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Basel Nazifrei: Mitteleinsatz der Polizei muss untersucht werden

Keystone-SDA

Die Basler Staatsanwaltschaft muss den Einsatz von Gummischrot durch die Polizei an der Basel-Nazifrei-Demonstration vom November 2018 untersuchen. Dies teilte das Appellationsgericht am Dienstag mit.

(Keystone-SDA) Der Mitteleinsatz der Polizei sei «aus mehreren Gründen nicht unproblematisch», schreibt das Gericht. Zwar erfolgte er «nicht ohne jeglichen Anlass», allerdings eher auf eine Provokation hin statt auf eine Bedrohung, wie es weiter heisst. Zudem gebe es Hinweise, dass der Mindestabstand von 20 Metern unterschritten worden sei.

Zwischen Abmahnung und Mittelfreigabe seien lediglich zehn Sekunden verstrichen. In dieser Zeit sei es den Demonstrierenden wohl möglich gewesen, sich hinter die Absperrung zurückzuziehen. Allerdings wären sie in der Zeit wohl nicht aus dem Schussfeld der Polizei gekommen, wie aus dem Urteil vom 28. Juli hervorgeht.

Auch ist für das Gericht unklar, weshalb die Polizei den Mitteleinsatz nicht beendet hat, nachdem sich die Demonstrierenden – mit der Ausnahme eines als harmlos eingestuften Mannes – wieder zurückgezogen hatten. Schliesslich sei das Ziel des Mitteleinsatzes bereits erfüllt gewesen.

Staatsanwaltschaft wollte nicht gegen Polizei ermitteln

Ein Teilnehmer der Demonstration wirft der Polizei vor, ihn mit Gummischrot am rechten Auge getroffen zu haben und erstattete Anzeige, wie es heisst. Die Staatsanwaltschaft wollte in der Sache zunächst nicht ermitteln, wird nun aber dazu verpflichtet, wie das Appellationsgericht entschieden hat.

Entgegen der Argumentation der Staatsanwaltschaft könne nicht gesagt werden, dass das Verhalten der Polizeiangehörigen aufgrund ihrer Amtspflicht «offenkundig erlaubt», beziehungsweise «geboten» war. Die Staatsanwaltschaft hätte die Nichtanhandnahme nicht verfügen dürfen.

Ein Ausstandsgesuch des Beschwerdeführers gegen die gesamte Staatsanwaltschaft hat das Appellationsgericht hingegen abgewiesen. Gegen den Mann ist ein Strafverfahren im Zusammenhang mit seiner Teilnahme an der Demonstration in zweiter Instanz hängig.

Gemäss Urteil wird die Staatsanwaltschaft zeitnah eine Untersuchung gegen die für den umstrittenen Mitteleinsatz verantwortlichen, respektive im Einsatz stehenden Polizeiangehörigen eröffnen müssen. Auch soll die Staatsanwaltschaft den «nicht abwegigen» Vorwurf prüfen, der Mitteleinsatz sei eine Ablenkung gewesen.

Der Vorwurf des Gummischrots als Ablenkung geht auf das Gespräch zweier Polizisten zurück, die die Situation aus erhöhter Position gefilmt hatten. Sie spekulierten, ob die Polizei geschossen habe, um den belagerten Anhängern der rechtsextremen Partei national orientierter Schweizer (Pnos) die Flucht zu ermöglichen.

Fallkomplex beschäftigt Behörden seit bald sieben Jahren

Bei der nicht bewilligten Basel-Nazifrei-Demonstration waren am 24. November 2018 tausende Personen aufmarschiert, um eine Kundgebung der Pnos auf dem Basler Messeplatz zu verhindern. Die meisten Demonstrierenden blieben friedlich, es kam aber zu Gewalt gegen die Polizei, die die paar Dutzend Rechtsextremisten abschirmte.

Die Kundgebung der Pnos gegen den UN-Migrationspakt konnte dennoch stattfinden. Der damalige Pnos-Chef hielt dabei eine Rede, in der er öffentlich zu Hass gegen Juden aufrief und den Holocaust «in grober Weise verharmloste», wie aus dem damaligen Strafbefehl wegen Rassendiskriminierung gegen ihn hervorgeht.

Die Staatsanwaltschaft brachte nach neustem Kenntnisstand 36 Verfahren gegen Demonstrierende zur Anklage. Dass sie sich zunächst nur auf Teilnehmende von Basel Nazifrei konzentrierte, brachte ihr öffentliche Kritik ein, so etwa von Strafrechtsprofessor Mark Pieth.

Viele der 36 Verfahren sind noch hängig, darunter 20, die zur Neubeurteilung ans Strafgericht zurückgewiesen wurden. Das Appellationgericht hat Ausstandsbegehren von Beschuldigten gegen Gerichtspräsidien gutgeheissen.

Es handelt sich um einen der grössten Fallkomplexe der Basler Justizgeschichte.

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