
Lebensmittelabkommen: Fremde Kontrolleure im Anmarsch?

Im Vertragspaket zwischen der Schweiz und der EU findet sich auch das Lebensmittelabkommen. Der Schweizer Landwirtschaft bringt es Chancen auf Exporte. Bei den Bauern weckt es aber auch Ängste.
Wer Schweizer Bäuerinnen und Bauern erschrecken will, hat leichtes Spiel.
Es reicht, noch mehr Kontrollen anzukündigen.
Die Kontrolldichte auf einem normalen Schweizer Landwirtschaftsbetrieb hat Ausmasse angenommen, die längst als schikanös empfunden werden. Der Bund hat das Problem erkannt.
Eigens um dies zu zeigen, besuchte Landwirtschaftsminister Guy Parmelin letztes Jahr einen Bauernhof im Berner Seeland und sagte in jedes Mikrofon: «Ich bin hier mit der Nachricht, dass wir die Bauern von den Kontrollen entlasten wollen.»
Seither tagt in Bern ein «runder Tisch», das Allheilmittel der Eidgenossenschaft für komplexe Herausforderungen. Ziel des Prozesses: Eindämmung der KontrollflutExterner Link auf Bauernhöfen.
Ein Hof, viele Kontrolleure
Guy Parmelin ist selbst Winzer und geniesst in der Landwirtschaft Glaubwürdigkeit. Doch längst führt das Kontrollsystem ein Eigenleben, dem gegenüber selbst der Landwirtschaftsminister ohnmächtig wirkt.

Denn gross ist die Gruppe von Kontrollinstanzen, die in unterschiedlichen Intervallen von Hof zu Hof gehen, um zu schauen, dass geschaut wird. Der Bund ist nur ein Teil davon. Er muss sicherstellen, dass seine Subventionen an die Bauernhöfe berechtigt sind. Es gibt einen ganzen KatalogExterner Link davon, alleine der Überblick darüber umfasst schon 30 Seiten.
Daneben kontrolliert ein Heer von LabelExterner Link– und Sortenorganisationen, dass die Höfe, die ihnen angeschlossen sind, die jeweiligen Standards erfüllen. Dazu kommen die Grossabnehmer mit ihren Ansprüchen, etwa ans Tierwohl – und mit einem eigenen Sortiment an Labeln.
EU-Kontrolleure in Schweizer Ställen
Und künftig? Auch noch die EU? Das ist das Schreckgespenst im Sommer 2025: EU-Kontrolleure in Schweizer Ställen. Ein Bericht des «Nebelspalters»Externer Link von Anfang Juli legte dies nahe. «Im neuen Lebensmittelabkommen übernimmt die Schweiz eine EU-Richtlinie, die es Brüssel erlaubt, auf allen Schweizer Bauernhöfen und bei Verarbeitern Kontrollen durchzuführen», schreibt der Nebelspalter.
Und weiter: «Im Detail werden Orte wie Ställe, Käsereien, Schlachthäuser, Gewächshäuser und Metzgereien genannt, wo EU-Kontrolleure wegen des Abkommens Zutritt erhalten sollen.»
Diese Erzählung dominiert seither den Diskurs um das LebensmittelabkommenExterner Link. Zuvor hatte dieses die Ausstrahlung einer papierenen BeiläufigkeitExterner Link. Es stand im Schatten der anderen Verträge, welche die Schweiz mit der EU ausgehandelt hatte: Da ging es um Zuwanderung und Energie, Wirtschaft und Demokratie – grosse Themen.
Aber jetzt ist dieses Bild da – von Brüsseler Bürokrat:innen, die in Schweizer Kuhställen und Käsekellern die Fliegen zählen kommen. Es ist wie eine gute Karikatur zu eingängig, um wieder zu verschwinden.
Lebensmittelabkommen regelt 16-Milliarden Markt
Das stellt die Landwirt:innen in der Schweiz vor ein Dilemma, denn eigentlich wurde der Nutzen dieses Abkommen kaum je angezweifelt. Wie angespannt die Lage ist, zeigt sich in der Stille. Der Bauernverband, die grösste Dachorganisation der Schweizer Landwirtschaft, berät am 22. Oktober in seiner Landwirtschaftskammer über das Vertragspaket. Vorher äussert er sich nicht, insbesondere nicht über das Lebensmittelabkommen.
Denn es ist klar, dass dieses Abkommen der Landwirtschaft gewichtige Vorteile bringt. In erster Linie eröffnet, beziehungsweise sichert es den Landwirten den EU-Markt für den Export. 50 Prozent der Schweizer Agrarexporte gehen in die EU, 74 Prozent der Importe kommen von dort. Es geht um 16 Milliarden Franken jährlich.
«Wir brauchen diese Partnerschaft»
Beispiel Schweizer Käse: Hier gehen 40 Prozent in den Export, der Grossteil davon in die EU. «Wir brauchen diese Partnerschaft», sagt darum Paul Meier, Direktor der Branchenorganisation Fromarte.» Auf den ersten Blick beurteile sein Verband das Lebensmittelabkommen darum positiv. «Aktuell sehe ich keine richtigen Ängste, auch nicht vor noch mehr Kontrollen.»

