Nach Preiskonflikt müssen Schweizerinnen Hormontherapie selbst bezahlen
Das bekannte Präparat zur Hormonersatzbehandlung Estradot wird in der Schweiz nicht mehr von der Krankenversicherung übernommen. Grund: Die Gesundheitsbehörden und der Hersteller konnten sich nicht auf einen Preis einigen.
Im September erhielt Simone Kobler, eine auf Hormonstörungen bei Frauen spezialisierte Gynäkologin aus der Nordschweiz, eine enttäuschende Nachricht. Estradot, eine Östrogenersatztherapie in Form eines transdermalen Pflasters, das Millionen Frauen weltweit zur Linderung von Wechseljahresbeschwerden verwenden, wird künftig nicht mehr von der obligatorischen Krankenversicherung in der Schweiz übernommen. Mit transdermalen Pflastern gelangt der Wirkstoff, in diesem Fall Östrogen, langsam über die Haut in den Blutkreislauf, was eine gleichmässige Abgabe ermöglicht.
Für Patientinnen mit einer Zusatzversicherung kann das Medikament unter Umständen teilweise erstattet werden. Alle anderen müssten die Kosten selbst tragen. Eine Apotheke in Bern verlangte 40 Schweizer Franken für eine 24er-Packung (75 mg) Estradot, die für 12 Wochen reicht. Viele der Patientinnen, darunter Frauen unterschiedlichen Alters und Transgender-Personen, verlassen sich seit mehr als zwei Jahren auf Hormonersatztherapien (HRT).
«Es ist tragisch, dass ein Medikament, das so viel zur Frauengesundheit beitragen kann, indem es beispielsweise das Risiko von Osteoporose und anderen Organschäden verringert, einfach vom Markt genommen wird und es scheinbar niemanden kümmert», so Kobler gegenüber Swissinfo in einer E-Mail. «Das bedeutet, dass die Betroffenen es selbst bezahlen müssen, was insbesondere für junge Menschen unmöglich ist.»
Der in Basel ansässige Arzneimittelhersteller Sandoz – derzeit der einzige Anbieter eines Östrogenpflasters in der Schweiz – erklärt, er habe aufgrund gestiegener Rohstoff- und Produktionskosten «keine andere Wahl» gehabt, als Estradot zum 1. September von der Liste erstattungsfähiger Arzneimittel, der sogenannten Spezialitätenliste, zu streichen. Wegen der steigenden Kosten sei Estradot «zu den in der Spezialitätenliste festgelegten Preisen nicht mehr wirtschaftlich», sagt Danja Spring, Leiterin der Medienabteilung von Sandoz Schweiz, gegenüber Swissinfo.
Estradot ist kein Einzelfall, weder in der Schweiz noch weltweit. Preisstreitigkeiten zwischen Gesundheitsbehörden und Arzneimittelherstellern häufen sich. Swissinfo berichtete kürzlich über die Entscheidung des Basler Pharmariesen Roche, ein neues Krebsmedikament von der Spezialitätenliste zu streichen.
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Für die Festlegung des Erstattungsbetrags vergleicht das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Preise für das Medikament in sieben Referenzländern sowie für ähnliche Produkte in der Schweiz. Das BAG überprüft die von ihm festgesetzten Preise alle drei Jahre und passt sie in vielen Fällen nach unten an.
2023 senkten die Gesundheitsbehörden den Preis für Estradot um etwa 2 Franken, wie aus einer veröffentlichten Liste der Preisänderungen hervorgeht. Der Abgabepreis ab Werk, also der an Sandoz gezahlte Preis, für eine 24er-Packung Estradot-Pflaster (75 mg) lag ursprünglich bei 19,31 Franken, wurde jedoch auf 17,41 Franken reduziert. Inklusive Vertriebskosten und Mehrwertsteuer betrug der Endpreis 35,35 Franken.
Die Menopause ist der Zeitpunkt der letzten Menstruation und rückwirkend durch 12 aufeinanderfolgende Monate ohne Blutung defininiert. Das bedeutet, dass die Eierstöcke keine Eizellen mehr zur Befruchtung freisetzen.
