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Die böse Frau im Sägemehl

Ursula Ruch vor ihren herausgeschwungenen Kuhglocken. swissinfo.ch

Im August 2007 waren die bösen Männer dran, am 23. September traten die Frauen am Eidgenössischen Frauen- und Meitlischwinget in Winterthur gegeneinander an. Frauenschwingen, eine Randsportart, wird von gewissen Männern noch immer belächelt. Ursula Ruch, oberste Schwingerin der Schweiz, nimmt's gelassen und lässt sich nicht einschüchtern.

In ihrer 5-jährigen Karriere hat sie drei Kränze, über ein Dutzend Glocken, einen jungen Stier (Muni) sowie ein Schwein erschwungen: Ursula Ruch, 31 Jahre alt, aus Krauchthal im Emmental. Dort ist sie aufgewachsen, dort wird sie in Kürze wieder als Landwirtin arbeiten und später wohl den Hof ihrer Eltern übernehmen.

“Ruch Ursula” kommt aus keiner Schwingerfamilie. Erst vor ein paar Jahren erfuhr sie, dass auch Frauen schwingen, und besuchte mit 26 erstmals ein Frauenschwingfest. Drei Tage später stieg sie in die Zwilchhose: “Sie ist unser Werkzeug, Zwilch ist ein fester Stoff, der einiges aushält.”

In Krauchthal ist sie die einzige Schwingerin. “Die Hochburg liegt in der Innerschweiz, dort sind die ganz bösen, also die guten Frauen.”

Die Präsidentin des noch jungen Frauen-Schwingverbands (EFSV) schwingt nicht nur, sie jodelt auch seit vielen Jahren und zählt zudem Seilziehen zu ihren Hobbies. “Das Schweizer Brauchtum interessiert mich”, erklärt Ruch im Gespräch mit swissinfo.

Ein Sport für starke Frauen

Wie das Schwingen eher ein Sport für kräftig gebaute Männer ist, sind auch unter den schwingenden Frauen keine zarten, feingliedrigen Grazien zu finden. “Die Frauen sind von eher kräftiger Postur, auch die Mädchen, die anfangen, sind keine ‘Finöggeli’. Es ist eine rauhe Sportart, es geht ums Kräfte messen.”

Und gerade das wird von der älteren Schwingergarde nicht gerne gesehen. Dass sich Frauen aufs Kreuz legen, sei nicht angebracht, meinen auch einige Spitzenschwinger.

Nach einem Auftritt am Fernsehen hat Ursula Ruch einen Brief erhalten, in dem der Schreiber “diese blöde Balgerei am Boden” anprangerte und die Schwingerinnen als “fertige Hühner” bezeichnete.

“Solche Reaktionen beleidigen mich nicht, sie amüsieren mich”, sagt Ruch. Sie lade solche Kritiker immer wieder ein, sich doch an einem Schwingfest selber ein Bild zu machen.

“Wir werden zwar noch immer belächelt, aber das Lächeln verschwindet allmählich. Die Männer erkennen, dass wir Strukturen schaffen und in den letzten zehn Jahren Fortschritte erzielt haben.”

Einschüchtern lässt sich die passionierte Schwingerin jedenfalls nicht. “Wir wollen den Männern nichts wegnehmen.” Sie versteht nicht, wieso es immer noch solche gibt, welche die Frauen beschimpften, weil sie “die Tradition zerstören und etwas kaputt machen”.

Technik wird immer wichtiger

Dass Frauen rein körperlich dem Mann unterlegen sind, ist für Ursula Ruch unbestritten. “Wir haben weniger Schnellkraft. Wir schwingen weniger explosiv. Man sagt gar, die Frauen schwingen in Zeitlupe.”

Beim Schwingen gehe es aber nicht nur um Kraft, sondern auch um Technik und Beweglichkeit. Und: Es geht auch um Kameradschaft, um ein freundschaftliches Kräftemessen. “Dass die Siegerin nach dem letzten Gang der Unterlegenen das Sägemehl von den Schultern klopft, ist ein Heiligtum, ist Respekt vor dem Gegenüber.”

Schwinger und wohl auch Schwingerinnen sind traditionsbewusst, lieben volkstümliche Musik und Fahnenschwingen und sind eher auf dem Land als in der Stadt zu finden.

Längst sind es aber nicht mehr nur Käser und Sennen, die sich diesem Hobby widmen, sondern auch Beamte und Polizisten. “Und es gibt Serviertöchter und Floristinnen, nicht nur Bäuerinnen und Hausfrauen”, betont die Krauchthalerin.

Ob die Schwingerinnen und Schwinger eher rechtsbürgerlich wählen, wie anzunehmen ist, interessiert Ruch nicht. “Es geht um Sport, und da hat Politik nichts zu suchen.”

Von den Männern lernen

Das noch junge Frauenschwingen ist auf Männer angewiesen. Sie sitzen im Vorstand des EFSV, wirken als Kampfrichter und Trainer. Und langsam, langsam gibt es auch gewisse Annährungen, zum Beispiel in einer gemeinsamen Weiterbildung. Ein Zusammenschluss der beiden Verbände kommt für die Präsidentin aber nicht in Frage. “Wir wollen unabhängig bleiben.”

Eine Durchmischung gibt es bei den Jüngsten: Knaben dürfen am diesjährigen Eidgenössischen der Frauen in der Kategorie der Zwerglein (7 – 9 Jahre) mitschwingen. Umgekehrt können Mädchen auch an Buben-Schwingfesten starten.

Frauen gegen Männer ist jedoch tabu: “Das macht keinen Sinn, körperlich sind wir den Männern unterlegen.” Mit Blick auf die Bösen wird das offensichtlich: Gegen zwei Meter gross oder gar mehr und weit über 100 kg schwer ist keine Seltenheit.

1980 fand in Aeschi bei Spiez das erste Frauen-Schwingfest statt. Über 80 Frauen nahmen daran teil.

1992 wurde am selben Ort der Eidg. Frauen-Schwingverband (EFSV) gegründet – von einem Mann (Jakob Roggenmoser).

Der EFSV zählt 130 aktive Schwingerinnen, davon die Hälfte Mädchen.

In der Schweiz gibt es 7 Frauenschwingklubs.

Das offizielle Verbandsorgan “Wyberhaken” erscheint dreimal jährlich.

Ursula Ruch, gelernte Landwirtin aus Krauchthal, Bern, ist seit 2006 Präsidentin des EFSV.

Schwingen ist die typische Schweizer Art des Ringens, ursprünglich ein Sport der Sennen auf den Alpen.

Heute sind über 100 Schwünge bekannt, so zum Beispiel der “Kurz”, der “Brienzer vorwärts”, der “Wyberhaken”, der “Hochschwung” oder der “Schlungg”.

Ein Wettkampf ist unterteilt in Gänge, die nur wenige Minuten dauern.

Das Eidg. Frauen- und Meitlischwinget findet jedes Jahr statt. Die Frau mit der Jahresbestleistung wird zur Königin gekürt.

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