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Street Parade jubiliert: X-mal totgesagt, jetzt 20

Street Parade: Techno-Piraten entern die Stadt Zürch. streetparade.com

Am Samstag erschüttern die Techno-Klänge der Street Parade zum 20. Mal die Stadt Zürich. In den frühen 1990er-Jahren sorgten die wummernden Beats aber für mehr als nur Irritationen für das Gehör.

Mehrfach schon wurde sie totgesagt und musste sich gegen Kritik in Verbindung mit Drogenkonsum und schlechtem Wetter behaupten.

Am Samstag aber kann die Zürcher Street Parade ihren 20. Geburtstag feiern. Unter dem Motto «20 Jahre Liebe, Freiheit, Toleranz und Respekt» werden an der Limmat mindestens 600’000 Menschen erwartet.

29 Lastwagen, so genannte Love Mobiles, werden im Schneckentempo riesige Soundanlagen und Vorzeige-Raverinnen und -Raver über die Paraderoute entlang des Seebeckens transportieren. Zudem versorgen sieben Bühnen das schrille Publikum mit pumpenden Bässen und synthetischen Klängen.

An vorderster Front dabei sein wird Marek Krynski. 1992 war er als junger Mathematikstudent die treibende Kraft hinter der ersten Street Parade gewesen. Jetzt wird der Gründer und erste Präsident des organisierenden Vereins Street Parade als DJ Partyman auf dem Jubiläums-Wagen für Stimmung sorgen, unterstützt von der deutschen Legende Dr. Motte, dem Gründer der Love Parade in Berlin.

«Mitte der 1980er-Jahre war Zürich ziemlich langweilig, was das Nachtleben anging», erinnert sich Krynski gegenüber swissinfo.ch. Dann hätten die Sounds der Stilrichtung Acid House unter den Jugendlichen eine «Rave-olution» ausgelöst.

Nachdem Krynski am Fernsehen einen Bericht über die Love Parade in Berlin gesehen hatte, wollte er sich vor Ort vergewissern, ob der Umzug tatsächlich so grandios war, wie er sich das anhand der TV-Bilder vorgestellt hatte.

«Es war noch viel besser, und ich wusste, dass ich die Zürcher Street Parade organisieren werde. Der Rest ist Geschichte», sagt Krynski selbstbewusst.

Das Vorhaben löste in der Finanzmetropole angesichts von schräg gekleideten Menschen, die durch die Strassen tanzen, viel Skepsis aus. Zur ersten Parade, die damals durch die Bahnhofstrasse geführt hatte, erschienen gerade mal etwas über 1000 hartgesottene Techno-Fans.

«Zu gross und zu laut…»

1993 kamen schon 10’000 zur zweiten Street Parade. Aber nicht jedermann fand Gefallen am Anlass: Der damalige Polizeichef wollte die dritte Auflage verbieten.

Begründung: Zu gross, zu laut, zu viel Abfall in den Strassen. Zudem spreche die Parade nur einen ganz kleinen Teil der Bevölkerung an.

Doch nicht nur grosse Teile der Öffentlichkeit protestierten gegen das drohende behördliche Aus, sondern auch Politiker – die Street Parade war gerettet.

Marek Krynski verliess das Organisationskomitee 1996, doch der Event lebte auch ohne den Gründer weiter. Seine Blüte erlebte der Umzug 2000 und 2001, als rund eine Million Menschen daran teilnahmen.

Zuletzt machten den Organisatoren das Wetter und andere Umstände das Leben schwer: 2009 herrschten beinahe frostige Temperaturen, so dass die Sanitätsdienste kaum nachkamen, die leichtbekleideten Menschen vor akuter Auskühlung zu bewahren.

Und vor einem Jahr musste die Street Parade eine Trauerminute einschalten: Organisatoren und Besucher gedachten der 21 Opfer, die zuvor an einem Techno-Event im deutschen Duisburg in einer Massenpanik erdrückt worden waren.

Heute ist Marek Krynski Familienvater und arbeitet als Risk Manager bei einer Schweizer Grossbank. Den Erfolg des grössten Anlasses der Schweiz führt er auf ein einfaches Rezept zurück: Neben einem Gefühl der Freiheit würden Techno- und House wie kaum andere Musiksparten Glücksgefühle erzeugen.

«Werden Glücksgefühle geteilt, verstärken sie sich, und die Street Parade ist die beste Art, Glücksgefühle mit anderen Menschen zu teilen», sagt der Gründervater.

