«Ich frage mich, in welcher Welt meine Tochter leben wird» – die Klimaangst der Klimaforschenden
Der Klimawandel hat nicht nur sichtbare Auswirkungen auf Ökosysteme und menschliche Aktivitäten. Er hat auch emotionale und psychologische Auswirkungen auf die Menschen, die sich mit diesem Phänomen befassen. Das zeigt eine Umfrage unter Klimaforscher:innen in der Schweiz.
Ökoangst oder Klimaangst (Eco-anxiety) nennt sich das Phänomen und es beschreibt klimabedingte psychologische Störungen. Denn die Sorge um die Auswirkungen des Klimawandels auf den Planeten Erde und die Lebewesen kann ein emotionales Unwohlsein auslösen, dass sich im Alltag negativ auswirkt. Depressionen und Zukunftsängste können die Folge sein.
Junge Menschen sind besonders betroffen: Sie fürchten sich um die Zukunft, auch wenn sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass noch genügend Zeit bleibt, um die schlimmsten Szenarien abzuwenden. Klimaangst kann aber auch bei Personen auftreten, die sich beruflich mit dem Klima beziehungsweise dem Klimawandel befassen, auch wenn in diesem Fall die Angstzustände nicht unbedingt zu psychischen Störungen führen müssen.
In der Serie «10 Jahre Pariser Abkommen» beleuchten wir, was seit 2015 in der Schweiz und weltweit in den Bereichen Emissionen, erneuerbare Energien, Klimapolitik und -forschung erreicht wurde.
Swissinfo hat eine Umfrage unter Klimaforscher:innen durchgeführt. Demnach gaben 72% der Teilnehmenden aus der Schweiz an, sich emotional von ihrer Arbeit und der Klimaentwicklung betroffen fühlen. 41% erleben diese Gefühle «gelegentlich», 31% «mehrmals pro Woche». Nur 6% gaben an, keine besonderen Gefühle zu empfinden.
«Ich bin sehr besorgt über die mittelfristigen Folgen des Klimawandels. Ich habe eine Tochter und frage mich, in welcher Welt sie leben wird», sagt beispielsweise Pierre Vollenweider, Forscher für Waldökologie an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Dennoch setzt Vollenweider Hoffnungen auf die jüngeren Generationen, «denn diese wollen Lösungen für das Klimaproblem finden».
Die Mehrheit der Wissenschaftsgemeinschaft ist überzeugt, dass es nicht möglich sein wird, die globale Erwärmung auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, wie es das ehrgeizigste Ziel des Pariser Klimaabkommens vorsieht. Das Überschreiten dieser kritischen Schwelle erhöht das Risiko tiefgreifender Veränderungen für Ökosysteme, Biodiversität und Ernährungssicherheit erheblich.
Das Ausbleiben konkreter Massnahmen sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene schürt die Frustration vieler Forscherinnen und Forscher. Dabei sind Lösungen für einen emissionsärmeren Planeten bereits verfügbar, wie sie betonen.
Die Mehrheit der Klimaforschenden in der Schweiz geht davon aus, dass das Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, nicht erreicht werden wird:
Mehr
Schweizer Klimafachleute: Klimaziel von plus 1,5°C ist unrealistisch
Zwischen Pessimismus und Optimismus
Einige Studien über das emotionale Leiden in Folge des Klimawandels zeigen auf, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine besondere Gruppe darstellen: Sie sind auf Grund ihrer beruflichen Tätigkeit ständig mit der Realität und den Folgen der globalen Erwärmung konfrontiert. Der Zugang zu Prognosen und Zukunftsszenarien kann zu Angstzuständen, Depressionen und einem Gefühl der Ohnmacht führen.
«Ich habe Strategien entwickelt, um mit meinen Gefühlen umzugehen», sagt Reto Knutti, Klimaphysiker am Institut für Atmosphäre und Klima der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). Er ist seit fast 30 Jahren in Forschung und Lehre tätig.
Knutti erklärt, dass sich seine wissenschaftliche Arbeit auf das Verständnis von Klimasystemen, ihren Wechselwirkungen und statistischen Aspekten konzentriert. «Ich bin Vater von zwei Kindern: Es macht mich traurig, dass sie alles erleben werden, was wir heute vorhersagen», hält er fest.
Knutti erklärt, er sei nicht ängstlich, so wie es bei einigen seiner Studierenden der Fall sei. Er verspüre jedoch angesichts der jüngsten Entwicklungen eine Mischung aus Angst und Traurigkeit. «Der Klimawandel schreitet rasch voran, und die Reaktionen der Politik und der Gesellschaft werden immer unzureichender.»
Der Klimawandel stehe nicht mehr zuoberst auf der globalen politischen Agenda, die sich nun auf Handelszölle, Kriege, Geopolitik und Migration konzentriere, bedauert Knutti. «Wir verfügen über alle Instrumente, um die Klimakrise zu bewältigen, von Elektroautos bis hin zu Wärmepumpen, und das gibt Anlass zu Optimismus. Wenn ich jedoch den politischen Willen zum Handeln betrachte, überwiegt der Pessimismus.»
Es ist das erste internationale und rechtlich verbindliche Klimaabkommen. Es verpflichtet alle Länder, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Es wurde am 12. Dezember 2015 an der Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP21) in Paris verabschiedet.
Das Ziel des Pariser Abkommens ist es, die Erderwärmung deutlich unter 2°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu halten und den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5°C zu begrenzen. Dafür soll bis 2050 ein Netto-Null-Emissionsausstoss (Klimaneutralität) erreicht werden.
Das Abkommen wurde von 196 Staaten unterzeichnet. Die Schweiz hat es 2017 ratifiziert.
Ein lösbares Problem wird ignoriert
Philippe Thalmann, Professor für Umweltökonomie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne, teilt diese Ansicht: «Ich beschäftige mich seit langem mit dem Klima und habe schon vor langer Zeit erkannt, dass wir nicht in der Lage sind, diese Bedrohung anzupacken.»
Thalmann stellt fest, dass viele Länder und Unternehmen, die sich verpflichtet hatten, ihre Klimabilanz zu verbessern, nun einen Rückzieher machten. Das Gleiche gelte für den Finanzsektor. «Ich bin etwas beunruhigt, weil ständig Massnahmen mit der Begründung aufgeschoben werden, wonach die Klimakrise nicht so wichtig ist», sagt er.
Sandro Vattioni, Klimatologe an der ETH, ist «sehr frustriert» über den anhaltenden Anstieg der Treibhausgase auf der ganzen Welt. «Wir wissen, wie man erneuerbare Energien für die Energieerzeugung und Mobilität nutzt, aber die Umsetzung geht noch zu langsam vor sich. Es ist frustrierend zu sehen, dass zehn Jahre nach dem Pariser Abkommen der Übergang zu einer nachhaltigen Zukunft immer noch so langsam vorwärtskommt», kommentiert er.
Laut einem aktuellen BerichtExterner Link der Weltorganisation für Meteorologie haben die Kohlendioxidwerte (CO2) in der Atmosphäre im Jahr 2024 einen neuen Rekordwert erreicht. Der Anstieg der CO2-Konzentration gegenüber 2023 war der stärkste jährliche Anstieg seit Beginn der modernen Messungen im Jahr 1957.
Vattioni untersucht im Rahmen des Geo-Engineering die Möglichkeiten, über eine veränderte Reflexion der Sonneneinstrahlung (Solar Radiation Modification SRM) die Auswirkungen des Klimawandels zu verringern. Genau dieses Forschungsfeld kann seiner Meinung nach auch eine Quelle der Frustration sein. «Ich habe zwiespältige Gefühle: Ich halte es für wichtig, mehr über SRM zu erfahren, weil wir es eines Tages vielleicht brauchen werden, aber mir ist bewusst, dass es keine wirkliche Lösung ist, da es nicht um die Ursachen des Klimawandels geht.»
