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100 Jahre Simplon: Der stolze Rückblick des “Tunnel-Max”

Max Brönnimann vor dem Nordportal des Simlon-Tunnels. Keystone

Mehr als 30 Jahre stand er als Chef des SBB-Depots in Brig im Dienste der Simplon-Eisenbahnlinie. Für Max Brönnimann ist klar: Der Tunnel ist ein "Meisterwerk".

“Der Simplon war seiner Zeit voraus”, resümiert Brönnimann und verweist darauf, dass das 100-jährige Bauwerk auch Tunnelbauern aus dem Ausland als Vorbild diente.

Die Begeisterung des 80-jährigen “Tunnel-Max” Brönnimann ist ungebrochen: Die Ingenieure und Arbeiter haben aus seiner Sicht zwischen 1898 und 1906 ein visionäres Bauwerk erstellt. Dass der Simplon mit 19,8 Kilometern bis 1979 der längste Eisenbahntunnel der Welt war, scheint für Brönnimann schon fast nebensächlich.

Zum Superlativ greift der Mechaniker, Lokomotivführer und Maschineningenieur vor allem, wenn er über das Konzept und den Mut der damaligen Tunnelbauer spricht. Über den beiden Röhren liegen bis zu 2135 Meter Fels, gut 400 Meter mehr als beim über 20 Jahre älteren Gotthardtunnel.

“Der Simplon war damit viel schwieriger zu bauen als der Gotthard”, sagt der Simplon-Experte, der seinen Übernamen 1991 zu seiner Pensionierung vom damaligen Stadtpräsidenten und heutigen Ständerat Rolf Escher verliehen bekam.

Selbstsichere Geologen

Gemäss damaliger Lehrmeinung hätte der Simplon mit dieser enormen Felsüberlagerung und dem damit verbundenen Bergdruck nicht gebaut werden können. Die Simplon-Geologen sahen es anders: Mit dem Bergdruck werde man fertig, falls das Gestein gut sei.

Und so setzten sie Massstäbe, die in der Schweiz erst heute beim Bau der NEAT-Tunnel am Lötschberg und Gotthard wieder erreicht werden. Dort liegt die Felsüberlagerung bei etwa 2000 respektive 2500 Metern.

Visionär war für Brönnimann erst recht, dass zwischen Brig und Iselle (Italien) gleich eine Doppelröhre erstellt wurde. Bei einem Unfall in der einen Röhre dient die andere als Rettungszugang. Damit wurde das heute gültige Sicherheitskonzept um Jahrzehnte vorweggenommen.

“Simplonfeste” Züge

Dies alles hatte Konsequenzen für den Berufsalltag des 1958 ins Wallis gezogenen Berners. “Je höher die Felsüberlagerung, desto höher ist im Tunnel die Temperatur und damit die Luftfeuchtigkeit”, erklärt er.

Die Temperatur liegt heute selbst im Winter bei 28 Grad, die Luftfeuchtigkeit bei bis zu 100%. Dies stellt enorme Anforderungen an die elektrischen Anlagen und die Züge. Von Beginn weg – der Simplon-Tunnel war bereits bei Inbetriebnahme elektrifiziert – kämpfte die SBB mit Problemen. Das Material nützte sich stärker ab, und es kam zu Fehlfunktionen.

Gefragt waren spezielle Lösungen, die Brönnimann zusammen mit der Schienenfahrzeug-Industrie unter dem Begriff “Simplonfestigkeit” mitentwickelte. “Der Simplon war seiner Zeit voraus”, resümiert Brönnimann und verweist voller Stolz auf ausländische Tunnel-Experten, die von diesem Umstand profitieren konnten.

Teststrecke für Eurotunnel

1965 seien die Planer des Eurotunnels, der heute das europäische Festland mit England verbindet, zu Testzwecken erstmals im Simplon gewesen. Getestet wurde der Luftwiderstand in der mit Querschlägen verbundenen Doppelröhre. Weitere Versuche folgten vor Baubeginn des Kanaltunnels Ende der 1980er-Jahre.

Der gross gewachsene Mann – er beschreibt sich selber als zwei Zentimeter kürzer als Charles de Gaulle – hat viel erlebt im und um den Tunnel, auch Unerfreuliches. Als Depotchef war er bei unzähligen Unfällen im Einsatz. Beim schlimmsten starben 1971 fünf italienische Grenzgänger.

Alle Unfälle waren für den technikbegeisterten Brönnimann, der ursprünglich Pilot werden wollte, aber als Einzelkind von der Armee damals nicht zur Luftwaffe zugelassen wurde, immer auch eine technische Herausforderung.

Die Konkurrenz hat Gummiräder

Viele Einsätze leistete er auch auf der Lötschberglinie oder für die heutige Matterhorn-Gotthard-Bahn. Er halte deshalb nicht viel von der Bahnreform und der künstlich herbeigeführten Konkurrenz zwischen Bahngesellschaften.

Ausserdem: “Die Konkurrenz der Bahn hat Gummiräder”, sagt “Tunnel-Max”, der sich eine konsequentere Verlagerungspolitik von der Strasse auf die Schiene wünscht.

swissinfo und Thomas Zimmermann (sda)

Der Simplon-Tunnel feiert dieses Jahr seinen 100. Geburtstag. Er wird mit offiziellen Feiern und zwei Sondermarken der Schweizer Post begangen.

Der Simplon-Tunnel wurde in zwei Phasen gebaut: die erste Röhre von 1898 bis 1905, die zweite von 1912 bis 1921.

Für lange Zeit war der Simplon mit seinen 19,8 km Länge der längste Gebirgstunnel der Welt. Heute werden die beiden Röhren täglich von über 100 Zügen befahren, welche die Schweiz mit Italien verbinden.

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