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US-Botschafter sieht Abkühlung im Steuerstreit

Für US-Botschafter Beyer ist mit dem Wegelin-Debakel der Tiefstpunkt im Steuerstreit erreicht. Reuters

Nach Ansicht des US-Botschafters in Bern hat der Steuerkonflikt mit der Schweiz mit dem Fall der Bank Wegelin den "Tiefstpunkt" erreicht. Nach der Anklage gegen die älteste Bank der Schweiz könne es nur noch aufwärts gehen, sagt Donald Beyer.

Im Gespräch mit swissinfo.ch sagt Beyer, der Steuerstreit mit der Schweiz sei bisher mit Abstand die grösste Herausforderung in seinem zweieinhalbjährigen Job als Botschafter in der Schweiz – und bleibe weiterhin seine “oberste Priorität”.

Die Schweiz sei das erste Land gewesen, das “wie der Kanarienvogel in der Kohlengrube” die Konsequenzen des Foreign Account Tax Compliance Act (Fatca) aufs Tapet gebracht habe, betont Beyer. Fatca ist ein Teil eines 2010 in Kraft getretenen US-Gesetzes, mit dem das US-Steuer-Reporting (Berichtsverpflichtung) von ausländischen Finanzinstitutionen deutlich verschärft wurde.

Dies, gekoppelt mit der Abweisung der Schweizer Banken von einigen US-Bürgern als Kunden, hat dazu geführt, dass rund 100 Amerikaner in der Schweiz ihre US-Staatsbürgerschaft im vergangenen Jahr aufgegeben haben. Umgekehrt haben inzwischen über 11’000 Schweizer Bürger die Green Card (zeitlich unbeschränkte Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für die Vereinigten Staaten) beantragt.

swissinfo.ch: Der Steuerstreit hat in jüngster Zeit die Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA dominiert. Werden diese Beziehungen mit den fortgesetzten Ermittlungen gegen Schweizer Banken noch heikler?

Donald Beyer: Ich denke, wir haben mit der Anklage gegen Wegelin und dem Entscheid der Bank, die meisten ihrer Anlagen an die Raiffeisen auszugliedern, den tiefsten Punkt erreicht. Die anderen Schweizer Banken scheinen sehnlichst eine Zusammenarbeit zu wünschen. In der Presse war jüngst zu lesen, dass sowohl Credit Suisse wie auch Julius Bär deutlich machen, man wolle vorwärts kommen und auf jede erdenkliche Art und Weise helfen.

Ich glaube, dass einige vom Steuerstreit betroffene Schweizer Banken die Daten aushändigen würden, wenn sie dies nach Schweizer Gesetzgebung tun dürften. Bislang hatten die Banken nicht das Gefühl, dass sie das tun dürfen und warten auf eine Lösung zwischen den beiden Regierungen.

Wir führen mit dem Schweizer Staatssekretär Michael Ambühl regelmässig Gespräche, und ich spreche regelmässig mit der US-Steuerbehörde (Internal Revenue Service IRS, Anm.d.Red.). Alle diese Prozesse kommen langsamer voran als gewünscht, aber sie scheinen immerhin vorwärts zu kommen.

swissinfo.ch: Können die Schweizer den US-Standpunkt im Steuerstreit verstehen? Und welche Gelegenheiten hatten Sie, Washingtons Position den Schweizer Behörden zu erklären?

D.B.: Ich bin nicht sicher, ob der Durchschnittsschweizer das Problem vollumfänglich versteht, denn es geht dabei um schwierige Fragen. Ich bin aber sicher, dass die Regierung, die Minister die Sache sehr, sehr gut verstehen. Und sie sind sehr konstruktiv in der Suche nach einer guten Lösung.