Die Funktion der Eierstöcke beginnt lange vor den Wechseljahren nachzulassen. In manchen Fällen kann dies bereits zehn Jahre früher der Fall sein. Diese Übergangszeit wird als Perimenopause bezeichnet. Die Zeit nach den Wechseljahren heisst Postmenopause.
Die Hormonersatztherapie (HRT) war bis 2002 weit verbreitet. Eine US-amerikanische Studie legte in dem Jahr jedoch nahe, dass die HRT das Risiko für Herzerkrankungen, Schlaganfall und Brustkrebs erhöhen könnte. Forscher:innen überprüften die Studie ab etwa 2005 erneut und deckten methodische Mängel sowie ein günstigeres Nutzen-Risiko-Verhältnis für HRT auf. Aktuelle Studien Externer Linkdeuten darauf hin, dass die HRT für Frauen innerhalb von zehn Jahren nach der Menopause vorteilhaft sein kann. Dies wird auch von Mediziner:innen in der SchweizExterner Link bestätigt.
Die Auswirkungen
Sandoz‘ Entscheidung, Estradot vom Schweizer Markt zu nehmen, fällt in eine Zeit, in der die Nachfrage nach der Hormonersatztherapie, die üblicherweise Östrogene oder eine Kombination aus Östrogenen und Progesteron enthält, stark ansteigt. Es gibt zunehmend Belege für ihre Vorteile bei der Linderung von Wechseljahresbeschwerden wie Schlafstörungen, kognitiven Beeinträchtigungen und Hitzewallungen sowie bei der Vorbeugung von Osteoporose und der Verbesserung der Herz-Kreislauf-Gesundheit.
Mit der steigenden Lebenserwartung wächst weltweit die Zahl der Frauen in den Wechseljahre. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) machten Frauen ab 50 Jahren im Jahr 2021 weltweit 26% aller Frauen und Mädchen aus. Zehn Jahre zuvor lag dieser Anteil noch bei 22%.
Östrogene sind weibliche Sexualhormone, die für die Entwicklung und Regulierung des weiblichen Fortpflanzungssystems verantwortlich sind. Während der Perimenopause und Menopause produzieren die Eierstöcke einer Frau weniger Östrogene und Progesteron, was zu einem schwankenden und schliesslich dauerhaft niedrigeren Hormonspiegel führt. Diese Hormonschwankungen können unter anderem Symptome wie Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen hervorrufen.
In der Schweiz befinden sich potenziell über 1,5 Millionen Frauen zwischen 40 und 65 Jahren in der Peri- oder Postmenopause. Eine im September 2025 veröffentlichte und vom Inselspital, dem grössten Krankenhaus in Bern, unterstützte Studie Externer Linkmit rund 2500 Frauen im Alter von 30 bis 67 Jahren ergab, dass 33% der Frauen aufgrund von Wechseljahresbeschwerden ihre Berufstätigkeit reduzierten, aufgaben oder eine Auszeit nahmen.
Es ist unklar, wie viele Frauen in der Schweiz eine HRT durchführen lassen, aber laut Simone Kobler ist die Nachfrage nach Hormontherapien im Allgemeinen in den vergangenen Jahren gestiegen. Die Zahl der Beratungsanfragen in ihrer gynäkologischen Praxis übersteige ihre Kapazität bei weitem, sagt sie.
In England stieg die Anwendung von HRT laut dem britischen Nationalen Gesundheitsdienst (NHS)Externer Link zwischen 2021/22 und 2022/23 um 47%. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Zahl der Patientinnen, denen eine HRT verschrieben wurde, um 29%. In Schweden ging Externer Linkdie Anwendung von Hormontherapien in den Wechseljahren von 2000 bis 2007 zurück, stabilisierte sich anschliessend und stieg dann von 2017 bis 2021 wieder an.
