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Tiefe Steuern, hohe Berge

Schweizer Standortvorteile für deutsche KMU - Schweizer Zoll bei Rheinfelden. RTS

Deutschlands unternehmerischer Mittelstand will hohe Steuern und Lohnnebenkosten vermeiden. Eignet sich die Schweiz als alternativer Standort?

Nach Ansicht von Experten fördert die Schweiz oft Freizeit-Klischees statt reelle Standortvorteile.

Hustet die deutsche Wirtschaft, packt die schweizerische Wirtschaft das hohe Fieber: Dieses Bonmot verdeutlicht die Bedeutung der Wirtschaftsbeziehungen vor allem für die Schweiz. Und das nicht nur im Handel und den Dienstleistungen, sondern auch in den Direktinvestitionen.

Die Schweiz gehört zu den Grossinvestoren in Deutschland, obschon sie gemäss der Schweizerischen Nationalbank auf den 5. Platz gefallen ist. Auch viele deutsche Unternehmen investierten bis 2001 umfangreich in der Schweiz.

Als Folge der schwachen Konjunktur sind die grenzüberschreitenden Direktinvestionen seit 2002 weltweit gesunken.

Kürzlich beschloss aber die deutsche Regierungskoalition neben einer Vielzahl neuer Steuern und Abgaben auch einen Abbau der Steuervergünstigungen von jährlich rund 4,5 Mrd. Euro (6,7 Mrd. Franken). So befinden sich viele deutsche mittelständische Unternehmen im Clinch zwischen einheimischer Steuerschraube und ausländischem Standortrisiko.

Viele deutsche Mittelständische, wie die KMU in Deutschland heissen, liebäugeln jetzt zwar mit einem günstigeren Standort. Aber bietet sich die teure Schweiz als alternativer Standort an?

Freizeitargumente ziehen nicht

“Eigentlich schon”, sagt Robert Hönig von der Atlas Consulting Group in Schaffhausen gegenüber swissinfo. “Nur müsste die Schweiz ihr Image anders darstellen.” Von der Berner Wirtschaftsförderung hat Hönig das Mandat, den Kanton als Alternativstandort für mittelständische Unternehmen in Deutschland anzupreisen.

“Die Schweiz generell gibt draussen vielfach ein falsches Image ab”, sagt Hönig, wenn er durch helvetische Promotions-Broschüren blättert. “Hier wird das Klischee von sicher, sauber und bergig mit Seen gepflegt. Das mag für Touristen und die Freizeitindustrie geeignet sein, aber hat wenig Bedeutung für Direktinvestoren.”

Diese Klischee-Bereiche kennen die Deutschen bestens, ebenso wie die niedrigeren Steuern, die Finanzdienstleistungen und die spezialisierten Nischen-Zulieferbetriebe.

Was die Deutschen nicht wissen

Was die Deutschen hingegen nicht so genau wüssten, so Hönig, sei die Existenz einer sehr wettbewerbsfähigen Industrie mit einem durchaus vergleichbaren Lohnniveau auch ausserhalb der Nischenbereiche. “Diese Möglichkeiten für deutsche Unternehmen im Schweizer Industriebereich werden nicht strukturiert genug gefördert.”

Hönig denkt weniger an das klassische Aussiedeln von Fabrikations-Betrieben oder Betriebsteilen. “Für diese konventionellen Bereiche kommen eher mittel- bzw. osteuropäische Länder in Frage, weil dort die Löhne wirklich viel niedriger sind.” Wenn gemäss Umfragen fast ein Drittel aller deutschen Mittelständigen mit dem Gedanken spielen, ihren Standort zu verlegen, dann ständen vor allem solche Lösungen im Vordergrund.

Hohe Preise, hohe Löhne, aber längere Arbeitszeiten

“Jeder Deutsche, der einmal in seinem Leben in der Schweiz seinen Urlaub verbracht hat, weiss nachher, was ein Hochpreisland für ihn bedeutet”, erklärt Hönig. Deshalb denkt der deutsche Direktinvestor, wenn die Schweiz erwähnt wird, sofort auch an hohe Löhne.

Aber keiner denke daran, dass die Schweizer für diese Löhne auch 41 Stunden pro Woche arbeiten, weniger Jahresurlaub beziehen und dass die Lohnnebenkosten deutlich unter dem deutschen Niveau liegen. Über solche Präzisierungen würde auch zu wenig informiert.

Faktor Lehrlingsausbildung

Hönig hebt hervor, dass es für die Standortpromotion eigentlich keinen Sinn mache, Konzerne anzusprechen. “Dort ist Werbung sinnlos, in Konzernen gibt es ganze Stäbe, die ihre Standortkriterien und die Schweiz bestens kennen.” Es gehe in erster Linie um die “Zehntausende von bodenständigen Mittelständischen”, für die auch Kriterien wie die räumliche Distanz oder die Lehrlingssituation relevant seien.

Während man in der Schweiz kaum wisse, wie skeptisch Unternehmen in Deutschland inzwischen die Lehrlingsausbildung einschätzten, weiss der Deutsche kaum, dass die Situation hierzulande viel besser ist. “In Deutschland ist man aufgrund von Überreaktionen im gesetzlichen Lehrlingsschutz heute skeptisch mit dem Einstellen von Auszubildenden”, sagt Hönig.

In der Schweiz hingegen ist man weniger den Lehrlingen gegenüber skeptisch als den scheinbaren Kosten, die sie verursachen. Während die konventionellen Branchen dank dem Meister- und Facharbeiterstatus mit dem Lehrlingssystem noch etwas anfangen können, bekunden die neuen Branchen eher Mühe mit dem System der Auszubildenden.

Grosses Land – kleines Land – wachsendes Euroland

Schliesslich müsse die Schweiz gegenüber möglichen deutschen Direktinvestoren auch noch die andere Sichtweise einschliessen: “KMUs aus kleinen Ländern wie der Schweiz denken automatisch grenzüberschreitend”, so Hönig gegenüber swissinfo. “Der schweizerische Markt ist oft ohnehin zu klein. Mittelständische Deutsche hingegen, denen der Markt Deutschland immer gross genug war und die nie ernsthaft exportieren mussten, nehmen oftmals nicht in vollem Umfang die Chancen wahr, die grenzüberschreitende Kooperationen beinhalten.”

Dagegen hat die Eurozone vielen deutschen Unternehmen den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr erleichtert. Dies könne die Schweiz nicht bieten.

“Wenn jetzt auch noch die neuen mittelosteuropäischen Länder in die EU kommen, wird sich dies als Standortnachteil für die Schweiz auf alle Fälle negativ auswirken”, sagt Hönig. “Denn neben dem aufwändigeren – und damit teureren – Zahlungsverkehr bleibt bei der Geschäftsbeziehung mit der Schweiz zudem noch das Fremdwährungsrisiko für das deutsche Unternehmen.

swissinfo, Alexander P. Künzle

Immer mehr deutsche Unternehmen kommen in die Schweiz. Grund: Steuervorteile, Bankgeheimnis und tiefere Lohnnebenkosten.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) preist den Wirtschaftstandort Schweiz für ausländische Unternehmen so an: “Liberale und unternehmensfreundliche Gesetzgebung, politische und finanzielle Stabilität, erstklassige Infrastruktur, hilfsbereite und kompetente Repräsentanten der Regierung sowie hochmotivierte und gut ausgebildete Arbeitskräfte.”

Die Ost-Erweiterung der EU wird der Schweiz in Sachen Standortvorteil indessen Probleme bereiten.

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