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Es muss ja nicht gleich Santiago sein

Kühe im Vordergrund, Mythen (Bergkette) im Hintergrund
Blick vom Jakobsweg auf die Mythen. swissinfo.ch

Nicht nur Spanien, auch die Schweiz bietet Jakobswege. Der wichtigste führt vom Bodensee zum Genfersee. Einen besonders schönen Abschnitt finden Pilger und Wanderer auf den Innerschweizer Etappen zwischen Einsiedeln und Interlaken.

Pilgern ist schon seit geraumer Zeit wieder in. Der König der Pilgerpfade ist natürlich der knapp 800 Kilometer lange Jakobsweg durch Nordspanien (“Camino Francés”) von der französischen Grenze bis Santiago de Compostela, wo der heilige Jakobus seine letzte Ruhestätte gefunden haben soll.

Doch der Rummel auf diesem Klassiker ist mittlerweile ziemlich gross, wozu nicht zuletzt die Jakobsweg-Bücher von Paulo Coelho (“Auf dem Jakobsweg”) und Hape Kerkeling (“Ich bin dann mal weg”) beigetragen haben dürften. Wer es etwas ruhiger mag, findet auch ausserhalb Spaniens solche Wege, denn es gibt eben nicht nur den einen, sondern ein ganzes Geflecht von Jakobswegen, die sich quer durch Europa ziehen – alle jedoch mit dem Ziel Santiago de Compostela.

In der Schweiz führt der Jakobsweg, die Via Jacobi, als nationale Wanderroute Nr. 4 vom Bodensee, genauer gesagt Konstanz oder Rorschach, über Einsiedeln, den Vierwaldstättersee, dann entweder über Interlaken oder durch das Entlebuch nach Freiburg, Lausanne und schliesslich Genf, wo der Pilgerpfad auf französischem Boden seine Fortsetzung findet.

Wer sehr gut zu Fuss ist, bewältigt die etwa 450 Kilometer in rund 20 Tagesetappen. Doch auch wenn der Weg das eigentliche Hochgebirge nicht berührt, verlangen einige Abschnitte gute Kondition, denn immer wieder gibt es steile Auf- und Abstiege zu bewältigen. Entschädigt wird man dafür mit herrlichen Ausblicken, idyllischen Landschaften und sehenswerten Kirchen am Wegesrand.

Viele Pilger-Stempel

Besonders schweizerisch wirkt der Jakobsweg auf dem knapp 115 Kilometer langen Abschnitt vom berühmten Wallfahrtsort Einsiedeln über Brunnen, Stans, Flüeli-Ranft und den Brünigpass nach Interlaken.

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Bei der Überquerung der Haggenegg nahe den markanten Felspyramiden der Mythen zwischen Einsiedeln und Schwyz passiert man auf 1414 Höhenmetern den höchsten Punkt der Via Jacobi und hat einen fantastischen Blick auf den Vierwaldstättersee.

Dieser Abschnitt ist sicher eine der schönsten, wegen des steilen Auf- und Abstiegs aber auch anstrengendsten Etappen des Jakobswegs. Hat man Brunnen mit seinem wunderschönen Blick auf den fjordartig wirkenden Urnersee und auf das Rütli, den mythischen Geburtsort der Eidgenossenschaft, erreicht, steht erst einmal die Seeüberquerung mit dem Schiff nach Treib auf dem Programm.

Von dort führt der Jakobsweg, den See immer zur Rechten, hinauf nach Emmetten – ein Pfad, der sich an schroffe Felswände schmiegt und gleichermassen Trittsicherheit wie Schwindelfreiheit verlangt. Auch der Abstieg wieder hinunter zum See hat es in sich.

Gemütlich geht es dann durch die Seegemeinden Beckenried und Buochs, wo kleine Kapellen am Wegesrand nicht nur zu Rast und Besinnung einladen, sondern in denen auch die begehrten Stempel für den Pilgerpass warten.

Im Vergleich mit anderen Abschnitten der Via Jacobi gibt es zwischen Einsiedeln und Brunnen besonders viele Gelegenheiten, den Pilgerpass mit Stempeln zu füllen.

Gotthard-Autobahn A2 bei Beckenried
Der Jakobsweg ist nicht nur idyllisch: Er führt auch, wie hier bei Beckenried an der Gotthard-Autobahn N2, durch ein vom Verkehr gezeichnetes Land. swissinfo.ch

Kirchenbesuche

In Buochs verlässt man den Vierwaldstättersee und wandert durch das hügelige Gelände des Kantons Nidwalden in dessen Hauptort Stans. Hier lohnen ein Besuch der Pfarrkirche St. Peter und Paul und die Besichtigung des gleich daneben befindlichen Winkelried-Denkmals. Es erinnert an Arnold von Winkelried, der in der Schlacht gegen die Habsburger bei Sempach (1386) durch seinen heldenhaften Opfertod den Eidgenossen den Sieg beschert haben soll.

Die nächste Etappe ist nicht besonders lang und anstrengend, führt sie doch durch ebenfalls hügeliges Gelände ins nur 16 Kilometer entfernte Flüeli-Ranft. Unterwegs passiert man oberhalb von Kerns das “Pilger-Stibli” der Familie Windlin.

