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Sozialer Numerus Clausus, gefährdete Stipendien

Den Studierenden wird eine saftige Rechnung präsentiert werden. Keystone

Mit dem neuen Finanzausgleich wird der Bund seinen Anteil an den Stipendien für Studierende um drei Viertel reduzieren. Aber nicht alle Kantone können das dadurch entstehende Loch stopfen.

Und die Umsetzung des Bologna-Prozesses benötigt zusätzliche Mittel.

Stéphanie, Medizinstudentin im 4. Jahr an der Universität Lausanne, lebt mit einem Budget von 1’800 Franken pro Monat. Sie hat ein Stipendium von 500 Franken und erhält zusätzlich 300 Franken von ihrer Mutter. Um das bescheidene Einkommen aufzubessern, arbeitet sie in einem Café.

Würde ihr Stipendium weiter reduziert, müsste sie wie viele weitere das Studium aufgeben. Dabei hat die Schweiz europaweit bereits die tiefste Rate an Studierenden, wie Charles Kleiber, Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung ausführt.

Und nach der obligatorischen Schulbildung erhalten gerade mal 10% der Studierenden ein Stipendium (zwischen 12 und 13% der Hochschulstudentinnen und -studenten). Sie erhalten durchschnittlich 6’147 Franken pro Jahr (2002).

Aber die Grosszügigkeit der Kantone ist unterschiedlich. «Das schafft ungleiche Chancen bei den Studien», bemerkt Thomas Frings, politischer Sekretär des Verbands der Schweizer Studierendenschaften (VSS).

Gestörte Demokratisierung

«Es ist eine Tatsache, dass der Demokratisierungsprozess bei den Studien gestört ist», so Kleiber. Denn seit 1975 nahmen die Stipendien insgesamt um die Hälfte ab. Und die Zukunft sieht noch düsterer aus.

Ab 2007 dürfte das System vollständig aus dem Gleichgewicht sein. Dann tritt der neue Finanzausgleich (NFA) zwischen Bund und Kantonen in Kraft.

Bei der Entflechtung der Aufgaben will sich der Bund allein auf das Hochschulniveau konzentrieren. Und dabei wird er sich auf den Minimalanteil von 16% beschränken. Bisher wurden einige finanzschwache Kantone mit bis zu 48% subventioniert.

Insgesamt werden die Kantone statt 90 bis 100 Millionen wie im letzten Jahrzehnt nur noch 25 Millionen Franken erhalten. Zum grossen Schaden der Studierenden, obwohl diese immer als Zukunft des Landes bezeichnet werden.

Das Loch sollte gestopft werden

Es wird also an den Kantonen liegen, dies auszugleichen. Das wird dem guten Willen der Politik überlassen. «Es ist jedoch bekannt, dass die Lobbys um die Stipendien nicht sehr mächtig sind», meint Charles Stirnimann, Präsident der Interkantonalen Stipendienbearbeiter-Konferenz IKSK.

«Wir können effektiv keine Garantie abgeben, dass die Kantone den internen Lastentransfer, den der Finanzausgleich bedingt, vollständig umsetzen» bestätigt Walter Moos.

«Aber wir werden sie weiter für die Tatsache sensibilisieren, dass es nicht um ein Sparpaket geht, sondern um eine Lastenverschiebung, die eine Nullsummenoperation sein muss», fährt der Vertreter der zuständigen kantonalen Direktorenkonferenz beim Bund fort.

Aber da sowohl auf Kantons- wie auf Bundesebene das Argument der Überschuldung die Budgetprioritäten zu beherrschen scheint, muss das Schlimmste befürchtet werden.

Kommt dazu das Sparpaket von Finanzminister Kaspar Villiger, von dem ab nächstem Jahr auch die Ausbildung nicht verschont bleibt. Eine der kurzfristigen Folgen wird die Heraufsetzung der Studiengebühren sein.

Und dabei ist die Umsetzung der Bologna-Deklaration ab 2005 noch nicht berücksichtigt. Das sind zwei neue Hochschulzyklen zur Erlangung eines Bachelor- und eines Mastertitels. Dies bedingt zusätzliche Mobilität und vermutlich eine Verlängerung des Studiums. Und dann bleibt noch das Problem der Stipendienmitnahme, das noch lange nicht gelöst ist.

