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Zwiespältiger Thomas Mann

Auch Thomas Mann muss sich "nationalistische Tendenzen" unterstellen lassen. Bluhm/Rölleke

Der Berner Professor Yahya Elsaghe weist im Werk des als Repräsentant des "anderen" Deutschlands geltenden Schriftstellers Thomas Mann nationalistische und antisemitische Tendenzen nach. Mann habe zwischen gutem Inland und bedrohlichem Ausland unterschieden und Vorurteile bestätigt.

Der Berner Professors Yahya Elsaghe untersucht am Beispiel von Thomas Manns Gesamtwerk und dessen Rezeption die “Genese und Problematik nationaler Identität”. Er nahm seine Arbeiten im März vergangenen Jahres als einer der ersten Förder-Professoren des Schweizerischen Nationalfonds auf.

Sein erstes Buch, “Die imaginäre Nation. Thomas Mann und das Deutsche” erschien im vergangenen Jahr. Im letzten März wurde Elsaghe zum ordentlichen Professor für Neue deutsche Literatur an der Universität Bern ernannt.

Der Literatur-Nobelpreisträger Mann (1875-1955) entsprach laut dem Schweizerischen Nationalfonds mit seiner (unterdrückten) homosexuellen Veranlagung und der brasilianischen Abstammung mütterlicherseits nicht dem nationalistischen deutschen Idealbild. Die Ergebnisse des Berner Professors Elsaghe lassen ihn aber als zwiespältige Person erscheinen, von der bisher nur die liberale, philosemitische Seite Erwähnung gefunden habe.

Nationalistische Grundhaltung

Wie der Literatur-Wissenschafter anhand der Romane und Erzählungen zeigt, lässt sich bei Mann, der vor allem seit der Zeit des national-sozialistischen Deutschlands im Exil arbeitete, aber auch eine nationalistische Grundhaltung und die dafür typische Unterdrückung einer kulturellen Vielfalt beobachten.

Gemäss Elsaghe unterschied der Schriftsteller häufig zwischen einem guten Inland und einem bedrohlichen Ausland. Der Begriff deutsch entspreche dabei nicht einfach einer Staatszugehörigkeit, sondern sei durch Abgrenzung von gesellschaftlichen Gruppen definiert, die Mann als fremd empfunden habe.

Juden auffällig dargestellt

Fremd seien vor allem Frauen, Juden und Katholiken. Als Beispiele führt Elsaghe unter anderem die elsässische Nymphomanin und ihren impotenten Gatten sowie den katholischen Priester mit Seidensocken und Fussschweiss im “Felix Krull” und den bösen Karrierejuden in “Buddenbrocks” an. “

Auffällig oft überschritten die durchwegs männlichen deutschen Helden die heimische Grenze und steckten sich im Kontakt mit weiblichen oder verweiblichten Fremden mit Seuchen an. Auch die Darstellung jüdischer Personen sei auffällig. Abgesehen von den späten und spätesten Werken würden diese zwar nie explizit als solche bezeichnet, zahlreiche Attribute wie “eine etwas gedrungene Nase” und “geschäftiges Händereiben” bestätigten jedoch antisemitische Vorurteile.

swissinfo und Agenturen

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