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Steinschlag ist unberechenbar

Der Fels links im Bild zerschlug die Tunneldecke der A8 bei Iseltwald. Keystone

Nachdem ein Steinschlag im Berner Oberland eine Autobahnröhre durchschlug, sollen sämtliche Steinschlag-Galerien in der Schweiz kontrolliert werden.

Wie aber kontrolliert man Felsbrocken, die mit grosser Wucht zu Tale donnern?

Kürzlich sagte der emeritierte Geografie-Professor der Universität Bern und Bergkenner Bruno Messerli gegenüber swissinfo: «Sobald Berge sich in die Höhe recken, werden sie durch die Witterung auch langsam wieder abgebaut.»

Dieser «Abbau» zeigt sich in den Alpen in Form von Berg- oder Felsstürzen. Die Schweiz ist ständig davon betroffen. Meist stürzen die Felsmassen in unbewohntes Gebiet. Doch können Bergstürze auch verheerende Folgen haben, wie jener von Goldau am 2. September 1806. Er kostete 457 Menschen und 323 Stück Vieh das Leben.

Die Felsmassen waren zu gross

Seit auch in der Schweiz immer näher an die Bergabhänge herangebaut wird, steigt das Risiko, dass abbrechende Felsmassen Leben und Bauten bedrohen.

So am vergangenen 4. Januar, als ein Felssturz den Tunnel der Autobahn A8 am Brienzersee durchschlug. An einer Stelle notabene, wo bis zum Bau der Autobahn keine Strasse durchführte. Denn das Gelände fällt steil in den See ab.

Eigentlich sollte der verlängerte Tunnelausgang am «Chüebalmtunnel» die Strasse vor Steinschlag schützen. Doch die Gewalt der herabstürzenden Felsmassen war zu gross. Wie durch ein Wunder kam niemand zu Schaden. Ein Autofahrer, der eben in den Tunnel einfuhr, konnte noch rechtzeitig bremsen.

Leise Unruhe bei den Planern

Das Loch im Tunneldach und die Felsbrocken auf der Strasse haben die zuständigen Stellen aufgeschreckt. Jetzt müssen die Kantone rund 12 bis 15 Kilometer Steinschlag-Galerien und Tunnelvorbauten unter die Lupe nehmen.

Zudem soll eine «Expertengruppe Steinschlag» prüfen, ob die Richtlinien, nach denen Schutzgalerien gebaut werden, nach dem Loch im «Chüebalmtunnel» noch zeitgemäss sind.

Doch wie kontrolliert man, ob Tunneldecken einem tonnenschweren, aus grösser Höhe runterfallenden Felsbrocken widerstehen?

Dazu sagt Gerhard Schütz, Ingenieur bei der Marti Tunnelbau AG in Bern auf Anfrage von swissinfo: «Wir bauen und führen die Projekte gemäss den Vorgaben der Planer aus. Fragen Sie dort nach.»

Bei der Ingenieur Unternehmung Bern will man sich auch nicht näher dazu äussern. Sie ist eine der zahlreichen Firmen in der Schweiz, die Tunnels und Galerien planen. Bauherr sei das Bundesamt für Strassen, ASTRA. «Die definieren die Vorgaben. Fragen Sie dort!»

Tests am Objekt sind nicht möglich

«Wir können leider keinen Test machen, wie die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) sie durchführt, und Felsen auf die Galerien fallen lassen», sagt ASTRA-Vizedirektor Michel Egger gegenüber swissinfo.

«Prüfen heisst für uns: Wir kontrollieren, ob die 12 bis 15 Kilometer Galerien und Tunnelvorbauten in der Schweiz so gebaut worden sind, wie sie projektiert wurden.»

Das heisst, dass man sich beim ASTRA nicht ganz sicher ist. «Das stimmt», sagt Egger, «am Chüebalm haben Abklärungen zum Beispiel ergeben, dass die Tagbaustrecke auf der Tunnel-Westseite eine uneinheitliche Konstruktion aufweist.»

Aber auch wenn alles kontrolliert worden sei, heisse das nicht, dass so etwas wie am Brienzersee nicht mehr passieren könne. Die Natur sei da unberechenbar, sagt Egger.

Der Verantwortliche für Strassenbau im Kantons Bern, Kurt Jenk, bringt es auf den Punkt: «Die Autofahrer müssen sich damit abfinden, dass es gegen Felsstürze bei Tunnel-Ein- und -Ausfahrten keinen absoluten Schutz gibt.»

swissinfo, Urs Maurer

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