Mit vereinten Kräften soll es wieder bergauf gehen

Die Freisinnig-Demokratische Partei verliert seit 30 Jahren Wähler. 2007 erreichte sie noch 15,7 Prozent. Nach der Fusion mit den Liberalen 2009 hofft die "FDP.Die Liberalen" auf 20 Prozent der Wählerstimmen, sagt Präsident Fulvio Pelli.
swissinfo.ch: Welche Prioritäten setzt Ihre Partei für die kommende Legislaturperiode?
Fulvio Pelli: Zum einen wollen wir, dass die Zahl von sicheren und interessanten Arbeitsplätzen in der Schweiz zunimmt. Deshalb unterstützen wir eine gute Integration der Schweiz im internationalen Markt, Freihandels-Abkommen sowie eine qualitativ hoch stehende Berufs- und Universitätsausbildung.
An zweiter Stelle steht die Sicherung der Sozialwerke. Wir müssen im Interesse der neuen Generationen die Sozialwerke so gestalten, dass diese auch in 20, 30 oder 40 Jahren noch effizient und gesund sind.
Angesichts der stets steigenden Lebenserwartung müssen Korrekturen angebracht werden, um einen Zusammenbruch der AHV und generell der sozialen Systeme zu vermeiden.
An dritter Stelle steht schliesslich der Kampf gegen eine Bürokratie, die Freiheit und Initiative zunehmend einschränkt. Bürokratie ist nicht notwendig, sondern nur das Produkt einer falschen Politik. Viele Reglementierungen sind viel zu kompliziert.
swissinfo.ch: In welchen Bereichen sollte die Eidgenossenschaft Ihrer Meinung nach sparen und in welchen Bereichen sollte mehr investiert werden?
F.P.: Mehr Investitionen bräuchte es eindeutig in den Bereichen Bildung und Innovation. Ein Land wie die Schweiz muss sich gerade hier entwickeln. Auch international muss sich die Schweiz in diesen Bereichen besser positionieren, um in der obersten Liga mitspielen zu können.
Hingegen können wir die Ausgaben im Asylwesen senken, wo heute die Prozeduren zu lange dauern.
Wir geben auch sehr viel Geld für die Landwirtschaft aus, und dies nicht immer mit der nötigen Effizienz. Die Landwirtschaft muss stärker in die Marktwirtschaft eingebunden und weniger durch Regeln geschützt werden, welche nicht mit dem Markt vereinbar sind.
swissinfo.ch: Welchen Weg sollte die Eidgenossenschaft in ihrem Verhältnis zur EU künftig einschlagen?
F.P.: Wir haben uns klar und deutlich dafür ausgesprochen, den bilateralen Weg weiter zu gehen. Das heisst: Spezifische Abkommen mit der EU in Bereichen, in denen es ein beidseitiges Interesse an einer Öffnung gibt. Wir lehnen einen EU-Beitritt ab, weil dieser sehr grosse Hürden aufweist und nicht überzeugend ist.
Wir wollen darüber hinaus einigen europäischen Ländern helfen, die gegenwärtige Krise zu überwinden. Denn die EU ist nicht nur ein wichtiger Partner, sondern auch ein wichtiger Kunde.
Wir verlangen von der EU eine partnerschaftliche Zusammenarbeit. Die EU darf als grosses System von 27 Staaten die kleine Schweiz nicht dominieren. Wir können nur paritätische Beziehungen akzeptieren.
swissinfo.ch: Sollte die Schweiz neue Atomkraftwerke bauen oder lieber auf erneuerbare Energien setzen?
F.P.: Unsere Partei war der Ansicht, dass die bestehenden Atomkraftwerke durch zwei Atomkraftwerke der neuesten Generation ersetzt werden sollten. Als Folge des Unglücks von Japan, welches das Misstrauen gegenüber der Kernenergie gestärkt hat, ist es nicht mehr realistisch, eine Mehrheit für unser politisches Projekt zu finden.
Wir müssen unsere Energiepolitik also neu aufgleisen und die 40 Prozent Elektrizität, die mit Kernenergie erzeugt werden, durch erneuerbare Energiequellen oder Gas ersetzen.
Wir glauben aber auch, dass man nicht übereilt aus der Atomenergie aussteigen muss, wenn die Kontrollen zeigen, dass unsere bestehenden Atomkraftwerke sicher sind.
swissinfo.ch: Welchen Auftrag soll die Armee künftig erfüllen? Und mit welchem Bestand?
F.P.: In Europa sind wir immer noch Gefahren ausgesetzt. Denken wir nur an den internationalen Terrorismus oder an Migrationsbewegungen in Folge von Bürgerkriegen. Eine militärische Verteidigung Europas – und damit der Schweiz – bleibt unabdingbar.
