US-Zolldeal zwingt Schweizer Pharmariesen zum Umdenken
Im Rahmen eines Abkommens zur Sicherung niedrigerer Zölle planen Schweizer Pharmaunternehmen massive Investitionen in Forschung und Produktion in den Vereinigten Staaten. Doch dies ist nicht der einzige Faktor, der die Besorgnis über die Zukunft der Pharmaindustrie in der Schweiz schürt.
Der Schweizer Pharmasektor hatte am Freitag allen Grund zu feiern, als die Regierung ein Handelsabkommen mit den USA bekannt gab, das die Zölle von 39% auf 15% senken soll. Das Abkommen schliesst Medikamente vorerst von Zöllen aus.
Zudem soll der Zollsatz auf pharmazeutische Waren auf 15% begrenzt werden, falls US-Präsident Donald Trump Abgaben auf weitere Sektoren erheben will.
Dies ist deutlich weniger als die 200%, die er im Sommer für Markenmedikamente angedroht hatte.
Novartis und Roche planen Verlagerungen in die USA
Das Zollabkommen, das noch nicht abgeschlossen ist, kam zu einem grossen Teil dank enormer Investitionszusagen der Schweizer Pharmariesen Roche und Novartis zustande.
Diese belaufen sich auf insgesamt 73 Milliarden US-Dollar (58 Milliarden Franken) in den nächsten fünf Jahren mit dem Ziel, alle wichtigen Medikamente für US-Patientinnen und Patienten in den USA herzustellen.
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«Dies sind bedeutende Investitionen, nicht nur im Hinblick darauf, wie gross sie für die US-Biopharmaproduktion sind, sondern auch im Vergleich zu dem, was Schweizer Unternehmen in der Vergangenheit investiert haben», sagt Prashant Yadav, Experte für Gesundheitsversorgungsketten und Senior Fellow beim Council on Foreign Relations in den USA.
«Diese Investitionen signalisieren, dass die Produktionszentren für fortschrittliche Therapeutika in Zukunft in den USA sein werden.»
Was diese Investitionen für die heimische Pharmaindustrie bedeuten, sei noch unklar, sagt Johannes von Mandach, Leiter der Wirtschaftsforschung bei der Zürcher Beratungsfirma Wellershof & Partners.
Sie haben jedoch bereits Besorgnis in der Schweiz ausgelöstExterner Link, da sie die Attraktivität des Landes als Pharmastandort weiter verringern könnten.
Die Pharmaindustrie macht etwa die Hälfte des Wirtschaftswachstums der Schweiz und 60% der Exporte in die USA aus. Sollte der US-Anteil der Branche verlagert werden, schätzt von Mandach, dass rund drei Milliarden Franken an Steuereinnahmen auf dem Spiel stehen.
«Es ist schwierig einzuschätzen, ob die Investitionen in den USA die bestehende Produktion in der Schweiz ersetzen werden oder ob das Hauptziel darin besteht, zukünftiges Wachstum direkt vor Ort zu bedienen», schreibt er in einer E-Mail. «Aber selbst Letzteres hätte eine spürbare Auswirkung auf die Schweiz.»
Der Wettbewerb um Pharmainvestitionen nimmt zu
Das Handelsabkommen ist der jüngste Einschnitt in die jahrzehntelange pharmazeutische Dominanz der Schweiz. Direkt in der Schweiz sind rund 50’000 Menschen in der Branche beschäftigt, bei einer Bevölkerung von neun Millionen.
Allein Roche und Novartis beschäftigen etwa 25’000 Mitarbeitende im Land, was etwa zehn bis 15 Prozent ihrer weltweiten Belegschaften entspricht.
Die Pharmaindustrie besteht aus tausenden von kleinen und mittelständischen Unternehmen, darunter Universitäts-Startups, forschungsintensive Biotech-Unternehmen, Auftragsproduzenten und Dienstleister.
