The Swiss voice in the world since 1935

Schweizer vertrauen Medien weniger als dem Staat

Die Politikverdrossenheit in der Schweiz scheint geringer zu sein als anderswo. Keystone

Im Gegensatz zur Mehrheit der Menschen weltweit misstraut die Schweizer Bevölkerung den Medien, vertraut aber den politischen Institutionen.

Diese Resultate zeigt eine Befragung von 36’000 Menschen in 47 Ländern, die vom World Economic Forum (WEF) präsentiert wird.

Die internationale Gallup-Umfrage «Voice of the people» erfragte das Niveau des Vertrauens in bezug auf 17 staatliche und nichtstaatliche Institutionen.

Bei der Schweizer Bevölkerung fällt auf, dass mehr als zwei Drittel reserviert gegenüber der nationalen Presse sind. Ihr Unwohlsein gegenüber multinationalen Firmen teilen Herr und Frau Schweizer mit dem Rest der Welt, ebenfalls den positiven Bezug zur UNO.

Schweizer Institutionen hoch im Kurs

Mit ihrer starken Unterstützung für nationale politische Institutionen steht die Schweiz allerdings praktisch allein da. Drei Viertel der Schweizerinnen und Schweizer glauben laut Gallup, dass die gewählten Volksvertreter im besten Interesse des Landes arbeiten. Es besteht damit ein grosser Unterschied zum globalen Durchschnitt: Lediglich die Hälfte der anderen 46 Länder vertraut den demokratischen Institutionen.

Matthias Kappeler vom Meinungsforschungsinstitut Isopublic, das in der Schweiz die Umfrage für Gallup durchführte, meint: «Ich sehe zwei positive Ergebnisse für die Schweiz: Das Vertrauen, das die Schweizer Bevölkerung erstens ihrer Regierung und zweitens dem System des öffentlichen Gesundheitswesen entgegenbringt.»

Medienschelte

Auf die Frage, ob sie den nationalen Medien vertrauen, sagen 42% der befragten Schweizer «nicht sehr», während 29% mit «überhaupt nicht» antworten. Rund ein Viertel antwortet mit «einigermassen», während nur 3% der Befragten den Medien ganz vertrauen. Dieses Resultat steht klar im Widerspruch zu den Resultaten aus dem Rest der Welt. Rund 49% der Befragten haben dort zu den Medien Vertrauen.

Matthias Kappeler vermutet, dass am schlechten Abschneiden der Medien in der Schweiz der Umfragezeitpunkt (4. bis 6. August) eine gewisse Rolle gespielt haben könnte. Damals warf die Affäre Borer-Ringier hohe Wellen.

Nötige Debatte zum Thema Vertrauen

Das WEF, das eine jährliche Konferenz mit Führungskräften aus Wirtschaft, Staat und Nichtregierungs-Organisationen veranstaltet, hofft, die Umfrage werde einen frischen Wind in die Debatte um den weltweit stattfindenden Vertrauensverlust gegenüber Staat und Wirtschaft bringen.

Klaus Schwab, der Präsident des WEF, meint, dass die Bekämpfung des Vertauensverlustes eine der Hauptherausforderungen für die Gesellschaft ist:
«In den 30 Jahren des Bestehens des WEF haben wir uns wahrscheinlich noch mit keiner so entscheidenden Frage zur Beziehung zwischen den Institutionen und der Gesellschaft als ganzes beschäftigt.»


«Vertrauen» wird das Hauptthema des WEF-Forums sein, das im Januar 2003 in Davos stattfindet.

Schweizer Politiker geniessen Vertrauen

Während die Gallup-Umfrage zeigte, dass das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Politiker nicht sehr gross ist, präsentiert sich die Schweiz in einem völlig anderen Bild.

Die Schweizer Bevölkerung vertraut, vielleicht wegen des Systems der direkten Demokratie, ihren gewählten Vertretern in hohem Masse. Andere staatliche Institutionen wie die Polizei, das Gesundheitswesen und der Erziehungsbereich, wurden ebenfalls hoch eingeschätzt.

Dies ist ein scharfer Kontrast zur Meinung der Befragten aus den meisten anderen Ländern, wo die wichtigsten politischen Institutionen als sehr schlecht benotet wurden.

Nahezu Dreiviertel der Befragten fühlen sich von ihren Volksvertretern nicht in nach ihrem Willen vertreten.

Militär in hoher Gunst

Die Umfrage zeigt, dass das Vertrauen ins Militär weltweit sehr hoch ist. So vertrauen 59% der Schweizerinnen und Schweizer ihrer Armee – leicht weniger als der globale Durchschnitt (69%).

Für das WEF sind diese Resultate alarmierend. Sie zeigen auf, dass die Unterstützung für das Militär in jenen Ländern am grössten ist, wo sich die Streitkräfte in erhöhter Alarmbereitschaft befinden, z. B. Indien, Israel, Pakistan und die USA.

Doug Millar, Chef von Environics International, befürchtet, dass sich die Wahlbeteilung weltweit verschlechtern könnte, wenn das Vertrauen in die staatlichen Institutionen nicht verbessert werde.

«Wenn die traditionellen Institutionen das öffentliche Vertrauen nicht herstellen können, werden sich die Menschen neue Wege suchen, um ihre Ziele zu erreichen.» sagt Doug Millar.

Werden diese Probleme nicht ernst genommen, werde das globale politische System zunehmend instabiler. Nichtregierungsorganisationen und neue politische Parteien könnten so vermehrt Zulauf erhalten, meint Millar weiter.

swissinfo, Etienne Strebel

Die Bevölkerung der Schweiz vertraut den staatlichen Institutionen. Den Medien gegenüber herrscht ein deutliches Misstrauen. Die Faktenlage präsentiert sich in den meisten anderen Ländern laut einer Gallup-Umfrage gerade umgekehrt.

Zu folgenden 17 Institutionen ermittelte Gallup das Vertrauensverhältnis. (Angaben in %, 1. Zahl Schweiz, in Klammern Durchschnittswert aller Länder):

– Regierung: 73 (50)
– Streitkräfte: 59 (69)
– Rechtssystem: 67 (47)
– Polizeiwesen: 80 (57)
– Parlament: 62 (38)
– Erziehungswesen: 76 (62)
– Gesundheitswesen: 62 (57)
– Grosse nat. Unternehmen: 46 (42)
– Global tätige Unternehmen: 38 (39)
– Gewerkschaften: 64 (47)
– Presse und Medien: 28 (49)
– Nichtregierungs-Organisationen: 80 (59)
– Kirchen, rel. Gruppen: 38 (57)
– Vereinte Nationen UNO: 66 (55)
– WTO: 44 (44)
– Weltbank: 39 (43)
– IWF: 37 (39)

Mit der Schweiz verbunden

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft