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EU-Waffenrichtlinie im Kreuzfeuer

Zivilist von hinten mit einem Sturmgewehr am Rücken
Teilnehmer des obligatorischen Schiessens mit seinem Armee-Sturmgewehr. Armeeangehörige dürfen ihre halbautomatische Dienstwaffe auch unter dem neuen Waffenrecht behalten. Zivilisten müssen eine Ausnahmebewilligung beantragen. Keystone/Martin Ruetschi

Die Volksabstimmung vom 19. Mai betreffend Übernahme der EU-Waffenrichtlinie ins Schweizer Recht ist auch für Europa relevant. Umstritten ist besonders die strengere Regelung bei der Zulassung von halbautomatischen Waffen. Gegen die Vorlage wurde das Referendum ergriffen, wodurch die Abkommen von Schengen/Dublin unter Druck geraten.

Die Europäische Union hat auf die blutigen Attentate von islamistischen Terroristen von Paris reagiert: Der Erwerb von Waffen wurde erschwert, ihre Rückverfolgbarkeit verbessert und der Informationsaustausch unter den Mitgliedsstaaten im Sicherheitsbereich verstärkt.

Dabei stand vor allem ein Ziel im Vordergrund: Die Senkung des Risikos, dass automatische und halbautomatische Waffen auf den illegalen Markt gelangen, wo sie Kriminellen und Terroristen in die Hände fallen könnten.

Die Schweiz ist assoziiertes Mitglied des Schengener AbkommensExterner Link. Das heisst, sie muss die verschärften Bestimmungen der EU-WaffenrichtlinieExterner Link übernehmen und das eigene Waffenrecht anpassen.

Im Verlauf von Verhandlungen in Brüssel hat die Schweiz jedoch ihre Anliegen einbringen und die anderen Schengen-Staaten für die “schweizerischen Eigenheiten und Traditionen im Schiesswesen” sensibilisieren können. Das heisst, dass der ursprüngliche Entwurf der Europäischen Kommission “in vielen Bereichen abgeschwächt wurde”, wie der Bundesrat in seiner Botschaft an das ParlamentExterner Link präzisiert.

Ausnahmebewilligung für halbautomatische Waffen

Als wichtiges Resultat dieser Bemühungen wertet der Bundesrat etwa den Verzicht der EU auf ein absolutes Verbot, dass Private automatische und halbautomatische Waffen besitzen dürfen. Die Europäische Kommission hatte sich für ein solches Verbot ausgesprochen.

Halbautomatische Feuerwaffen mit grossem Magazin, mit denen Schützen ohne Nachladen viele Schüsse hintereinander abgegeben können, werden indessen von der Kategorie der bewilligungspflichtigen in jene der verbotenen Waffen überführt.

Das heisst aber nicht, dass sie verschwinden. Vielmehr können solche Waffen künftig nur noch mit einer Ausnahmebewilligung erworben werden, die beim kantonalen Waffenbüro zu beantragen ist.

swissinfo.ch

Massgeschneiderte Ausnahmeregelung für Schweizer Armeewaffe

Von zentraler Bedeutung sind nach Ansicht des Bundesrats sodann die Zugeständnisse, die Bern hinsichtlich des Sturmgewehrs der Soldaten der Schweizer Armee errungen hat.

Obschon das Sturmgewehr in die Kategorie der verbotenen halbautomatischen Feuerwaffen fällt, lässt die EU-Richtlinie explizit zu, dass Angehörige der Armee nach Dienstende die Armeewaffe mit dem dazugehörigen Magazin “weiterhin zu Eigentum übernehmen und für das sportliche Schiessen nutzen können”.

Die Änderungen

Durch die Überführung halbautomatischer Feuerwaffen mit grossem Magazin in die Kategorie der verbotenen Waffen ändert sich für aktuelle Besitzer solcher Waffen überhaupt nichts, wenn diese in einem kantonalen Verzeichnis registriert sind.

Ist dies nicht der Fall, so muss der Besitz einer solchen Waffe innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung dem Waffenbüro des Wohnsitzkantons gemeldet werden.

Wer eine Feuerwaffe dieser Kategorie erwerben möchte, muss sein Gesuch für eine Ausnahmebewilligung schriftlich begründen: beispielsweise mit Schiesssport oder Sammeltätigkeit. Sportschützen und Sportschützinnen müssen jeweils nach fünf und zehn Jahren den Nachweis erbringen, dass sie Mitglied eines Schützenvereins sind oder das “sportliche Schiessen” regelmässig ausüben.

Museen sowie Sammler und Sammlerinnen müssen den Nachweis erbringen, dass sie die Waffen sicher aufbewahren und ein Verzeichnis der Waffen führen, für die eine Ausnahmebewilligung erforderlich ist.

Wer mit Waffen handelt, sie herstellt oder importiert, ist ebenfalls von den Neuerungen der Gesetzesrevision betroffen. So müssen sämtliche Transaktionen mit Waffen und deren wesentlichen Bestandteilen dem kantonalen Waffenbüro innerhalb von 20 Tagen elektronisch gemeldet werden.

Und wer Waffen herstellt oder importiert, ist verpflichtet, alle Waffenbestandteile einer Feuerwaffe, auch bei zusammengebauten Feuerwaffen, zu markieren, wodurch deren Herkunft leichter geklärt werden kann.

Die unverzichtbaren Vorteile von Schengen und Dublin

Laut Bundesrat wird sich die Schweizer Version der EU-Waffenrichtlinie in keiner Weise negativ auf Sportschützen und Sportschützinnen und die bis heute weit verbreitete Tradition des schweizerischen Schiesswesens auswirken. Jäger und Jägerinnen seien von den Anpassungen des Waffengesetzes ohnehin nicht betroffen, da sie keine halbautomatischen Feuerwaffen verwenden.

Die gesetzlichen Anpassungen stellten den Verbleib der Schweiz im Schengenraum sicher. Werde die EU-Waffenrichtlinie durch den Bund nicht rechtzeitig übernommen, so ziehe dies automatisch eine Beendigung der Zusammenarbeit nach sich, es sei denn, die Europäische Kommission und sämtliche EU-Mitgliedstaaten zeigten sich bereit, der Schweiz innerhalb von 90 Tagen entgegenzukommen, so die Warnung des Bundesrats.

Mit einer Beendigung des Schengen-Abkommens würde auch das Dublin-Abkommen fallen. Ein Wegfall von Schengen/Dublin wäre mit erheblichen negativen Auswirkungen für die Schweiz verbunden, ein Risiko, das unser Land laut Bundesrat nicht eingehen sollte.

So hätte die Schweiz beispielsweise keinen Zugriff auf das zentrale Schengener Informationssystem (SIS) mehr. Dieses ist für die Schweizer Polizei und die Grenzwacht zu einem unerlässlichen Instrument geworden, was Fahndungen und Kontrollen betrifft.

Wieder zurück zu Grenzkontrollen

Eine weitere Auswirkung: Die Schweiz müsste ihre Grenzen wieder systematisch kontrollieren. Dies wäre nicht nur ein erheblicher personeller und finanzieller Mehraufwand, sondern würde auch zu Staus an den Grenzübergängen führen. Und das wiederum wäre ein grosser Nachteil für die Zehntausenden von Grenzgängerinnen und -gängern, die zum Arbeiten in die Schweiz kommen.

Weiterer Nachteil des Alleingangs: Bei einem Ausschluss der Schweiz aus dem Dublin-Abkommen könnten Asylbewerber, die bereits in einem anderen Mitgliedsstaat einen Asylantrag gestellt haben, nicht mehr sofort dank Zugriff auf die europäischen Datenbanken ausgeschafft werden.

Die Schweiz wäre vielmehr gezwungen, sämtliche Asylgesuche zu prüfen und würde dadurch für Asylbewerber attraktiver. Im Schengenraum gilt die Regel, dass Migranten nur im Erstaufnahmeland ein Asylgesuch stellen können.

Erster Schritt in Richtung Entwaffnung

Dieser Argumentation hat sich die grosse Mehrheit des Parlaments angeschlossen und die Teilrevision des Waffengesetzes gutgeheissen.

Dagegen hat sich lediglich die Fraktion der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) ausgesprochen. Sie bezweifelt die Wirksamkeit der Massnahme bei der Terrorismusbekämpfung und beanstandet, die administrativen Hürden würden den Schiesssport, der hierzulande zu den populärsten Sportarten zählt, untergraben.


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Mehr noch: Die SVP sieht in der EU-Richtlinie den ersten Schritt in Richtung künftiger Restriktionen, die über kurz oder lang unweigerlich zur vollständigen Entwaffnung der Bevölkerung führen würden.

Die Schweizer und Schweizerinnen müssten sich dannzumal verabschieden von ihrem Brauch, das Sturmgewehr zuhause aufzubewahren. Ebenso vom Schiessen als Breitensport, prophezeien die Gegner der Gesetzesrevision aus dem rechten Lager des politischen Spektrums.

Im Übrigen vertritt die SVP den Standpunkt, der Bund könne auch im Fall einer Nicht-Umsetzung der EU-Richtlinie im Schweizer Waffenrecht mit Brüssel über eine Fortsetzung der Schengen/Dublin-Zusammenarbeit verhandeln, da ein Ausschluss der Schweiz schliesslich auch nicht im Interesse der EU liege.

Unterschriftenflut bringt Waffen vors Volk

Die SVP ist zwar im Parlament unterlegen, versucht nun aber, auf dem Feld der direkten Demokratie wieder Boden wettzumachen.

Die von ihr vorgebrachten Argumente werden denn auch von der Interessengemeinschaft Schiessen Schweiz (IGS)Externer Link, die mit Erfolg das Referendum ergriffen hat, vollumfänglich geteilt. So sind in drei Monaten mehr als 125’000 gültige Unterschriften zusammengekommen, mehr als doppelt so viele wie die 50’000, die erforderlich sind, um einen Urnengang zu erzwingen.

Die IGS vertritt 14 Verbände: Neben den Schützenverbänden gehören ihr unter anderem auch die Interessengemeinschaften und Verbände der Waffensammler, Büchsenmacher, Jäger und Unteroffiziere an. Laut IGS-Schätzungen verwenden rund 80% der Schützen und Schützinnen in unserem Land beim Schiessen eine halbautomatische Waffe.

Unter dem Motto “Stop dem Entwaffnungsdiktat der EU” führt die IGS den Abstimmungskampf an. Der Grundtenor: Die Übernahme der EU-Waffenrichtlinie böte nicht den geringsten Sicherheitsgewinn, bedeutete aber das Ende des Schiessens als Breitensport und machte “aus unserem Recht auf Waffenbesitz ein blosses Privileg”. Überdies seien die Befürchtungen über einen Schengen-Rauswurf der Schweiz absolut haltlos.

In der Referendumskampagne hat die IGS auch prominente Unterstützung durch die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG)Externer Link erhalten, wenngleich unter den Offizieren keine Einigkeit herrschte. Der Zwist hat zur Gründung des Komitees “Offiziere für Schengen”Externer Link geführt, welches das revidierte Waffengesetz befürwortet. Womit sich bereits jetzt ein hitziger Abstimmungskampf abzeichnet.

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(Übertragung aus dem Italienischen: Cornelia Schlegel)

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