Auch wenn der Bestand der Armee in Zukunft kleiner ist als in der Vergangenheit, wird immer ein militärischer Kern bestehen bleiben, der im Notfall eingreifen kann.
Hilfsleistungen für die Zivilbevölkerung oder friedenserhaltende Missionen im Ausland können immer nur eine Ergänzung der militärischen Kernaufgabe darstellen.
swissinfo.ch: Welche Haltung vertritt Ihre Partei in Bezug auf die Einwanderung und die Integration von Ausländern in die Schweiz?
F.P.: Wir haben die neue Einwanderungspolitik mitdefiniert. Und diese fusst auf zwei Säulen. Die erste Säule besteht im freien Personenverkehr mit der EU, der eine gegenseitige Mobilität mit vielen Vorteilen für beide Seiten mit sich bringt.
Die zweite Säule will die Immigration aus Drittstaaten eindämmen, mit Ausnahme von dringend benötigten, hoch qualifizierten Arbeitskräften. Wir befürworten zudem eine effiziente Integrationspolitik. Ausländer sollen sich anpassen und unsere Regeln befolgen.
swissinfo.ch: Welche Vorschläge macht Ihre Partei, um die Beziehungen der Eidgenossenschaft zur Fünften Schweiz zu verbessern?
F.P.: Ich denke, dass die Einführung der elektronischen Stimmabgabe die wichtigste Massnahme ist, damit Auslandschweizer am politischen Leben teilhaben können. Leider verzögert sich dieser Prozess immer wieder.
Die Bürokratie in den Kantonen und in der Eidgenossenschaft hemmt heute die Ausübung der politischen Rechte. Beispielsweise, wenn das Stimmmaterial nicht rechtzeitig eintrifft. Diese unhaltbare Situation muss durch die elektronische Stimmabgabe ersetzt werden.
swissinfo.ch: Man wirft der FDP immer wieder vor, sich in ihrer Politik zu sehr an den Themen der Schweizerischen Volkspartei (SVP) zu orientieren, beispielsweise in Migrationsfragen.
F.P.: Politik hängt immer von den Sorgen und Nöten der Bevölkerung ab. Darunter gibt es Sorgen und Phänomene, die traditionell der Rechten zugeordnet werden, wie Migrationsfragen oder der nationale Zusammenhalt. Wenn unsere Antworten auf diese Fragen richtig erscheinen, macht es mir nichts aus, wenn wir als rechts klassifiziert werden.
Doch wir haben teilweise ganz andere Ziele als die SVP. Beispielsweise stehen wir für den freien Personenverkehr ein, der von der SVP abgelehnt wird.
Die Partei «FDP.Die Liberalen» entstand 2009 durch den Zusammenschluss der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) und der Liberalen Partei der Schweiz (LPS).
Damit ist die Partei auf dem Papier zwar die jüngste Schweizer Partei, doch in Wirklichkeit stellt sie das Erbe der Freisinnigen dar, die für die Geburt der modernen Eidgenossenschaft verantwortlich zeichneten.
Die liberalen Kräfte, die sich gegen die Konservativen durchsetzen, gründeten 1848 den Bundesstaat und arbeiteten die erste Bundesverfassung aus.
Während die Liberale Partei der Schweiz stets eine Minderheitenpartei blieb, dominierten die Freisinnigen lange das politische Leben der Schweiz.
Von 1848 bis 1891 bestand die Schweizer Regierung nur aus Freisinnigen. Danach stellten die Freisinnigen bis 1943 die Mehrheit der Regierungsvertreter.
Seither sind sie im Bundesrat (Regierung) mit mindestens zwei Ministern (von sieben) vertreten.
In den letzten 30 Jahren büsste die Partei stark an Popularität ein.
Der Wählerstimmenanteil fiel von 24,0 Prozent (1979) auf 15,7 Prozent (2007). Die mit der FDP fusionierten Liberalen kamen 2007 auf 1,8 Prozent.
Die FPD hat sich von einer tendenziell progressiven Partei im Laufe des Jahrhunderts zu einer Partei gewandelt, die politisch mitte-rechts steht und Wirtschaftsinteressen vertritt.
Fulvio Pelli wurde 1951 geboren. Er unterhält eine Anwalts- und Notariatskanzlei in Lugano.
Seine politische Karriere in den Reihen der FDP begann als Gemeinderat 1980.
Von 1983 bis 1994 sass er im Grossen Rat. 1995 wurde er in den Nationalrat gewählt.
Von 2002 bis 2005 präsidierte er die FDP-Bundeshausfraktion. Seit 2005 ist er Präsident der FDP Schweiz.
Unter seiner Führung wurde die Fusion mit der Liberalen Partei der Schweiz (LPS) vollzogen.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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