Mehr
Solares Geoengineering – mit Sonnenstrahlen gegen den Klimawandel
«Vor 20 Jahren pessimistischer»
Bei der Swissinfo-Umfrage gab ein Drittel der teilnehmenden Forscherinnen und Forscher (36%) in Bezug auf die Zukunft an «besorgt zu sein, aber gleichzeitig entschlossen, die eigene Arbeit fortzusetzen». Ein weiteres Drittel (35%) gab an, „mässig optimistisch“ zu sein. Schliesslich sagten 27% , sie seien «zutiefst pessimistisch» oder «demotiviert oder emotional erschöpft».
«Entmutigung und Traurigkeit überwiegen, wenn ich mir anschaue, was auf politischer Ebene getan wurde. Ich denke zum Beispiel an die Entscheidung der Vereinigten Staaten, die Förderung erneuerbarer Energien zu reduzieren und fossile Brennstoffe zu fördern», sagt Sonia Seneviratne, eine der weltweit renommiertesten Klimawissenschaftlerinnen und Expertin für extreme Wetterereignisse und Wechselwirkungen zwischen Boden und Klima.
Seneviratne ist jedoch überzeugt, dass der Weg nun vorgezeichnet ist und dass es früher oder später zu einem globalen Bewusstseinswandel kommen wird, der zu schnellen Entscheidungen zum Schutz des Klimas führen wird. «Vor 20 Jahren war ich pessimistischer, weil wir keine Lösungen hatten. Heute haben wir diese Lösungen, auch wenn es frustrierend ist festzustellen, wie schwierig es ist, rational notwendige Entscheidungen zu treffen», stellt sie fest.
«Manchmal habe ich den Eindruck, dass es vielen Menschen, nicht nur in der Politik, völlig egal ist, was gerade passiert», sagt Mylène Jacquemart von der ETH, die die Auswirkungen des Klimawandels auf Naturgefahren in den Alpen und Polarregionen untersucht. Sie ist besorgt darüber, wie sich die Umwelt in den Bergen verändert.
Der Temperaturanstieg führt zu weniger Schneefall, lässt Gletscher schmelzen und macht Hänge instabiler. Aktivitäten wie Bergsteigen oder Skifahren werden in den Alpen nicht mehr überall möglich sein. «Es macht mich traurig, dass unsere Kinder die Berge nicht mehr so erleben können wie wir heute», sagt Jacquemart.
Mehr
Alles zum Thema «Wissenschaft»
Die Forscherin motiviert vor allem der Wunsch, die Vorhersagen von Naturgefahren zu verbessern und die Orte zu schützen, die ihr so am Herzen liegen. «Wenn wir besser verstehen, wie sich Naturgefahren entwickeln, können wir uns besser vorbereiten und dem Wandel anpassen», betont sie.
Es gebe jedoch auch Entwicklungen, die in die richtige Richtung gingen, wie beispielsweise der weltweite Fortschritt im Bereich der erneuerbaren Energien.
Heute stammt fast ein Drittel der weltweiten Elektrizität aus Sonne, Wind und Wasser, und die Investitionen in erneuerbare Energien übersteigen diejenigen in Gas:
Mehr
Solar- und Windenergie stehen vor erheblichen Hindernissen
Vertrauen in die Wissenschaft
Für die Wissenschaftsgemeinschaft gibt es jedenfalls auch gute Gründe, positiv in die Zukunft zu schauen. Laut dem Wissenschaftsbarometer 2025Externer Link hat die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung grosses Vertrauen in die Wissenschaft und ist der Meinung, dass politische Entscheidungen auf ihr basieren sollten.
«Als Klimawissenschaftlerin freue ich mich, dass das Thema «Klima und Energie» weiterhin als besonders wichtig angesehen wird», sagt Sonia Seneviratne.
Editiert von Gabe Bullard; Übertragung aus dem Italienischen mithilfe von Deepl: Gerhard Lob
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch