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Bundesanwalt Roschacher nimmt den Hut

Immer stärker in der Kritik: Valentin Roschacher (rechts). Keystone

Der oberste Ankläger der Schweiz, Bundesanwalt Valentin Roschacher tritt auf Ende 2006 zurück. Die operative Leitung der Bundesanwaltschaft gibt der 46-Jährige per sofort ab.

Roschacher war seit März 2000 Bundesanwalt. In den letzten Jahren war er zunehmend in öffentliche Kritik geraten.

Die operative Führung der Bundesanwaltschaft (BA) übernimmt ab sofort interimistisch der stellvertretende Bundesanwalt Michel-André Fels, wie die Bundesanwaltschaft am Mittwoch mitteilte.

Der Bundesrat, die Landesregierung, habe von der Demission Kenntnis genommen, schreibt die Bundesanwaltschaft weiter. Die beschlossenen Untersuchungen der Bundesanwaltschaft würden unverändert weiter geführt.

Roschacher amtet seit dem 1. März 2000 als Bundesanwalt. Er war in seiner Amtszeit verschiedentlich in Kritik geraten, zuletzt wegen eines Geldwäschereiverfahrens gegen den Privatbankier Oskar Holenweger, bei dem Roschacher einen kolumbianischen Informanten und Drogenhändler als Informanten eingesetzt haben soll.

Bundesrat Blocher dankt

Im Anschluss an diese Vorwürfe haben das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) und das Bundesstrafgericht als Aufsichtsbehörden eine ausserordentliche Überprüfung der Arbeit der Bundesanwaltschaft angeordnet. Diese soll nun unabhängig vom Rücktritt Roschachers weiter geführt werden. Justizminister Christoph Blocher dankt dem Bundesanwalt in der Medienmitteilung für seine geleistete Arbeit.

Roschacher selbst betont, sein Abgang habe mit dem Einsatz eines kolumbianischen Drogenhändlers als Informanten nichts zu tun.

“Der Grund für seine Demission waren nicht die Ereignisse der vergangenen Wochen, sondern die Summe der Konflikte”, sagte BA-Sprecher Hansjürg Mark Wiedmer gegenüber swissinfo.

Im Kreuzfeuer der Kritik

Roschacher steht seit 2004 zunehmend in der öffentlichen Kritik. Ihm werden unter anderem Pannen sowie Überreaktionen vorgeworfen.

So hatte die BA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gegen das vom Tessiner Bankier Youssef Nada gegründete Bankhaus Al Taqwa Ermittlungen wegen Terrorfinanzierung eingeleitet. Diese verliefen aber extrem schleppend. Im Mai 2005 stellte die BA das Verfahren ein, nachdem das Bundesstrafgericht ihr Vorgehen kritisiert hatte.

Bei Ermittlungen gegen einen saudischen Geschäftsmann wegen möglicher Finanzierung von Al Kaida schaltete die BA einen Privatermittler ein, der geheime Informationen weiterverkauft haben soll.

Im Anti-Terror-Abkommen mit den USA vom September 2002 wurde der Austausch von Polizeiberichten und die effiziente Gewährung von Rechtshilfe vereinbart.

Razzia gegen die Hells Angels

Im Juni 2004 kritisierten zwei Rechtsprofessoren das von Roschacher mit den USA abgeschlossene Abkommen scharf. Sie sahen die Möglichkeit von politischem Nachrichtendienst und Amtsgeheimnisverletzung.

Die von der BA angeordnete Razzia gegen die Rockergruppe Hells Angels im April 2004 wegen Verdachts der Beteiligung an einer kriminellen Organisation erregte öffentliche Aufmerksamkeit.

Bei den Ermittlungen gegen Terroristen aus Spanien geriet die BA neben den Nachrichtendiensten im Oktober 2004 in die Kritik wegen angeblich mangelhafter Koordination mit den dortigen Behörden.

Vorwurf: Ineffizienz

Im Sommer 2004 bestritt Roschacher Vorwürfe, seine Behörde sei ineffizient und das Bundesstrafgericht nicht ausgelastet.

Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts sah Ende 2004 keine Hinweise auf eine allgemeine unsachgemässe Vorgehensweise. Sie ortete aber Verbesserungspotenzial.

swissinfo und Agenturen

Der Appenzeller Valentin Roschacher, Jahrgang 1960, studiert von 1981-1986/87 Jura an der Universität Zürich.

1992-1995: Bezirksanwalt an der Bezirksanwaltschaft Zürich.

Oktober 1995: Eintritt ins Bundesamt für Polizeiwesen (BAP), Chef der Zentralstelle zur Bekämpfung des Drogenhandels und der Falschmünzerei.

Seit 1. März 2000: Bundesanwalt.

In der Schweiz sind die kantonalen Justizbehörden für einen Grossteil der Strafuntersuchungen zuständig. Einige Delikte fallen jedoch in die Kompetenz der Bundesanwaltschaft (BA).

Dazu gehören beispielsweise Attentate, Spionage, internationale organisierte Kriminalität, Geldfälschung, Geldwäscherei, Korruption oder von Bundesbeamten im Rahmen ihrer Aufgabe begangene Straftaten.

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