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Die verhängnisvolle Spirale der Boni

Sind die Zeiten der fetten Boni bei der Elite der Finanzwelt mit der momentanen Börsen-Talfahrt erst mal vorbei? Keystone

Eine permanente Berg- und Talfahrt: das war die Schweizer Börse am Dienstag. Am Schluss des turbulenten Tages schloss der SMI mit 2,8% im Plus.

Der Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, Ulrich Thielemann, kritisiert im Gespräch mit swissinfo die Praxis der hohen Bonus-Anreize und die fehlende Regelung der Finanzmärkte.

swissinfo: Seit einigen Tagen spielen die Börsen weltweit verrückt. Was ist schlimmer, das zerstörte Vertrauen unter den Finanzakteuren oder der effektive Wertverlust?

Ulrich Thielemann: Das ist schwer zu sagen. Was die rein finanzwirtschaftliche Seite anbelangt, sind es ja vielleicht Werte gewesen, die so oder so eigentlich gar nicht bestanden haben, also sozusagen Luftschlösser, die jetzt eben eingestürzt sind.

Insofern ist das vielleicht alles weniger dramatisch als man meinen könnte. Allerdings hat das alles auch bedeutende realwirtschaftliche Auswirkungen. Die Börse ist ja sehr eng mit der Wirtschaft vernetzt.

Es ist ja nicht bloss ein Glasperlenspiel. In den USA gibt es Leute, die sind nun ein Leben lang verschuldet. Dahin wurden sie von den Banken getrieben.

swissinfo: Inwiefern spielt die Mentalität gewisser Banken eine Rolle, hohe Risiken einzugehen, Boni und Gewinne einzustreichen, und wenn alles schief geht, auf staatliche Hilfe zu zählen?

U.T.: Wieweit das eine Rolle spielt, kann man de facto nur vermuten. Aber ich denke, das ist das entscheidende Moment dabei. Wir erleben ja periodisch diese Krisen. Die New Economy, das war ja das gleiche Spiel.

Des Pudels Kern sind die Anreize, die Boni, die da gesetzt werden. Man gibt den Leuten in den verschiedensten Hierarchiestufen grosse Handlungsspielräume und verspricht ihnen hohe Boni.

Die Leute nutzen diese Freiräume und tun dabei auch Dinge wie faule Kredite einkaufen, deren Faulheit sich erst später heraus stellt. Inzwischen hat man aber die Boni bereits eingesackt.

swissinfo: Was lässt sich dagegen tun?

U.T.: Die Anreize sind die Wurzel des Problems. Wir müssen aus dieser Spirale herauskommen. Nur können das die Akteure nicht selbst tun.

Die UBS und andere Banken fahren hohe Verluste ein und senken trotzdem die Boni nicht, weil sonst die Leute abspringen.

Ich denke, da müssen wir eine globale Regulierung finden, die die Variabilität der Boni auf allen Ebenen, also auch im Topmanagement begrenzt. Ich bin mir bewusst, das ist hoch anspruchsvoll, aber diese Geschäfte, die da getätigt werden, sind nicht einfach Privatsache.

swissinfo: Staatliche Regeln. Das schätzen die Akteure in diesem Markt doch gar nicht.

U.T.: Natürlich wird das nicht geschätzt. Wir müssen das aber in einem grösseren Zusammenhang sehen. Die globale volkswirtschaftliche Wertschöpfung fliesst zunehmend den Kapitaldienstleistern zu. Die Wirtschaft ist zusehends auf die Superreichen ausgerichtet. Das Wachstum in den USA geht zu wesentlichen Teilen zu diesem einen Prozent der Bevölkerung.

swissinfo: Vom Wachstum profitiert also eine sehr kleine Minderheit?

U.T.: Dieses eine Prozent setzt sich nicht aus 90% Kapitaleinkommen zusammen, wie man annehmen müsste, sondern zu 60% aus Arbeitnehmereinkommen. – Das sind Manager. Das ist die neue Elite, welche in der Finanzbranche die Boni einstreicht.

Die Finanzbranche setzt die Realwirtschaft stark unter Druck. In der Schweiz ist das weniger gravierend, als in allen andern OECD-Staaten.

Das Problem dieser Entwicklung ist, dass das Versprechen des Wohlstandes für alle damit fragwürdig wird.

swissinfo: In der Schweiz verlieren ja nicht lediglich Private Geld an der Börse, sondern auch die Pensionskassen. Wieso machen diese den gleichen Fehler mehr als einmal?

U.T.: Das ist der Herdentrieb, der auch bei den professionellen Anlegern die Leute immer wieder einholt. Das ist erstaunlich, welche Fehler da gemacht werden. Aber: es bleibt ein riskantes Geschäft.

Man muss dennoch sehen, dass die professionellen Investoren deutlich bessere Renditen erzielen. Und es ist ja auch so, dass die Superreichen im allgemeinen von diesen Krisen nicht betroffen sind. Wer sich im Milliardenbereich bewegt, der kann auch einige Millionen für Leute ausgeben, welche die Risiken rechtzeitig erkennen.

swissinfo-Interview: Andreas Keiser

Gewinne und Verluste an den internationalen Märkten:

Dow Jones –2,04%
Nasdac –2,04%
Zürich: +2,76%
Frankfurt: -0,31%
Paris: +2,07%
London: +2,90%
Madrid: +1,69%
Mailand: +1,18%
Tokyo: -5,65%
Shanghai: -7,22%
Bombay: -4,97%.
Sao Paulo: +4,63%

Die Talfahrt der Börsen und die milliardenschweren Abschreiber der Grossbanken beunruhigen in der Schweiz auch die Bankkunden. Das spüren vor allem die Grossbanken.

So verzeichnen die Migros Bank und die Raiffeisen-Banken in den vergangenen Monaten einen weit grösseren Kundenzuwachs von den Grossbanken, als in den Vorjahren.

“Die Situation ist vergleichbar mit derjenigen nach dem Grounding der Swissair im Herbst 2002. Auch damals haben viele Leute die Bank gewechselt”, sagte Pierin Vincenz, CEO der Raiffeisen-Banken.

Kunden haben das Vertrauen in die Grossbanken wegen deren Verwicklung in die US-Hypothekarkrise verloren und haben Angst um ihr Erspartes.

Eine Angst allerdings, die unbegründet ist, wie Alain Bichsel, Pressesprecher der Eidgenössischen Bankenkommission im Gespräch mit swissinfo festhält.

“Da besteht keine Gefahr. Es gibt auch bei der UBS keine negativen Anzeichen. Der Eigenmittel-Anteil der Banken ist gewährleistet.”

swissinfo.ch

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