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Ungleichheiten blockieren den Fortschritt

In Indien ist die Sterblichkeit der Mädchen unter 5 Jahren 50 % höher als bei den Knaben. Keystone

UNO und Weltbank haben in kürzlich vorgelegten Berichten die wachsende Ungleichheit zwischen den Ländern der Welt thematisiert.

Davon ist auch die Schweiz betroffen. An einer Tagung wurden die Berichte verglichen und Konsequenzen für die helvetische Politik diskutiert.

Die ärmsten 40% der Weltbevölkerung (2,5 Mrd. Menschen) müssen mit weniger als 2 US-Dollar pro Tag auskommen. Das ist eine Seite der Ungleichheit, die der Bericht über die menschliche Entwicklung 2005 (Human Development Report 2005) vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) anprangert.

Der World Development Report 2006 der Weltbank verlangt einen gerechteren Zugang der Armen zur Gesundheitsversorgung, zu Bildung, Arbeitsplätzen und Kapital.

Weiter sollen Ungleichheiten, welche die Armen in den Entwicklungsländern besonders hart treffen, verringert werden. In den reichen Ländern müssten zudem Handelshindernisse abgebaut werden. Auch Flexibilität bei der Zulassung von weniger qualifizierten Arbeitskräften aus Entwicklungsländern sowie eine stärkere und wirksamere Entwicklungshilfe stehen auf der Wunschliste der Weltbank.

Zwei Berichte – ein Thema

«Ich bin erfreut, dass beide Berichte das gleiche Thema haben: Gleichheit oder Ungleichheit und deren Auswirkungen auf die Entwicklungsmöglichkeiten», sagt Bruno Gurtner, Ökonom bei Alliance Sud, der Lobby-Organisation von sechs grossen Schweizer Hilfswerken, gegenüber swissinfo

Die beiden Reports wurden an einer Tagung in Bern vom Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) gemeinsam vorgestellt.

Gurtner zeigt sich insbesondere von der Weltbank positiv überrascht. Diese sei in den letzten Jahren nämlich mit Publikationen in Erscheinung getreten, die vor allem Wachstum, Investitionsklimata und ähnliche Fragen in den Vordergrund gerückt hätten.

Bei den Human Development Reports der UNDP sei es hingegen normal, dass progressive und alternative Ideen aufgenommen würden.

Entwicklungshilfe und Entwicklungs-Zusammenarbeit

Beide Berichte zeigen ein Fülle von Daten und Zusammenhängen auf, welche für die Entwicklungs-Zusammenarbeit von Belang sind.

So schreibt das Schweizer Entwicklungshilfegesetz vor, dass Entwicklungshilfe und -Zusammenarbeit zugunsten von armen Ländern und armen Regionen wirken müssen.

Entwicklungshilfe soll also armutslindernd sein. «Daran muss auch die Schweiz, das Land der Banken, der internationalen Konzerne mitarbeiten. Mit diesen Institutionen übt sie einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des Südens aus», ist Gurtner überzeugt.

Handel: Dreh- und Angelpunkt

Einen ganz wichtigen Platz nimmt dabei der Handel ein. Benötigt wird ein globales System, das die Umverteilung fördert und den Armen einen besseren Zugang zu den Produktions-Prozessen bietet und damit die Möglichkeit, selbst Einkommen zu erarbeiten.

Kevin Watkins, Co-Autor des UNDP-Berichts, sagte anlässlich der Präsentation, während der letzten vier Jahre seien im Rahmen der Verhandlungen der Welthandels-Organisation (WTO) dauernd Diskussionen über Entwicklungsrunden in der Handelspolitik geführt worden. «Aber bislang wurden keine Resultate erzielt.»

Streitpunkt Volumen

Als grösstes Problem bezeichnet Gurtner jedoch die Frage des Volumens der öffentlichen Hilfe. Nichtregierungs-Organisationen (NGO) kritisieren, dass die Schweizer Entwicklungshilfe derzeit nur 0,41% des Bruttoinlandproduktes (BIP) beträgt.

Die Schweiz hat sich jedoch mit ihrer Zustimmung zu den Millenniums-Zielen, mit denen bis 2015 die Armut auf der Welt halbiert werden soll, verpflichtet, ihre Entwicklungshilfe auf 0,7% des BIP zu erhöhen.

Auswirkungen prüfen

Gurtner empfiehlt, jeden politischen Schritt, den Weltbank, UNO aber auch die reichen Länder unternehmen, auf die Auswirkung auf die Entwicklungsländer zu prüfen: «Werden die Reichen damit noch reicher und die Armen noch ärmer?»

Der Entwicklungsexperte: «Wir in der Schweiz haben da noch Hausaufgaben zu lösen – und dies massiv».

Weiter fordert er, die Entwicklungshilfe müsse mit den anderen Geberländern besser koordiniert und unnötige Verwaltungskosten müssten vermieden werden. So gelangten mehr Mittel ans Ziel – zu den Armen.

Besonderen Wert legt Bruno Gurtner auf folgenden Grundsatz: «Nicht die Geber sollen bestimmen, was nötig ist. Die Hilfe muss darauf ausgerichtet sein, bestehende Pläne von Entwicklungsländern zu unterstützen.»

swissinfo, Etienne Strebel

Der Human Development Report 2005 beschäftigt sich nicht nur mit einkommensbedingter Ungleichverteilung, sondern auch mit dem Stadt-Land-Gefälle, ethnischer Zugehörigkeit und dem Geschlecht. So arbeitet er heraus, dass in Indien die Sterblichkeit der Mädchen unter 5 Jahren rund 50% grösser ist als bei Knaben.

Nach den Schätzungen des World Development Report 2006 der Weltbank kosten die Auswirkungen der protektionistischen Massnahmen und Subventionen der Landwirtschaft in den reichen Ländern die Entwicklungsländer nahezu 72 Mrd. Dollar pro Jahr – dies entspricht der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe des Jahres 2003.

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