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«Niemand will im Krisenland investieren»

Zur Zeit jagt in Griechenland eine schlechte Nachricht die andere. swissinfo.ch

Dem hochverschuldeten Griechenland fehlt es an Geld. Dutzende Milliarden sollen ins Ausland geflossen sein, auch in die Schweiz. Mangels Vertrauen wird kaum investiert, selbst schwerreiche Griechen in der Schweiz mögen ihrem Land nicht unter die Arme greifen.

In der Schweiz leben ein paar sehr reiche Griechen, etwa die Enkelin des legendären Reeders Aristoteles Onassis, oder Spiros Latsis, dem Ölraffinerien, Immobiliengesellschaften und Banken gehören, oder die Erben des Reeders und Kunstsammlers Stavros Niarchos.

Zwar finanziert die Stavros-Niarchos-Foundation Lebensmittelhilfe für arme Landsleute; dass aber superreiche Auslandgriechen in ihrem Land investieren, um Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschaft zu stützen, davon hört man nichts.

George Koukis, Millionär und weltweit tätiger Software-Unternehmer mit Wohnsitz am Genfersee, brachte es am Deutschen Fernsehen auf den Punkt: Er sei zwar stolzer Grieche, aber investieren werde er in seine Heimat auf keinen Fall. «Warum sollte ich mein Geld jemandem geben, den ich als nutzlos empfinde? Die anderen hier sehen das nicht anders, ob sie es aussprechen oder nicht», sagte er.

Kein Ort zum Investieren

«Dies ist eine ehrliche Einstellung», sagt dazu der griechische Anwalt Ilias Bissias gegenüber swissinfo.ch. Er ist als Anwalt in Athen und Zürich tätig und seit 16 Jahren auf grenzüberschreitende Rechtsfälle zwischen der Schweiz und Griechenland spezialisiert. Er ist auch der Vertrauensanwalt der Schweizer Botschaft in Athen. «Vielleicht sollten sich die reichen Griechen in der Schweiz moralisch dazu verpflichtet fühlen, ihrem Land aus der Patsche zu helfen. Aber im Moment herrscht Misstrauen und Zurückhaltung bei jedem Investitionsvorhaben.»

«Wo es keinen Profit gibt, wird nicht investiert», sagt auch Harris Dellas, seit 13 Jahren Professor am Institut für Volkswirtschaft an der Universität Bern. «In diesem unfreundlichen Umfeld will niemand investieren, es zahlt sich nicht aus. Man weiss nie, wann Streiks stattfinden, es gibt sehr mächtige Gewerkschaften, eine willkürliche Regierung, die ständig die Spielregeln ändert, einen riesigen Beamtenapparat und viel Korruption. Zudem ist die Infrastruktur eine Katastrophe.»

Dass unter diesen Bedingungen kaum Investitionen kommen, weder aus dem In- noch Ausland, ist also nachvollziehbar. Ebenso, dass immer mehr Griechen ihr Erspartes ins Ausland schaffen. Laut dem Athener Anwalt Bissias hat in den letzten zwei Jahren die Anzahl Kunden, die in der Schweiz ein Bankkonto eröffnen wollen, deutlich zugenommen. Um wie viel der Geldtransfer in sichere Häfen wie die Schweiz gestiegen ist und wie viele Milliarden auf Schweizer Banken lagern, ist jedoch unklar.

Die in Medien genannte Zahl von 400 Milliarden Franken und mehr sei jedoch massiv übertrieben, so Harris Dellas. Ilias Bissias schätzt die griechischen Gelder auf Schweizer Konten auf 30 bis 40 Milliarden und stimmt damit mit den Einschätzungen von Lorenzo Amberg, dem Schweizer Botschafter in Athen, überein.

Keine Mittel gegen Kapitalflucht

Dass Milliardenbeträge ausser Landes geschafft werden, ist schlecht für Griechenland. Das Geld fehlt für Investitionen und Banktätigkeiten. Da aber jeder sein deklariertes Erspartes irgendwohin auf der Welt überweisen darf, kann der quasi bankrotte Staat nichts gegen die Kapitalflucht tun.

«Der gesetzliche Rahmen sieht kein Verbot von Devisenausfuhr vor. Man kann nicht verhindern, dass Geld abfliesst», sagt Bissias. «Ein Verbot ausländischer Transaktionen würde ich für absurd halten. Dann hätten wir am nächsten Tag eine Revolution. Zudem würde eine solche Massnahme gegen EU-Recht verstossen.»