Es gibt Spannungen. Aber wenn wir in der Sache insistieren, so ist das kein Angriff auf die Schweizer Banken, sondern ein Versuch, einige tausend Amerikaner zu erwischen, die ihrem Staat die Steuern nicht bezahlt haben.

swissinfo.ch: Was sagen Sie zu all den ehrlichen amerikanischen Steuerzahlern, die enge Verbindungen zur Schweiz haben, aber wegen ihrer Schweizer Bankkonten unter Verdacht geraten oder wegen ihrer US-Staatsbürgerschaft von den Schweizer Banken gemieden werden? Wobei einige von ihnen deswegen oder wegen der Fatca sogar ihren US-Pass abgeben…

D.B.: Wir müssen differenzieren. Auf der einen Seite gibt es sicherlich amerikanische Expats, die wegen ihrer Schweizer Bankkonten in Schwierigkeiten geraten sind. Genauso gibt es in den USA lebende Schweizer, die wegen ihrer Schweizer Bankkonten Probleme hatten. Unser Rat an diese Leute lautete: geduldig und beharrlich sein. Geduldig, weil es in der Schweiz oder in den USA kein Gesetz oder keine Vorschriften gibt, welche die Banken zu solchen Entscheidungen zwingen. Jede Bank fällt ihre Geschäftsentscheide individuell, zum Beispiel eben einen solchen wie “ich will keine Geschäfte mit einem amerikanischen Kunden machen”. Und das tun die Banken, weil sie Angst haben, weil sie unsicher sind und nicht wissen, ob IRS-Ermittlungen sie irgendwie in ein Risiko bringen.

Es gab wegen der Fatca weltweit zuerst enorme Besorgnis. Es ist das Verdienst der Schweiz, das erste Land zu sein – der Kanarienvogel in der Kohlengrube – , das sich aufmerksam um die unfreiwilligen Konsequenzen kümmert. Ich habe schon einige Male dem US-Aussenministerium spezifische Besorgnisse von Schweizer Banken und Schweizer Regierungsmitgliedern im Zusammenhang mit Fatca geschildert. Die gute Nachricht ist, dass die US-Regierunhg die Sache ernst nimmt.

Obwohl ich nicht sagen kann, dass kein Zusammenhang zwischen Fatca und dem Verzicht auf die Staatsbürgerschaft existiert, gibt es eine andere, aber wichtige Möglichkeit, die Sache anzuschauen. Im vergangenen Jahr gab es weltweit 1708 Personen, die auf ihre Staatsbürgerschaft verzichtet haben, wovon über 100 in der Schweiz. Bei den meisten handelt es sich um Leute, die in den USA geboren sind, aber in der Schweiz leben und im Sinn haben, für den Rest ihres Lebens dort zu bleiben. Sie wollen sich nichts von Fatca gefallen lassen und nichts hören von einer Verantwortung, in den USA Steuern oder sonst etwas zu bezahlen.

Wirklich interessant ist, dass im Fiskaljahr 2012 umgekehrt 11’539 Schweizer die Green Card beantragt haben. Dagegen hatten wir knapp weniger als 100 Personen, die ihre Staatsbürgerschaft aufgaben. Das ist ein Verhältnis von 110:1.

swissinfo.ch: Wie sehr betrifft der starke Franken und der Steuerkonflikt US-Geschäfte und -Handel mit der Schweiz? Laut Standort-Promotionsagenturen für Zürich, Genf und Bern sistieren amerikanische Unternehmen ihre Investitionspläne, bis der Steuerstreit gelöst ist…

D.B.: Davon habe ich nichts gehört, aber auch vom Gegenteil nicht. Die Dinge laufen noch immer recht gut. Der starke Franken hat immer Auswirkungen. Aber es gibt immer noch mehr als genug amerikanische Touristen in der Schweiz. Umgekehrt hatten wir im vergangenen Jahr 470’000 Schweizer Touristen in den USA, 23% mehr als im Vorjahr.

2010 war die Schweiz der grösste ausländische Direktinvestor in der US-Wirtschaft. Schweizer Firmen und Investoren sind stärker in der US-Wirtschaft engagiert als solche aus jedem anderen Land. Und die Statistiken von 2011 zeigen weiter nach oben.

Es gibt jetzt über 600 US-Firmen, die ihren Hauptsitz oder ihre Geschäftstätigkeit hier in der Schweiz haben oder abwickeln. Eine sehr dynamische Gemeinschaft, und es gibt eine Anzahl US-Bundesstaaten, die unbedingt in die Schweiz kommen wollen, um Handelsagenturen einzurichten, weil sie die Schweiz als grossen Markt sehen.

swissinfo.ch: Was möchten Sie bis zum Ende ihres Botschaftermandates in der Schweiz erreichen?