Stephan Hagenbuch, Direktor der Schweizer Milchproduzenten, sagt auf mögliche EU-Kontrolleure in Schweizer Ställen angesprochen: «Kontrollaudits sind auch heute möglich, wir haben übrigens auch schon russische Audits und chinesische gehabt.»
Und er ergänzt: «Grundsätzlich muss die Schweiz im Rahmen der bestehenden bilateralen Verträge mit der EU die Äquivalenz der Massnahmen im Milchbereich sicherstellen, um den Marktzugang aufrecht erhalten zu können.»
Im Übrigen verweist der oberste Vertreter der Schweizer Milchproduzent:innen auf die laufende Vernehmlassung zu den Bilateralen III in seinem Verband. Es gebe dazu noch keine Position, er hält sich mit einer Einschätzung entsprechend zurück.
Die Macht der ländlichen Schweiz
Es sind die ländlichen Bevölkerungsteile, die der EU ohnehin skeptisch gegenüberstehen. Ihre Macht ballt sich bei Abstimmungen jeweils im Ständemehr. Damit haben die Landkantone der urbanen Schweiz schon einige progressive Flausen ausgetrieben.
Eine Abstimmung ist in Bezug auf die neuen EU-Verträge im Moment zwar noch Theorie, denn was und in welcher Form je an die Urnen kommen wird, ist noch Gegenstand eines politischen Tauziehens – und ein Ständemehr hat der Bundesrat für diese Abstimmung nicht vorgesehen.
Und doch gilt wie immer: Wer Erfolg will, braucht die Bauern. Und schwer wiegt darum die Frage: Gesellen sich zu den «fremden Richtern», welche die SVP befürchtet, bald auch «fremde Kontrolleure»?
Die Antwort lautet: Nein.
Nicht im Alltag der Bauern.
Audits bezwecken die Überprüfung eines Prüfsystems. Das geschieht auf Beamtenebene. Konkret: Das Bundesamt für Landwirtschaft rapportiert seine Kontrolltätigkeit nach Brüssel und wird der EU allenfalls aufzeigen müssen, wie es die Schweizer Landwirtschaft kontrolliert.
Dass eine EU-Kontrolle des Schweizer Prüfsystems bis auf einen Produktionsbetrieb ausgedehnt werden kann, sieht die betreffende EU-Richtlinie zwar vor (nachzulesen hier auf Seite 86, Artikel 116, Absatz 3). Gleichzeitig ist aber auch festgelegt, dass die Hoheit der Kontrollen beim jeweiligen Land bleibt (nachzulesen hierExterner Link, Abschnitt 15).
Hoffnung auf besseren Pflanzenschutz
Soweit zu den Befürchtungen. Es ruhen aber auch Hoffnungen auf dem Abkommen, allen voran diese: Eine Harmonisierung der Produktionsstandards könnte Schweizer Landwirten rascheren Zugang zu wirksameren Pflanzenschutzmitteln oder besserem Saatgut bringen.
So sagte etwa Hans Wyss, der Direktor des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), kürzlich in einem Kreis von Obstbauern im Kanton Zug: «Wir versuchen, Wege zu finden, um die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln voranzutreiben.» Das Lebensmittelabkommen mit der EU könne langfristig eine Entspannung bringen, so Wyss laut einem Bericht der Zuger Zeitung.
Angespannt ist die Situation im pflanzlichen Bereich der Landwirtschaft unter anderem wegen neuartigen Schädlingen, etwa bei Zuckerrüben oder bei Kirschen, welche die Zulassungsbehörden regelmässig vor Zielkonflikte stellen.
Agrar-Organisationen: Ein erstes positives Echo
Denn wirksame Mittel bringen meist Kollateralschäden, bedrohen zum Beispiel auch Bienen. Verträgliche Mittel aber wirken in den Augen mancher Produzenten zu wenig. Immer wieder fordern diese darum NotfallzulassungenExterner Link: Kommen sie mit ihren Anliegen durch, dürfen sie kritische Pestizide befristet und dosiert zum Einsatz bringen.

Für die Interessengemeinschaft Agrarstandort Schweiz etwa ist «die kostengünstige Beschaffung von Düngern oder Pflanzenschutzmitteln» ein Hauptgrund, warum sie das Lebensmittelabkommen positiv aufnimmt.
In diesem Verbund sind die grossen Landwirtschaftslabel «IP Suisse» und «Bio-Suisse» ebenso versammelt, wie einige Grossverteiler und gewichtige Vermarktungsorganisationen. «Moderne Pflanzenschutzmittel werden damit schneller verfügbar», sagt Christof Dietler, Geschäftsführer der Interessensgemeinschaft.
Die Interessengemeinschaft Agrarstandort Schweiz ist die gewichtigste Organisation, die sich bisher zum Lebensmittelabkommen vernehmen liess – und auch fast die einzige. Christof Dietler sagt: «Wir werden für die Agrarwirtschaft nie mehr so gute Konditionen herausholen wie bei den Bilateralen I und II. Das neue Paket sichert dies ab und wurde für die Schweizer Landwirtschaft sehr gut verhandelt.»
Lebensmittelabkommen: Im Dschungel
Viele andere Verbände halten sich noch bedeckt. Sie studieren die vielen Gesetzestexte. Nicht nur dass das Lebensmittelabkommen sehr umfangreich ist, es umfasst 61 Rechtsakte der EU, welche die Schweiz direkt und dynamisch übernehmen wird. Vieles davon mündet auch in weiteren Erlassen, begleitenden Verweisen und zusätzlichen Bezügen.
Man muss sich also durchs Gestrüpp pflügen, bevor man überhaupt einen Acker sieht. Vom Boden bis zum Teller geht es um fast alles – und um alle. Auch darum deutet vieles darauf hin, dass bei diesem Abkommen am Ende der Bauch entscheiden wird.
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Editiert von Marc Leutenegger

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