
Fassungslos und voller Fragen

Wieder eine Katastrophe, die die Schweiz erschüttert: "Es ist genug", titeln Schweizer Zeitungen und suchen nach Worten, um zu trösten und zu erklären.
Samstagnacht stürzte eine Crossair-Maschine in der Nähe vom Flughafen Zürich Kloten ab. 24 Menschen starben, neun Personen konnten, zum Teil schwer verletzt, gerettet werden. Die BERNER ZEITUNG schreibt, was wohl viele denken:
«Dieser Katastrophe hätte es nicht auch noch bedurft. Nach Terrorattacken, Afghanistankrieg, Amoklauf in Zug, Swissair-Grounding und Gotthard-Inferno nun der Absturz eines Flugzeuges jenes Unternehmens, welches in einem einmaligen Kraftakt von Staat und Wirtschaft zum Symbol für den Wiederaufstieg eines krisengeschüttelten Landes hätte werden sollen.»
Katastrophaler Zeitpunkt
Zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt sei der Unfall passiert, meint die Zeitung. Doch fragt die BASLER ZEITUNG: «Gibt es überhaupt einen guten Zeitpunkt dafür? Zu viel Leid und Zerstörung sind mit einem Absturz verbunden. Flugunfälle kommen immer zur Unzeit. Aber Flugkatastrophen kennen auch keine Auszeit. Wir können nicht davon ausgehen, dass eine Airline in Turbulenzen vor Katastrophen verschont bleibt.»
Im Berner BUND wird die schwarze Liste noch ausführlicher gestaltet und mit dem Flugzeugzusammenstoss am Mailänder Flughafen sowie dem Flugzeugcrash in Long Island ergänzt. Am Ende zieht die Zeitung Bilanz und ist überzeugt: «2001 ist ein Schreckensjahr.»
Selbstbewusstsein zerstört
Ähnlich empfindet der Kommentator der französisch-sprachigen Tageszeitung LE MATIN. Dies wäre ein Unfall zu viel; die schweizerischen Grundwerte und das Selbstbewusstsein der Schweizerinnen und Schweizer zerfallen endgültig zu Asche: «Un pays, un peuple, dont les valeurs traditionelles et les certitudes sont réduits en cendres…»
Bedauert werden nicht nur die Toten, bemitleidet nicht nur deren Angehörige, sondern auch hinsichtlich der Schweizer Luftfahrt wird verzweifelt in die Zukunft geblickt. Alles würde, so der BUND, durch den Unfall wieder in Frage gestellt, auch das Vertrauen in die neue Schweizer Fluggesellschaft: «Ist es nur eine Pechsträhne? Welche Rolle spielt die durch die Swissairkrise ausgelöste Dauerbelastung des Flugpersonals? Wie sicher ist die nächtliche Anflugroute auf Piste 28 in Zürich, die aufgrund des Staatsvertrags zwischen der Schweiz und Deutschland nach 22 Uhr nun geflogen werden muss?»
Politik und Schicksal
Den Vorwurf, die Piste und damit die Politik sei Schuld am Unglück, will jedoch der Zürcher TAGES ANZEIGER nicht kommentarlos stehen lassen: «Wer die Schuld für den Crossair-Absturz jetzt der Politik oder gar den südlichen Nachbarn in die Schuhe schiebt, bevor Untersuchungsergebnisse zum möglichen Versagen von Technik und Menschen vorliegen, handelt fahrlässiger als ein mutwilliger Bruchpilot.»
Dennoch prophezeit die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: «Die heisse politische Frage nach diesem Unfall liegt auf der Hand: Trägt der neue Staatsvertrag mit Deutschland über den Anflug auf Zürich indirekt eine Mitschuld an diesem Unglück?» Man wisse es nicht, gibt das Blatt zu, aber fest stehe, dass der Start der neuen schweizerischen Fluggesellschaft jetzt noch schwieriger wird. «Flugunfälle, deren Ursache man noch nicht kennt, schaffen zusätzliche Verunsicherungen bei den Passagieren und beim Personal der betroffenen Fluggesellschaften», heisst es in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.
Was passiert jedoch, wenn die Politik tatsächlich einen Fehler gemacht hat und wenn das Vertrauen in die neue Fluggesellschaft nicht mehr aufkommt? Skeptisch, fast verzweifelt erscheint der Kommentar von LE TEMPS: «Mais si le destin s’en mêle? Si l’enquête sur l’accident révèle des faiblesses? … Jusqu’où porte la foi quand tout est contre vous?» Wie lange kann man noch hoffen, wenn alles gegen einen spricht ? Was alles wird noch passieren, wenn Schwächen zutage kommen oder wenn das Schicksal sich einmischt?
Carole Gürtler

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