Viele ausländische Pharmaunternehmen wie das US-Unternehmen Biogen und das japanische Unternehmen Takeda haben europäische oder internationale Hauptsitze in der Schweiz.
Allerdings steigt der Wettbewerb aus anderen Ländern, die Pharma als Quelle für Hightech-Jobs und Innovation sehen. Spanien ist dank grosszügiger Steuererleichterungen für Forschungsausgaben, eines schnellen Regulierungsprozesses und eines starken Gesundheitssystems zu einem Top-Ziel für neue pharmazeutische Investitionen geworden, schrieb Bloomberg kürzlichExterner Link.
Astra Zeneca, Sanofi und Roche haben in den letzten Jahren alle ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung im Land erhöht.
China hat sich ebenfalls als wichtige Innovationsquelle und wachsender Konsummarkt etabliert, wobei viele Unternehmen lokale Forschungszentren einrichten, um in die Biotech-Szene einzusteigen.
Laut einem Bericht in NatureExterner Link haben in den letzten fünf Jahren elf grosse Pharmaunternehmen über 150 Milliarden US-Dollar für die Lizenzierung neuer Medikamente aus China bereitgestellt.
There are no reliable figures on how much of pharmaceutical exports are actually produced in Switzerland versus how much transits or is packaged and distributed from the country. Production processes are highly fragmented, and many intermediate products cross the border several times during manufacture. As a result, foreign trade statistics may significantly overestimate the production and value added actually generated in Switzerland, explained Johannes von Mandach, the head of economic research at Zurich consulting firm Wellershof & Partners.
Immer mehr Regierungen wollen die Pharmaproduktion im eigenen Land haben, anstatt die Medikamentenversorgung der Gunst globaler Lieferketten auszusetzen.
Ein Teil dieser Entwicklung resultiert auch aus den Eigenschaften der Therapien der nächsten Generation, die davon profitieren, wenn die Produktion näher bei den Patientinnen und Patienten erfolgt.
Das gilt besonders für Zell- und Gentherapien, die sich durch einen hohen Komplexitätsgrad auszeichnen und die Entnahme von Blutproben sowie häufige Krankenhausbesuche erfordern.
Etablierte Pharma-Standorte sehen sich starkem Gegenwind ausgesetzt
Gleichzeitig werden Unternehmen dem regulatorischen und preislichen Umfeld in etablierten Zentren wie dem Vereinigten Königreich, Japan und der Schweiz gegenüber kritischer.
Japan ist der drittgrösste Pharmamarkt der Welt, wird jedoch von internationalen Arzneimittelherstellern zunehmend übersehen, da strenge Preisregulierungen die Markteinführung neuer Medikamente behindern und Innovationen ersticken.
Im September 2025 zog MSD (in den USA als Merck bekannt) sich aus einem Forschungszentrum in London im Wert von einer Milliarde Pfund (1,05 Mrd. Fr.) zurück und beendete die Forschung und Entwicklung im Vereinigten Königreich.
Das Unternehmen begründete diesen Schritt mit dem Druck durch Arzneimittelpreise und dem Mangel an Investitionen in die Life-Sciences seitens der britischen Regierung.
In einem Leitartikel der Financial Times im April kritisierten die Chefs von Novartis und Sanofi Europa dafür, Innovation nicht angemessen zu bewerten, und erklärten, dass die europäischen Preisregulierungen die Attraktivität des Markts mindern würden.
Branchenführer unterstützten zudem die Forderungen von US-Präsident Trump, die europäischen Arzneimittelpreise an das US-Niveau anzugleichen, um die Führungsposition im Biopharma-Sektor zu erhalten.
Das Wachstum der Pharmaindustrie stagniert in der Schweiz
Nachdem es Streitigkeiten mit den nationalen Gesundheitsbehörden über Arzneimittelpreise gab, hat die Branche die Schweiz ebenfalls ins Visier genommen.
Als kleiner Konsummarkt hat das Land weniger Einfluss, um sich zu wehren, als ein wichtiger Umsatzträger wie die USA.