Interessant zu wissen wäre, wie viel steuerhinterzogene Gelder von griechischen Bürgern in der Schweiz liegen. Dass er auch Mandanten hat, die ihr Vermögen am Fiskus vorbeischleusen, kann Ilias Bissias nicht ausschliessen.

«Ein Anwalt ist weder ein Detektiv noch ein Steuerfahnder. Wir beraten den Mandanten und weisen ihn auf die schweizerische und die griechische Rechtslage hin und machen ihn ausdrücklich auf die Rechtsfolgen einer etwaigen Zuwiderhandlung gegen das Gesetz aufmerksam. Wir können nie genau wissen, ob wir eine ehrliche Antwort auf die Frage erhalten, ob es sich um deklariertes Vermögen handelt.»

Auch der griechische Staat wisse nicht, wo deklariertes und nicht deklariertes Geld stecke, da ihm die nötige Infrastruktur fehle. «Das ist eine Lücke. Zwar hat man in den letzten zwei Jahren die Steuergesetzgebung verschärft und ahndet die Steuerdelikte härter als in früheren Jahren. Aber ich glaube, es ist zu spät», so der griechische Anwalt.

Steuerflüchtlinge reagieren

Bei den meisten griechischen Geldern in der Schweiz handle es sich nicht um Schwarzgeld, glaubt der Athener Professor. «Die Leute haben Angst, dass die Drachme zurückkehrt und sie dann je nach Wechselkurs die Hälfte ihres Ersparten verlieren.» Es sei also verständlich, wenn sie das Geld in die Schweiz schafften. «Das ist ihr Recht und nicht illegal.»

Seit Anfang 2012 ist ein revidiertes Doppelbesteuerungs-Abkommen zwischen der Schweiz und Griechenland in Kraft, das die Rechtsgrundlage für den Informationsaustausch bei allfälliger Steuerhinterziehung liefert. Zudem fanden erste Sondierungsgespräche für eine Abgeltungssteuer statt.

Die im Raum stehende Abgeltungssteuer bekommt Anwalt Bissias bereits zu spüren. «Wir haben viele Anfragen von Leuten, die in der Schweiz ein Konto haben. Viele spielen im Moment mit dem Gedanken, die entsprechenden Bankenbeziehungen aufzulösen, sollte ab Inkrafttreten des besagten Steuerabkommens die durchschnittliche rückwirkende Besteuerung in der Schweiz tatsächlich ca. 25% des Bankguthabens betragen.»

Volkswirtschaftler Dellas rechnet damit, dass Griechen, die viel Geld in der Schweiz haben, ihre Vermögen zum Beispiel nach Singapur oder in die Vereinigten Arabischen Emirate transferieren. «Viele Steuerflüchtlinge haben dies wohl bereits getan. Die griechische Regierung dürfte enttäuscht werden.»

Seit dem 1. Januar 2012 ist das revidierte Doppelbesteuerungs-Abkommen zwischen der Schweiz und Griechenland in Kraft. Es enthält eine OECD-Amtshilfeklausel. Diese liefert die Rechtsgrundlage für den Informationsaustausch in Steuerhinterziehungsfragen.

Zudem haben im letzten Jahr laut dem Finanzdepartement in Bern in Sachen Abgeltungssteuer mit Griechenland Sondierungsgespräche auf Staatssekretärs-Ebene stattgefunden. Ein Termin für den formellen Verhandlungs-Beginn wurde noch nicht vereinbart.

Die griechische Regierung hat vor allem griechische Staatsbürger im Visier, die in Griechenland steuerpflichtig sind und in der Schweiz über Bankkonten verfügen.

Nach Inkrafttreten eines Abgeltungsabkommens haben die Bankkunden zwei Möglichkeiten: Entweder melden sie ihre Schweizer Bankeinlagen und zahlen bis zu 35% des Zinsertrags ans griechische Steueramt, oder sie geben ihre Identität nicht preis und bleiben anonym. Dann zahlen sie eine Abgeltungssteuer und verlieren  rund ein Viertel ihres Gesamtvermögens, das auf ihren Schweizer Konten lagert.

In Griechenland leben knapp 3400 Schweizer Staatsangehörige, Tendenz sinkend. Beim Grossteil von ihnen handelt es sich um Doppelbürger. 

Pro Jahr reisen etwa 350’000 Schweizer Touristen nach Griechenland.  

In der Schweiz sind rund 6000 griechische Staatsbürger registriert.

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