verschiedenen Orten aufgetaucht sind. Zudem heisst es in einer Anmerkung, dass sich Osipov auf Mallorca aufhalten könnte (wo Vekselbergs Yacht beschlagnahmt wurde), in Moskau oder in Herrliberg.

Genau hier in Herrliberg, unweit der Stadt Zürich, ist seine Präsenz in gewisser Weise spürbar. In Herrliberg hat oder hatte Osipov nicht nur seinen Firmensitz und sein privates Domizil, in dieser Gemeinde hat er auch das Schweizer Bürgerrecht erhalten. Dies bestätigt die Gemeindekanzlei auf Anfrage in einer E-Mail: “Die Gemeindeverwaltung hat die Angelegenheit zur Kenntnis genommen; das FBI hat sich nicht mit uns in Verbindung gesetzt; Herr Osipov wurde 2019 eingebürgert: Zu diesem Zeitpunkt waren alle Voraussetzungen erfüllt.”

RSI konnte trotz mehrerer Versuche keinen Kontakt mit Osipov aufnehmen, damit er zu den Vorwürfen Stellung nehmen kann. Eine erste Anklage gegen ihn stammt jedoch aus dem Jahr 2022. Damals beteuerte er in der Presse seine Unschuld.

Der 52-jährige Geschäftsmann und schweizerisch-russische Doppelbürger wird nun aktiv vom FBI gesucht. Und die US-Justiz hat eine selten hohe Belohnung auf seine Ergreifung ausgesetzt. Washington hat jedoch kein Rechtshilfeersuchen an die Schweiz gestellt, wie das Bundesamt für Justiz bestätigt.

In der Eidgenossenschaft läuft keine Ermittlung gegen ihn. Wenn er sich in der Schweiz aufhalten sollte, könnte er sich somit als freier Mann bewegen.

Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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