«Bedingt» oder Grundeinkommen auf Finnisch
Die Schweizer Stimmbevölkerung befindet am 5. Juni über die Volksinitiative zur Einführung eines "unbedingten Grundeinkommens". Finnland hat sich bereits entschieden - für ein Grundeinkommen, das an Bedingungen geknüpft ist und das den Sozialstaat reformieren soll.
Zwei Länder, zwei Wege – und interessante Parallelen. In der Schweiz können die Bürgerinnen und Bürger noch bis zum 5. Juni entscheiden, ob in der Verfassung das Grundprinzip eines «unbedingten Grundeinkommens»Externer Link verankert werden soll. Laut Meinungsumfragen wird eine klare Mehrheit dagegen stimmen.
In Finnland hingegen, wo vor Jahren ein entsprechender Vorstoss aus der Bevölkerung bereits im Unterschriftenstadium scheiterte, wird die Idee des Grundeinkommens in den kommenden Jahren umgesetzt. Dafür hat sich eine klare Mehrheit des bürgerlich dominierten Parlamentes entschieden.
Die Gemeinsamkeiten sind in der Tat interessant: sowohl die Schweiz wie auch Finnland sind wohlhabende Wohlfahrtsstaaten. In beiden Ländern fehlt es in gewissen Branchen an Arbeitskräften, während sich gleichzeitig unterschiedlich grosse Teile der erwerbsfähigen Bevölkerung ausserhalb des Arbeitsmarktes befinden. Und in beiden europäischen Staaten drohen die Kosten der Sozialversicherungs-Systeme angesichts der demografischen Entwicklung (Stichwort «Überalterung») aus dem Ruder zu laufen.
Über 500 finnische Volksinitiativen
Parallelen sind zudem auch bei der Entwicklung der Volksrechte auszumachen, mittels derer sich die Bürgerinnen und Bürger direkt in die Politik des Land einmischen können: Während in der Schweiz die (nationale) Volksinitiative in diesem Jahr ihren 125. Geburtstag feiern kann, können die gut fünf Millionen Finninnen und Finnen erst seit gut fünf Jahren entsprechende Vorstösse starten.
Dabei orientiert sich das finnische Bürgerinitiativrecht jedoch nicht am verbindlichen Schweizer Modell, sondern am europäischen Vorbild der sogenannten Volksmotion. Wer es in Finnland schafft, innerhalb von sechs Monaten mindestens 50’000 Unterschriften zusammen zu bringen, kann im nationalen Parlament in Helsinki – dem Eduskunta – dazu verbindlich einen Gesetzesprozess auslösen. Im Unterschied zur Schweiz, wo Unterschriften auch heute noch ausschliesslich manuell und auf Papier gesammelt werden müssen, steht in Finnland den Initianten eine elektronische PlattformExterner Link im Internet zur Verfügung.
Wie würde es in der Schweiz funktionieren?
Laut Vorschlag der Initianten würden diejenigen, die keine Erwerbstätigkeit ausüben, ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) erhalten, während Einkommen aus Erwerbstätigkeit bis zur Höhe des BGE abgeschöpft und durch dieses ersetzt würden. Wer gleich viel oder mehr verdient als der Betrag des BGE, hat mit dem Grundeinkommen gleich viel Einkommen wie heute.
Konkret würde eine Person, die 1500 Franken verdient, bei einer Annahme von 2500 Franken Grundeinkommen 1000 Franken mehr erhalten, während der Lohn einer Person mit 2500 Franken Einkommen unverändert bleiben würde. Verdient jemand beispielsweise 6500 Franken, werden 2500 Franken für die Finanzierung des BGE abgeschöpft, der Lohn würde somit 4000 Franken betragen. Dazu kommen aber wieder die 2500 Franken des BGE, womit insgesamt trotzdem 6500 Franken zur Verfügung stehen.
Der gleiche Mechanismus würde für Geldleistungen aus der sozialen Sicherheit angewendet. Bis zu der Schwelle von 2500 Franken würden diese vom BGE abgegolten, während alles darüber hinaus wie bisher über die Sozialwerke laufen würde.
So wird erwartet, etwa 88% des BGE abdecken zu können. Für die restlichen 12% müssten andere Finanzierungsquellen wie etwa zusätzliche Steuern bestimmt werden.
Wer unterschreiben will, nutzt dabei den E-Banking-Zugang. Die bisher erfolgreichste unter mehr als 500 lancierten finnischen Volksinitiativen brachte im Sommer 2013 innerhalb von wenigen Tagen über 160’000 Unterschriften für ein neues Gesetz über die gleichgeschlechtliche Ehe zusammen: das Parlament folgte dem Vorstoss ein Jahr später.
Ein entsprechender Vorstoss aus der finnischen Bevölkerung für die Einführung eines Grundeinkommens war weit weniger erfolgreich: 2013 kamen weniger als tausend Unterschriften zusammen, während eine entsprechende Volksinitiative auf der europäischen Ebene gerade einmal auf gut 50’000 Unterschriften kam.
«Bedingtes» Grundeinkommen
Trotzdem nahm der damalige finnische Parlamentarier und Unternehmer Juha Sipilä den Ball auf: nach dem Wahlsieg seiner Zentrumspartei im April 2015 schlug der neu zum Ministerpräsidenten gewählte Sipilä nämlich vor, in Finnland einen Versuch mit einem GrundeinkommenExterner Link durchzuführen. Und so soll es voraussichtlich 2017 nun auch geschehen.
Dabei ist nicht nur der (direkt)demokratische Weg zum Grundeinkommen ein ziemlich anderer als in der Schweiz, sondern auch das vorgeschlagene Modell.
In Finnland ist nämlich nicht ein «unbedingtes», sondern ein «bedingtes» Grundeinkommen vorgesehen. Konkret sollen jene Personen pro Monat umgerechnet gut 800 Franken aus der Staatskasse erhalten, die bislang mehr Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe erhalten haben, als sie im Falle einer Arbeitsaufnahme in ihrem Beruf verdient hätten – und somit wenig Anlass hatten, zum Beispiel als Hilfspfleger in einem Altersheim zu arbeiten.
Unterstützung von bürgerlicher Seite
Finnland leidet darunter, dass es in gewissen Branchen – vor allem im öffentlichen Sektor – an entsprechendem Fachpersonal fehlt. Kampagnen im Ausland, unter anderem sind immer wieder Pflegekräfte auf den Philippinen angeworben worden, vermochten dieses Problem nicht zu lösen. Nun soll mit der vorerst auf zwei Jahre befristeten Einführung des «bedingten» Grundeinkommens dieser gordische Knoten gelöst und die seit Jahren hohe finnische Arbeitslosenquote von gegen zehn Prozent gesenkt werden.
Interessant ist schliesslich auch der unterschiedliche politische Zugang zum Grundeinkommensthema: In der Schweiz unterstützen in erster Linie rot-grüne Kreise den VorschlagExterner Link, während in Finnland namentlich bürgerliche Kreise der Idee viel Zuspruch entgegenbringen. Entsprechend unterschiedlich sind deshalb auch die vorgeschlagenen Grundeinkommensmodelle: in der Schweiz geht es um einen sehr weitgehenden Umbau des Wohlfahrtsstaaten mittels eines eigentlichen Bürgerlohnes für alle, in Finnland steht ein bedeutend weniger ambitioniertes Modell vor der Umsetzung, der zu einer schrittweisen Reform der Sozialstaates führen soll.
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