«Es besteht daher ein erhebliches Risiko, dass die zunehmende Lokalisierung der Produktion in den USA und in anderen Ländern die Position der Schweiz als Pharmazentrum schwächt», sagt Georg Därendinger, Mediensprecher des Branchenverbands Interpharma.
Zusätzlich zur Stärkung der klinischen Forschung und zur Sicherung bilateraler Abkommen mit der EU muss die Schweiz laut Därendinger dringend «die Preisgestaltung für innovative Medikamente modernisieren und weitere Kostensenkungsmassnahmen unterlassen».
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Zwischen 2018 und 2023 haben ausländische Investorinnen und Investoren 560 Milliarden Franken aus der Schweiz abgezogen. Dies spiegelt sich unter anderem im Beschäftigungswachstum in der Pharmaindustrie wider.
Laut Interpharma, der wichtigsten Pharma-Lobbygruppe der Schweiz mit Sitz in Basel, sank das Wachstum von 2,5% pro Jahr zwischen 2011 und 2020 auf 0% zwischen 2020 und 2022.
Ein stabiles Schweizer Ökosystem ist ein Vorteil
Von Swissinfo befragte Fachpersonen sagen, die Situation bedeute nicht ausschliesslich Untergang und Trübsal für die Schweiz. Der Zolldeal halte die Zölle in Schach. Hohe Zölle auf Schweizer Pharma-Produkte würden der heimischen Industrie einen schweren Schlag versetzen.
Die Schweiz wird weiterhin für die europäischen Märkte sowie für globale Märkte ausserhalb der USA produzieren, sagt Christof Klöpper, Geschäftsführer von Basel Area Business & Innovation.
«Die Investitionen in den USA stehen nicht in Konkurrenz zur Schweiz, sondern stellen wichtige zusätzliche Investitionen unserer grossen Life-Science-Player dar.»
Dank seiner soliden Basis in Forschung und Entwicklung (F&E) befinde sich die Schweiz in einer besseren Position, um Veränderungen zu bewältigen, sagt Experte Yadav.
Ganz im Gegensatz zu Irland, das zwar in den 1950er-Jahren zu einem globalen Produktionsgiganten in der Pharmaindustrie wurde, jedoch nur sehr wenig F&E-Aktivität aufweist.
Dies gilt besonders, weil «neue Therapien wie Zell- und Gentherapien die Grenzen zwischen F&E und kommerzieller Produktion verwischen». Für diese Therapien sind häufig hochqualifizierte wissenschaftliche Kenntnisse und strenge Qualitätsstandards für die Herstellung und den Vertrieb erforderlich – Bereiche, in denen die Schweiz über viel Erfahrung verfügt.
Unternehmen wie Novartis haben Hunderte von Partnerschaften mit lokalen Spitälern und Universitäten für frühe Forschung und klinische Studien geschlossen.
Roche hat gerade ein Frühforschungszentrum im Wert von 1,2 Milliarden Franken eröffnet. Insgesamt hat das Unternehmen seit 2009 rund 5,8 Milliarden Franken in seinen Hauptsitz investiert.
Die Schweiz bietet zudem weitere Vorteile wie hohe Löhne, niedrige Steuern, eine hohe Lebensqualität und stabile Rahmenbedingungen, die Talente anziehen.
Mehrere chinesische Unternehmen, darunter Hengrui, Luye Pharma und Beone Medicines (ehemals Beigene), haben kürzlich F&E-Zentren oder europäische Hauptsitze in der Schweiz eingerichtet.
«Industriecluster entstehen dort, wo spezialisierte Fachkräfte, geeignete Infrastruktur und über viele Jahre aufgebaute Expertise vorhanden sind», sagt von Mandach. «Das macht einen Standort wie die Schweiz weitgehend stabil, und schnelle Verlagerungen sind eher unwahrscheinlich.»
Editiert von Veronica DeVore/ds, Übertragung aus dem Englischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub
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