«Wir wollen fahren, nicht warten»
Die italienischen Chauffeure blockierten am Mittwoch sich selber. Viele wussten nichts über die Motive der Blockade.
Kühl und regnerisch ist es am Morgen in Chiasso. Unter der grauen Wolkendecke wirkt das Warenzollareal noch unwirtlicher als gemeinhin. Dazu kommt eine fast unheimliche Stille.
Wo normalerweise Chauffeure mit Papieren herumrennen und ihre LSVA-Gebühren berappen, wo LKWs mit grossen Abgaswolken an- und abfahren und Autosirenen aufheulen, herrscht Ruhe. Die Luft lässt sich einigermassen atmen, die Zöllner stieren gelangweilt hinter ihren Glasfenstern hervor.
Blockade funktioniert
Keine Frage: Die Grenzblockade der italienischen Transporteure funktioniert. «Wir schliessen (einen Tag) die Alpen, um uns die Türen Europas zu öffnen» steht auf den Protestplakaten, die die Kühlerhauben der Brummis zieren, die vor der Ein- und Auffahrt zum Zollgelände in Ponte Chiasso (I) quer stehen.
Ein Berner Chauffeur ist gar nicht glücklich, dass sein Fahrzeug als Plakatständer genutzt wird – bekanntlich hat sich der Schweizer Berufsfahrerverband Routiers Suisses von der Blockadeaktion distanziert.
Sichtbare Folgen
Die Folgen der Blockade sind weitherum sichtbar. In Doppelreihe stehen die Camions dichtgedrängt auf der Rampe, die von Italien Richtung Zollanlage führt. 1000 Brummis warten gemäss Radiomeldungen vom Nachmittag auf der A9, die Chiasso mit Como und Mailand verbindet.
Auf Schweizer Seite hat man vorgesorgt . Die nach Süden fahrenden Camions auf der A2 sind im Tessin und in der Deutschschweiz auf Ausstellplätze gewiesen worden. Der Warteraum vor dem Zoll ist daher nicht einmal voll. «Es ist ein sehr ruhiger Tag für uns», schmunzelt der Tessiner Zollinspektor Eros Cavadini.
Auf der italienischen Seite werden Flugblätter verteilt. «Es geht nicht um eine korporative Aktion der Transporteure», ist zu lesen, » sondern um den freien Warenverkehr über die Alpen». Durch die Schwierigkeiten im alpenquerenden Verkehr via Strasse sei Italien wirtschaftlich stark benachteiligt.
Die Wut der italienischen Chauffeure
In Diskussionen mit Medienvertretern lassen italienische Chauffeure und Gewerkschaftsfunktionäre ihrer Wut freien Lauf. «Früher konnten wir gratis von Basel nach Chiasso fahren: in dreieinhalb Stunden. Heute brauchen wir acht Stunden und müssen dafür noch LSVA bezahlen», ereifert sich ein Mailänder.
Ressentiments gegen die Schweiz sind immer wieder zu hören. «Die Schweizer wollen einfach nur abzocken», lautet der Refrain. Beim Nachfragen geben aber Einige zu, dass der Transit durch Österreich noch mühsamer sei.
Gleichwohl: Das Einbahnregime am Gotthard müsse unverzüglich aufgehoben werden, fordern die italienischen Transporteure. Und die Sicherheit? «Wir sind doch Profifahrer» ist die Standardantwort. Die Schweiz dürfe nicht wegen eines einzigen Unfalls das ganze europäische Verkehrssystem zum Kollaps bringen.
Nachtfahrverbot beenden
Vollkommenes Unverständnis herrscht für die Tatsache, dass vollbesetzte Reisecars im Gotthardtunnel bei LKW-Gegenverkehr fahren dürfen, während die Camions ihren Turnus auf der Autobahn – ohne hygienischen Service für die Fahrer – abwarten müssen. Auch das Nachtfahrverbot in der Schweiz müsse ein Ende haben. Und eine Zollabfertigung rund um die Uhr tue Not.
Einen Widerspruch dieser Forderungen mit den europäischen Anstrengungen, den Schwerverkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern, sieht Giorgio Colato nicht. Der eloquente nationale Koordinator des Verbands italienischer Autotransporteure (FAI) kann sich denn auch mit der Aktion von Greenpeace-Aktivisten am Zoll anfreunden.
Die jungen Leute in ihren weissen Overalls fordern auf Spruchbändern:»Güter auf die Bahn». Den Chauffeuren verteilen sie Gipfeli, Kaffee und Flugblätter, in denen sie erklären, dass sich ihr Einsatz nicht gegen die LKW-Fahrer richtet, sondern für die Umwelt und für die Menschen entlang der Transitachsen.
Hupac – nein danke
Doch viele Chauffeure machen keinen Hehl daraus, was sie von der Bahn halten. Hupac? Nein danke: «Zu lange Reisezeiten, zu teuer». Funktionär Colato relativiert die Aussagen: «Eine Verlagerung von der Strasse auf die Schiene ist schon richtig, aber ein Grossteil der Güter wird auch in Zukunft über die Strasse transportiert werden.»
Dass diese Camions fahren können und nicht warten müssen, sei auch im Interesse der Umwelt. Insbesondere ausländische Trucker wissen kaum etwas über die Motive ihrer italienischen Kollegen. «Die wollen bestimmt eine bessere Bezahlung», gibt sich ein Holländer überzeugt, der seine Blumen und Topfpflanzen nach Padua bringen muss. Ein deutscher Chauffeur mit Metallrohren auf der Ladefläche hält die Blockade für einen Streik. Er findet das gut: «Überall streiken sie, nur wir in Deutschland arbeiten immer.»
Warten gehört zum Alltag
Fatalistisch tönen viele Kommentare der Fahrer zu den Verspätungen, die sie zwangsläufig haben: Warten gehört für sie eben zum Alltag. Richtig sauer sind aber Italiener, die von der Blockade nichts wussten und nun fest sitzen. Andere meinen, Rom wäre ein besserer Ort zum Demonstrieren gewesen als das Niemandsland am Zoll.
Um 16.30 Uhr wird die Blockade aufgehoben. Unmittelbare Antworten auf die gestellten Forderungen seiner Branche erwartet Giorgio Colato vom Transportgewerbe nicht. «Aber was wir heute säen, können wir morgen ernten», philosophiert er optimistisch mit Blick gen Himmel. Der Tag für die Saat sei bestens. Es regnet.
Gerhard Lob, Chiasso
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