Bern verweigert jetzt schon den Ausgleich

Der Kanton Bern hat bereits angekündigt, dass er die zusätzlichen Ausgaben nicht übernehmen kann. Er wird seine Ausbildungshilfen um 25% reduzieren. Ein Teil der aus einkommensschwachen Familien stammenden Studierenden wird deshalb vermehrt Darlehen aufnehmen und sich verschulden müssen.

Diese Art der Finanzierung wurde in jüngster Zeit von verschiedenen kantonalen Parlamenten verlangt: Von den beiden Basel, Freiburg und Thurgau. Sie fand dort aber keine Mehrheit.

Die Tendenz geht aber immer stärker in Richtung eines gemischten Systems der Ausbildungshilfe – Stipendium und Darlehen. Charles Kleiber verheimlicht nicht, dass er dies für die beste Lösung hält.

In den anderen Kantonen wird ebenso hart diskutiert. Das Thema Stipendien steht im Übrigen am 23. und 24. Oktober auf der Tagesordnung der Jahreskonferenz der Erziehungsdirektorenkonferenz in Zug.

Verlorene Generation

All diese Änderungen werden grosse soziale Auswirkungen auf die Studierenden haben, ohne dass Rahmenbedingungen vorgesehen sind, «um die Chancengleichheit zu garantieren, die eine der Grundlagen der höheren Schulbildung ist. Im Gegenteil, es ist genau umgekehrt», kritisiert Thomas Frings.

Auch Kleiber bestreitet dies nicht: «Im Verlauf der Erneuerung der Schweizer Universitäten gibt es bisher kein Stipendienprojekt.» Erst 2008 soll darüber nachgedacht werden. Das bedeutet nichts anderes, als dass eine ganze Generation Studierender geopfert wird.

Er fügt bei, man habe sich angesichts des Subventionsabbaus in «Schadensbegrenzung versucht, um dann ein ehrgeizigeres Projekt zu schaffen». Und er appelliert an die Kreativität, denn er ist überzeugt, dass es zu einer Umkehr kommen wird.

«Die Regierung wird eine Geste tun müssen», denn die Schweiz könne sich diese Situation nicht leisten, da sie sonst den Ausschluss aus Europa riskiert. Doch ist zu befürchten, dass es schon zu spät ist.

Um mit Charles Stirnemann zu schliessen: «Seit langem wird nicht mehr von Chancengleichheit gesprochen. Das zeigt deutlich, wo in diesem Land die politischen Prioritäten liegen!»

swissinfo, Anne Rubin
(Aus dem Französischen übertragen von Charlotte Egger)

Nach der neuen Aufgabenteilung ab 2007 wird der Bund seine Subventionen für Ausbildungsstipendien vollständig abschaffen. 2002 beliefen diese sich auf 38 Millionen Franken.

Er wird weiter zusammen mit den Kantonen die Teritärstufe, also die Hochschulen, subventionieren.

Aber er wird sich auf einen Minimalanteil von 16% beschränken (23 Millionen weniger als 2002), während einige finanzschwache Kantone wie der Jura oder Bern bisher zu 48% subventioniert wurden.

Von 90 bis 100 Millionen Franken jährlicher Ausbildungshilfe (ein Drittel der von den Kantonen gewährten Stipendien) werden die Subventionen an die Kantone auf 25 Millionen sinken.

Es besteht keine Garantie, dass die Kantone diese Summen ausgleichen und die internen Lasten transferieren werden. Um zu verhindern, dass die Ungleichheiten unter den Kantonen institutionalisiert werden, empfiehlt die EDK deshalb bindende Minimalstandards einzuführen.

Der VSS möchte das System zentralisieren. Die Idee ist nicht sehr realistisch, da die Kantonsbehörden die regionalen Realitäten besser kennen.

Im internationalen Vergleich setzt die Schweiz relativ wenig Mittel zur Ausbildungshilfe ein. 2001 erhielten von den 470’000 Studierenden, welche eine nachobligatorische Ausbildung abgeschlossen haben, 49’770 (10,6%) ein Stipendium.

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