Gehen mit der Zeit

In den letzten Jahren kamen immer noch zwischen 600’000 und 800’000 Menschen an den Umzug. Es sei auch diese Konstanz, die den Erfolg des Anlasses ausmachte, sagt Mediensprecher Stefan Epli.

«Die Medien kündigten jeweils immer an, dass es sich um die letzte Auflage handle, das Interesse der Menschen sei abgeflaut. Aber sie wollen die Street Parade nach wie vor, gerade, weil es sich nicht um einen traditionellen Anlass handelt», so Epli. «Die Street Parade reflektiert die Zeit und verändert sich mit ihr.»

Dies unterstreichen die Organisatoren dadurch, dass sie beim 20. Geburtstag nicht in die Vergangenheit blicken, sondern auf neue Trends setzen. Dafür stehen beispielsweise «Boy Noize», eine Band aus Deutschland.

Hätten aber nicht die Stadtzürcher Behörden sowie die Geschäftswelt das Potenzial des Umzugs als Wirtschaftsfaktor erkannt, wäre es fraglich, ob der Anlass heute noch existierte.

«Für Tausende von jungen Menschen präsentiert sich Zürich an diesem Wochenende von seiner besten Seite: Der Umzug führt am See entlang, und das Wetter spielt meist mit. Die Street Parade trägt so zum Image von Zürich als junge, lebendige Stadt bei», sagt Brigit Wehrli-Schindler, Leiterin der Abteilung Stadtentwicklung bei den Behörden.

Alkohol und Ecstasy

In all den Jahren ist der Anlass aber eines nie losgeworden: Kritische Stimmen, die anprangerten, an der Street Parade würde zu viel Alkohol getrunken und zu viele andere Drogen wie Ecstasy und Kokain konsumiert.

Eine Kritik, welche die Organisatoren Ernst nehmen. Alkohol in kleinen Mengen sei zwar akzeptabel, aber keine Drogen, lautet ihr Credo. Wer alkoholische Getränke verlangt, wird an den offiziellen Verkaufsständen nur mit Bier bedient.

«Wir sind der Meinung, dass die Initiative bei den Besuchern liegt, sich unter Kontrolle zu halten», sagt Stefan Epli. Ziehe man aber die Grösse des Anlasses in Betracht, würden nur Wenige Probleme bereiten.

Auf die nächsten 20 Jahre

Aufgrund der traurigen Ereignisse in Duisburg waren im letzten Jahr die Sicherheitsvorkehrungen in Zürich noch einmal überdacht und verfeinert worden. Dies betraf namentlich die Fluchtrouten, die um jeden Preis offen gehalten werden müssen. Es gilt aber festzuhalten, dass der Anlass noch nie einen grösseren Zwischenfall zu verzeichnen hatte.

Die Veranstalter hoffen deshalb auch auf eine friedliche Jubiläumsausgabe. Was die Zukunft betrifft, wünscht sich Stefan Epli vor allem eines: «Dass die Street Parade so weiter tanzt wie in den letzten 20 Jahren.»

Die 20. Auflage findet am 13. August statt.

Die Route ist knapp zweieinhalb Kilometer lang und führt vom Utoquai im Seefeld über den Bürkliplatz an den Hafendamm Enge.

Teilnehmen werden 29 Love Mobiles, es gibt 7 Grossbühnen. Erwartet werden 600’000 bis 800’000 Besucherinnen und Besucher, davon 20% aus Deutschland.

Auf dem Jubiläums-Mobile wird Gründer Marek Krynski als DJ Partyman auftreten, ebenso Dr. Motte, der Gründer der Love Parade in Berlin.

Die Kosten betragen 1,7 Mio. Franken. Ein Viertel davon wird für Werbung verwendet, 75% für Sicherheit, sanitarische Einrichtungen, Reinigung und Organisation.

Der Anlass löst laut Organisatoren einen geschätzten Umsatz von 120 Mio. Franken aus.

Die Ausgaben werden durch Sponsoren gedeckt, aber auch durch Einnahmen aus Catering und CD-Verkäufen.

Der Anlass wird vom nichtkommerziellen Verein Street Parade organisiert.

Die erste Ausgabe der Street Parade fand 1992 statt. Veranstalter war der von der Love Parade in Berlin begeisterte Mathematik-Student Marek Krynsky.

Etwas über 1000 Menschen nahmen an dieser ersten Ausgabe teil. Der tanzende Zug führte über die renommierte Zürcher Bahnhofstrasse, was vielen Zürchern nicht passte.

Im Jahr darauf verboten die Behörden den Ravern das Tanzen «auf der reichsten Strasse der Welt».

Seither hat sich viel geändert: 13 offizielle Sponsoren machen mit.

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