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Kobler ergänzt, es gebe spezifische Fälle, in denen eine Hormonersatztherapie dringend erforderlich sei, beispielsweise bei Frauen, deren Eierstöcke ihre Funktion eingestellt haben oder aufgrund eines Brustkrebsgens entfernt werden mussten. Auch einigen jungen Frauen, die aus genetischen Gründen keine Hormone produzieren oder in der Vergangenheit an Krankheiten wie Anorexie litten, wird Östrogen verschrieben, um die Pubertät einzuleiten.
Obwohl es auf dem Schweizer Markt auch andere östrogenhaltige Produkte wie Gele oder Sprays gibt, ist Estradot laut Kobler besonders beliebt, da es als transdermales Pflaster zweimal wöchentlich gewechselt wird. Dadurch lässt sich die Dosierung leichter kontrollieren, und für viele Frauen ist das Pflaster bequemer als die tägliche Anwendung eines Gels.
«Für viele Frauen, Jugendliche und Transgender-Personen ist Estradot eine unverzichtbare Therapie, insbesondere aufgrund seiner präzisen, kontinuierlichen und gut verträglichen transdermalen Anwendung», so Kobler.
Sie fügte hinzu, dass diejenigen, die am stärksten von der Änderung des Versicherungsschutzes von Estradot betroffen sein werden, besonders gefährdete Gruppen sein werden, die es sich nicht leisten können, selbst zu zahlen.
Danja Spring von Sandoz erklärt, der Fabrikpreis sei zum 1. September 2025 um rund 75% angehoben worden. «Nur so können wir Estradot weiterhin zu einem kostendeckenden Preis anbieten», sagte sie gegenüber Swissinfo.
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Das Preisbild
Die Schweiz versucht seit einigen Jahren, die in die Höhe geschnellten Gesundheitskosten einzudämmen.
Pharmaunternehmen argumentieren hingegen, dass der Druck, die Arzneimittelpreise zu senken, in einigen Fällen zu weit gehe. «Die Kluft zwischen Herstellungskosten und gezahlten Preisen vergrössert sich […] die Folge ist, dass die Anbieter von Basismedikamenten an den Rand des wirtschaftlichen Ruins gedrängt werden», sagt Spring. «Als Konsequenz sind Medikamente zwar billig, aber nicht verfügbar.»
Der Preisdruck und die Auseinandersetzung zwischen Behörden und Unternehmen zeigen sich auch dem Markt der Nachahmerpräparate, sogenannter Generika.
Im Allgemeinen sind Generika in der Schweiz teurer als in anderen europäischen Ländern. Lucas Schalch, Vorsitzender des Schweizer Generikaherstellerverbands Intergenerika, ist der Meinung, diese Preise müssten in Relation betrachtet werden.
Die Schweiz ist ein kleiner Markt, was es Unternehmen erschwert, eine Rendite auf ihre Investitionen zu erzielen. Laut Schalch haben 40% der Generika auf der Spezialitätenliste einen Ab-Werk-Preis (vor Vertriebskosten) von unter 10 Franken pro Packung. Unternehmen haben bereits Antibiotika wie Podomexef und für Kinder geeignete Darreichungsformen anderer Medikamente vom Schweizer Markt zurückgezogen. «Immer mehr lebenswichtige Medikamente erzielen in der Schweiz so niedrige Preise, dass das Risiko hoch ist, sie hier vom Markt zu nehmen», sagt Schalch.
Im Oktober stellte die Schweiz einen 300 Millionen Franken umfassenden Sparplan im Gesundheitswesen vor. Er beinhaltet unter anderem, die Verabreichung von preisgünstigeren Generika und Biosimilars (Nachahmungen von Biologika) zu unterstützen und voranzutreiben.
«Die Regierung hat das Problem erkannt und Änderungen vorgeschlagen», sagt Schalch. «Die Frage ist nun, wie sie diese umsetzen wird.»
Editiert von Virginie Mangin/gw. Übertragung aus dem Englischen mit der Hilfe von KI-Tools: Petra Krimphove/gm
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