D.B.: Priorität Nummer 1: Die Banken-Fragen lösen. Ich denke, jedermann ist sich bewusst, dass das gesetzliche Fragen sind, Überbleibsel von alten Entscheiden, als es noch keine Abkommen und Gesetze gab und kein Bewusstsein dafür, solche Fragen hoffentlich nie mehr aufs Tapet zu bringen. Wir müssen von diesen Altlasten wegkommen.

Priorität Nummer 2: Wir sollten Abkommen über den Informationsaustausch entwickeln, die es ermöglichen, Schweizer mit erleichterten Visa-Bestimmungen in die USA reisen zu lassen (Visa Waiver). Viele europäische Staaten haben dies bereits getan, inklusive Österreich, das ähnlich strikte Datenschutzgesetze wie die Schweiz kennt.

Die US-Regierung erteilte der US-Bundespost vor zwei oder drei Wochen ein Mandat, um hier eine Lösung auszuhandeln. Hoffentlich gelingt es.

Die UBS war die erste Schweizer Bank, die mit der US-Justiz in Konflikt geraten ist. 2009 wurde die Grossbank wegen Beihilfe zu Steuerflucht mit 780 Millionen Dollar gebüsst.

2010 bewilligte die Schweizer Regierung die Daten-Übergabe von rund 4500 UBS-Kunden an die US-Behörden. Der Deal wurde 2011 vom Schweizer Parlament gutgeheissen.

Zwei Steueramnestien in den USA – eine dritte begann im Januar – brachten über 30’000 Steuerhinterzieher ans Licht und ermöglichten der US-Steuerbehörde IRS, weiter nach solchen auf Schweizer Banken zu fahnden.

In den USA wurden in den letzten Monaten mehrere Schweizer Bankers und Anwälte verhaftet oder angeklagt. Darunter drei Direktoren der Bank Wegelin, die am 3. Januar angeklagt wurden. Am 27. Januar kündigte die Bank den Verkauf des grössten Teils ihres Geschäftsbereiches an die Raiffeisen-Bankengruppe an.

Am 3. Februar erhoben die USA Anklage gegen die Bank Wegelin wegen Beihilfe zu Steuerflucht. Es ist das erste Mal, dass eine ausländische Bank in den USA formell auf diesem Weg angeklagt wurde.

Zur Zeit hat das US-Justizdepartement 11 Schweizer Banken oder in der Schweiz ansässige Auslandbanken im Visier.

Fatca steht für Foreign Account Tax Compliance Act und ist die Kurzbezeichnung für einen Teil eines im Jahr 2010 in Kraft getretenen US-Gesetzes, mit dem das US-Steuer-Reporting (Berichtsverpflichtung) von ausländischen Finanzinstitutionen deutlich verschärft wurde.

Mit Fatca soll verhindert werden, dass US-steuerpflichtige Personen insbesondere mittels im Ausland befindlicher Finanzinstitutionen bzw. anderer Nicht-US Rechtsgebilde ihre Steuer verkürzen. Die Fatca gilt für Beträge über 50’000 Dollar. Zuwiderhandlungen werden mit einer 30%-igen Quellensteuer geahndet.

Die Umsetzung des Gesetzes könnte jede ausländische Bank 100 Millionen Dollar kosten, was zu Protesten vieler Regierungen geführt hat.

Die USA haben jetzt ein 388-seitiges Dokument publiziert, das beschreibt, wie Fatca umgesetzt werden kann und lancierten eine Vernehmlassung bis zum 1. Mai dieses Jahres. Geplant ist eine stufenweise Fatca-Inkraftsetzung, die im nächsten Jahr beginnen soll.

Er wurde im Juni 2009 von Präsident Barack Obama zum US-Botschafter in der Schweiz ernannt und kam am 15. August 2009 in die Schweiz.

Der in Italien geborene Beyer besitzt bei Washington D.C. ein erfolgreiche Autohauskette. Von 1990 bis 1998 war er Vizegouverneur im Bundesstaat Virginia.

Für Obamas Wahlkampagne brachte er mindestens 500’000 Dollar (460’000 SFr.) zusammen.

(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)

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