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Ein spannender Moment in der schweizerischen Politik

Voraussichtlich wird nur Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz (rechts) abtreten und auf dem Foto der Regierung 2008 nicht mehr erscheinen.

Trotz Kritik und Drohungen wird der Bundesrat den Test vom 12.12. bestehen: die zwei Kammern des Parlaments werden die jetzigen sieben Mitglieder des Bundesrats höchstwahrscheinlich bestätigen.

Mittlerweile ist auch in der Schweiz die Zusammensetzung der Regierung nicht mehr nur eine Formalität. Die Verschiebung der Macht nach den drei letzten Wahlen des Parlaments hat ein neues politisches Klima geschaffen.

“Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird es am 12. Dezember keine Änderungen geben”, sagt Silvano Möckli, Professor für Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen, gegenüber swissinfo.

“Doch die Wahl des Bundesrates ist einer der aufregendsten Momente in der schweizerischen Politik, geniessen wir ihn also.”

Die Wahl der Regierung am Anfang der Legislatur ist ein wenig das Salz in der politischen Alltagskost. Schweizer Politik bot für lange Zeit kaum Überraschungen.

Noch bis vor wenigen Jahren war eine Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der politischen Lager undenkbar, ganz zu schweigen von einer Neuverteilung der Regierungssitze.

Von 1959 bis 2003 waren es vier Parteien, die 80% der Stimmen erhielten und die Regierungssitze nach der so genannten Zauberformel unter sich aufteilten: zwei Bundesräte der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), zwei der Sozialdemokratischen Partei (SP), zwei der Christlichdemokratischen Partei (CVP) und ein Vertreter der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Zeremoniell mit bekanntem Ausgang

Bis vor vier Jahren wurden alle zur Verfügung stehenden Bundesräte vom Parlament für die neue Legislatur regelmässig wiedergewählt.

Das Wahlprozedere glich ein wenig der Bestellung des Politbüros der ehemaligen Sowjetunion, so klar war jeweils der Ausgang der Wahl.

In seltenen Fällen erhielten die Kandidaten nur wenige Stimmen über dem absoluten Mehr. Das wurde dann als Ausdruck der Unzufriedenheit gegenüber einem Mitglied des Bundesrats oder einer Partei interpretiert.

Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass Bundesratswahlen, die jeweils mit Besinnlichkeit vor den Bildschirmen zu Hause oder in Schulen und Büros verfolgt wurden, im kollektiven Gedächtnis kaum grosse Spuren hinterliessen.

Gewöhnlich wussten viele Schweizer nur wenige Wochen nach der Bundesratswahl die Namen der sieben Mitglieder der Landesregierung schon nicht mehr.

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Zauberformel

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Zauberformel schlüsselt die sieben Sitze im Bundesrat (Landesregierung) auf die wichtigsten Parteien in der Schweiz nach ihrer Wählerstärke auf. Sie ist eine Usanz und gründet auf keinem Gesetz. Sie respektiert auch das sprachliche Gleichgewicht. Sie kam erstmals 1959 zum Einsatz: Je zwei Sitze erhielten die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP), die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) und die…

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Radikaler Wechsel

Das Ende dieses Regierungspaktes wurde 1999 durch den historischen Sieg der SVP nach den Parlamentswahlen besiegelt. Mit einem noch nie da gewesenen Zuwachs katapultierte sich die kleinste der vier Regierungsparteien auf einmal in die erste Position.

Die SVP musste jedoch noch vier Jahre bis zum Sturz der Zauberformel warten. Nach dem erneuten Wahlerfolg im Jahr 2003 erhielt die rechtspopulistische Partei vom Parlament einen zweiten Regierungssitz zugesprochen – zu Lasten der CVP.

Die Wahl von Christoph Blocher und die Abwahl von Ruth Metzler stellten einen radikalen Wechsel im politischen Leben der Schweiz dar. Ein Tabu wurde gebrochen, die Bundesratssitze sind seither nicht mehr unantastbar.

“Jede Änderung der Regierungsformel braucht in der Schweiz sehr viel Zeit, besonders wenn heikle Themen wie das historische Gleichgewicht in Frage gestellt werden”, so Silvano Möckli.

“Bis jetzt mussten neue Parteien ihre Stärke bei Wahlen mehrmals unter Beweis stellen, bevor sie einen Sitz in der Regierung erhielten. Heute jedoch könnten solche Änderungen schneller eintreten.”

Neues politisches Klima

Die Frage nach der Zusammensetzung der Regierung stand denn bereits im Zentrum der Kampagnen für die Parlamentswahlen im Oktober.

Die Sozialdemokraten verlangten die Abwahl von Christoph Blocher, weil ihrer Meinung nach der Bundesrat der SVP das Konkordanzprinzip der Regierung nicht respektiert.

Die FDP ihrerseits stellte die Wahl von Samuel Schmid in Frage, der nach ihrer Auffassung nur als moderater Alibi-Bundesrat der SVP fungiert. Die CVP forderte einen zweiten Sitz, falls sie ihre Rivalin FDP, die zweite Zentrumspartei, überholen würde.

Die SVP bekräftigte ihren Vorschlag, die zwei Bundesräte der SP abzuwählen. Die Grünen schliesslich denken über einen Einzug in die Regierung nach.

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Bundesrat

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Bundesrat ist die Schweizer Regierung (Exekutive). Sie besteht aus sieben Mitgliedern, die alle vier Jahre vom Parlament (Vereinigte Bundesversammlung) gewählt oder bestätigt werden. Ein Mitglied der Landesregierung wird “Bundesrat” oder “Bundesrätin” genannt. Jeder Bundesrat, jede Bundesrätin, steht einem Departement als Minister oder Ministerin vor. Aus ihrer Mitte wird jährlich abwechselnd nach Amtsdauer der Bundespräsident…

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Zu wenig Veränderung

Die Stimmenverschiebungen innerhalb der Parteien nach den Wahlen vom 21. Oktober reichen jedoch nicht aus, um eine Umbildung der Regierung zu rechtfertigen.

Auch nach geschlagener Wahlschlacht wird aber weiterhin heftig nach links und rechts ausgeteilt. Vertreter der FDP und der SVP forderten sogar den Rücktritt ihrer Bundesräte Pascal Couchepin und Samuel Schmid, weil sie ihren Parteien schaden würden.

In Tat und Wahrheit handelt es sich hierbei um einen Warnschuss vor den Bug, ein Druckmittel, um eine Neuverteilung der Departemente zu forcieren.

Das politische Klima hat sich aber zweifellos verändert. Die Zauberformel scheint nicht mehr unantastbar und auch Überraschungen sind nicht mehr ganz auszuschliessen.

“Eine Spannung bleibt. Während der Wahl könnte sich eine gewisse Dynamik entwickeln mit erstaunlichen Resultaten”, erklärt Silvano Möckli.

“Wenn beispielsweise die ersten Wahlgänge nicht gut verlaufen, könnte dies zu Gegenmassnahmen oder Überraschungen führen mit Konsequenzen, die so eigentlich niemand wollte.”

swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragen aus dem Italienischen: Christine Fuhrer)

Nach der Geburt des modernen Bundesstaates im Jahr 1848 besetzte die Freisinnig-Demokratische Partei während vier Jahrzehnten alle sieben Bundesratssitze.

Erst im Jahr 1891 konnte zum ersten Mal auch die Christlichdemokratische Volkspartei (früher Katholisch-Konservative Volkspartei) einen Bundesrat stellen.

Die Schweizerische Volkspartei (früher Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei) trat erstmals 1929 der Regierung bei.

Die Sozialdemokratische Partei erhielt ihren ersten Sitz in der Regierung im Jahr 1943.

Seit 1959 setzt sich die schweizerische Regierung immer aus diesen vier Parteien zusammen, die rund 80% der Wählerstimmen auf sich vereinen.

Zu Beginn jeder Legislatur versammelt sich das Parlament zur Wahl der sieben Mitglieder des Bundesrats. Normalerweise werden alle wiedergewählt, ausser bei einem Rücktritt eines Mitglieds.

Nur in den Jahren 1854, 1872 und 2003 bestätigte die Vereinigte Bundesversammlung die Wiederwahl eines Regierungsmitglieds nicht. Vor vier Jahren musste Ruth Metzler von der CVP ihren Sitz räumen und dem Vertreter der SVP, Christoph Blocher, Platz machen.

Bei einer Neuwahl eines zurücktretenden Bundesrats wird in der Regel der offiziell von der Partei vorgeschlagene Kandidat vom Parlament gewählt und nur selten ein anderer Vertreter der gleichen Partei.

Dieses Szenario spielte sich das letzte Mal im Jahr 2000 ab, als Samuel Schmid den zwei vorgeschlagenen Kandidaten der SVP vorgezogen wurde.

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