Das Pilger-Stibli der Familie Windlin.
Eine willkommene Gelegenheit zur Rast bietet das “Pilger-Stibli” der Familie Windlin. swissinfo.ch

Sie hat für hungrige und durstige Pilger eine liebevoll gestaltete Selbstbedienungsraststätte eingerichtet, wo man gegen Bezahlung auf Vertrauensbasis Getränke und Snacks bekommt und auch eine Toilette findet. Das Gästebuch zeugt von der grossen Dankbarkeit der Vorbeiziehenden, und dass es auch hier einen Stempel für den Pilgerpass gibt, ist natürlich Ehrensache.

Kräftezehrender Aufstieg zum Brünig

Vorbei an der sehenswerten Kirche von St. Niklausen steigt man hinab in die Ranft, die Schlucht, in der sich die Einsiedelei des heiligen Bruder Klaus befand. Seine düstere Kammer an der oberen der beiden Kapellen vermittelt noch heute den Eindruck einer grossen selbstgewählten Bescheidenheit und Askese.

Das oberhalb der Ranft gelegene, in rund zehn Gehminuten erreichbare Dorf Flüeli wurde dank Bruder Klaus zu einem bedeutenden Wallfahrtsort, in dem das Geburts- und das ursprüngliche Wohnhaus des späteren Einsiedlers besichtigt werden können.

Von der Verehrung des Schweizer Nationalheiligen Bruder Klaus zeugt auch die Wallfahrtskirche in Sachseln am Sarnersee, das die Jakobspilger auf ihrem Weg zum Brünigpass durchqueren.

Wer an einem Tag von Flüeli-Ranft oder Sachseln bis zur Passhöhe will, hat eine anstrengende Etappe mit zwei kräftezehrenden Aufstiegen vor sich. Nach der ersten bei Kaiserstuhl erreicht man den Lungerersee und erblickt zum ersten Mal aus der Nähe die Gipfel des Berner Oberlands

 Zum Glück erfolgt der Aufstieg zum Brünigpass durch einen schattenspendenden, mit seinen Felsen oft mystisch anmutenden Wald, und wer dann den Grenzstein zwischen den Kantonen Obwalden und Bern erblickt, weiss, dass es jetzt geschafft ist.

Allerdings steigt der Weg auch nach dem Brünigpass noch einige Höhenmeter an, ehe es wiederum durch einen verzaubert wirkenden Wald hinunter nach Brienzwiler und Hofstetten geht.

Morgenstimmung im Haslital unterhalb des Brünigpasses
Morgenstimmung im Haslital unterhalb des Brünigpasses. swissinfo.ch

Wer Zeit und Lust hat, kann hier das bekannte Freilichtmuseum Ballenberg besuchen oder von Brienz, dem nächsten Ort, einen Ausflug mit der tollkühn konstruierten Zahnradbahn auf das Brienzer Rothorn unternehmen. Von dort aus bietet sich ein herrlicher Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau. Von Brienz geht es dann oberhalb des Brienzersees über Oberried und Ringgenberg nach Interlaken, das mit seinem touristischen Rummel etwas irritierend auf Pilger wirken mag.

Ein Weg durch die Schweiz von heute

Der Jakobsweg ist auf dem Abschnitt Einsiedeln – Interlaken im Prinzip von ungefähr Ende Mai bis Mitte Oktober gut begehbar. Allerdings sollte man sich vor den Abschnitten Treib-Emmetten und Giswil-Brünigpass-Brienzwiler vorsichtshalber erkundigen, ob der Pfad auch tatsächlich passierbar ist. Dasselbe gilt für den Abschnitt Brienz-Oberried, wo es eine Hängebrücke zu überqueren gilt, was vielleicht nicht jedermanns Sache ist.

Ansonsten aber ist der Jakobsweg, von den bisweilen steilen Auf- und Abstiegen einmal abgesehen, gut zu bewältigen. Zudem bieten die zahlreichen Übernachtungsmöglichkeiten und die gute Anbindung der Ortschaften an den öffentlichen Verkehr oft die Möglichkeit, aufzuhören. Das Reiseunternehmen Eurotrek bietet ausserdem den Service an, das Gepäck von Hotel zu Hotel weiterzuschicken.

Die zahlreichen Postautohaltestellen und Bahnstationen in der Nähe des Jakobswegs können natürlich auch eine Versuchung sein – denn nicht immer macht Pilgern nur Spass. Pilgern kann ermüdend und auch mal langweilig sein, so dass man für nicht so spannende oder anstrengende Abschnitte immer ein Hörbuch oder schöne Musik dabeihaben sollte.

Auch sollte man nicht erwarten, dass hinter jeder Wegbiegung eine ergreifende spirituelle Erfahrung auf einen wartet. Denn der Jakobsweg ist nicht nur idyllisch, man entdeckt neben vielem Schönen wie etwa den Gratis-Äpfeln für die Pilger in einer kleinen Kapelle hinter Buochs auch immer wieder ein vom Verkehr und der Zersiedelung gezeichnetes Land.

Der Jakobsweg ist eben ein Weg durch die Schweiz von heute, durch ein Land zwischen Tradition und Moderne – gerade das aber macht ihn so spannend. Als Pilgerin und Pilger erwandert man sich auf ihm so etwas wie die Spiritualität des Alltags. Und man erkennt: Im Grunde ist das ganze Leben Pilgerschaft.

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