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Zurückkehren oder bleiben? Die Lage der syrischen Flüchtlinge im Libanon bleibt verzweifelt

Eine Zeltsiedlung von oben fotografiert
Eine Zeltsiedlung in Saadnayel im Ostlibanon, aufgenommen im Frühling 2019. Jahre später sind die Lebensumstände immer noch gleich. Keystone / AP

Über eine Million Syrer:innen leben im Libanon. Viele syrische Kinder kennen nur das Leben in ärmlichen Zeltlagern. Nach dem Sturz des Assad-Regimes kehren manche zurück, während wieder Zehntausende flüchten.

In der stark zersplitterten libanesischen Politik gibt es wenig, worauf sich alle Parteien einigen können. Eine Forderung ertönt jedoch über alle Gräben hinweg: Die syrischen Flüchtlinge müssen weg.

Noch immer leben gemäss UNHCR-SchätzungenExterner Link über 1,1 Millionen Syrer:innen im Libanon. Das ist etwa ein Sechstel der Bevölkerung des kleinen Staates. Damit hat der Libanon die höchste Flüchtlingsquote weltweit.

Nach dem Sturz des syrischen Assad-Regimes 2024 hofften im Libanon viele – Einheimische wie Geflüchtete – dass eine Rückkehr möglich werden würde. Doch die Situation bleibt kompliziert.

«In Syrien gibt es nichts für uns», sagt Hannah Djasem. Die Vierzigjährige wartet mit anderen Frauen auf das Unterrichtsende, um ihren Sohn Omar abzuholen. Vor 14 Jahren floh sie mit ihrer Familie aus Idlib nach Libanon, seither wohnen sie in einem informellen Zeltlager im Ort Saadnayel in der ostlibanesischen Bekaa-Ebene. Nahe der Grenze zu Syrien, nur geduldet vom libanesischen Staat, ohne Perspektiven und unter zunehmend schwierigeren Bedingungen.

Eine Mutter mit ihrem Sohn
Hannah Djasem und ihr Sohn Omar. Giannis Mavris / SWI swissinfo.ch

Djasems Sohn Omar besucht den Unterricht im Center von Salam, einer NGO, die sich für syrische Flüchtlingskinder einsetzt. Über 260 Kinder besuchen hier die Grundschule und Freizeitaktivitäten. Für die Eltern bietet Salam psychosoziale Unterstützung. Auch Kinder armer libanesischer Familien besuchen die Schule, weil sie sich zum Beispiel die Fahrtkosten zur Regelschule nicht leisten können.

Weitere 90 Kinder sind auf einer Warteliste, aber der Organisation fehlt Geld zur Beschäftigung weiterer Lehrpersonen. «Es ist wichtig, den Kindern neben Bildung auch Sicherheit und Normalität bieten zu können», sagt Islem Said von Salam.

Denn der Krieg zwischen Israel und dem Hisbollah 2024 führte auch in der Bekaa-Ebene zu Zerstörung und Vertreibungen, der Konflikt dauert an. Trotz dem Waffenstillstand zwischen Libanon und Israel vom November 2024 bleibt die Situation stark angespannt. Israel führt gegen die Hisbollah weiterhin häufig militärische Operationen im Libanon aus, vor allem im Süden des Landes und in der Bekaa-Ebene.

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Während des Besuchs in Saadnayel surren gut hörbar ständig israelische Drohnen am Himmel. «Diese Situation trägt zur anhaltenden Belastung der Kinder bei», so Islem Said.

Die Schweiz ist mit vielfältigen Hilfsangeboten in Libanon präsent, die Schweizerische Botschaft in Beirut ist auch für diplomatische Beziehungen zu Syrien zuständig. In Libanon sind sowohl die Schweizer Entwicklungsagentur Deza wie auch zahlreiche NGOs tätig.

Die im Artikel erwähnten Projekte werden von der lokalen Organisation Salam – Lebanese Association for Development and CommunicationExterner Link umgesetzt, die die ausführende Partnerin der Schweizer NGO Terre des hommes Externer Linkist.

Vom 13.-20. Dezember organisiert die Spendensammelorganisation Glückskette eine SolidaritätswocheExterner Link. Mit den gesammelten Spenden werden Projekte zum Schutz von Kindern vor Gewalt und Missbrauch finanziert – unter anderem die hier beschriebenen Projekte.

Die Glückskette ist eine Stiftung, die Spenden für Menschen in Not sammelt, und der humanitäre Arm der SRG, zu der auch Swissinfo gehört.

Die UNO-Kürzungen wirken sich auf die Flüchtlinge aus

Dass syrische Kinder im Libanon überhaupt eine Schulbildung kriegen, ist keine Selbstverständlichkeit – nur die Hälfte der etwa 500’000 Flüchtlingen im Schulalter kann in die Schule. Praktisch der gesamte Flüchtlingssektor im Libanon ist von ausländischen Geldern abhängig, die laufend weniger werden.

Die jüngste Geschichte des Libanon wirkt sich auch auf die Flüchtlinge aus. Eine massive Wirtschaftskrise 2019 halbierte das Bruttoinlandsprodukt, viele Libanes:innen verarmten. Die Covid-Pandemie, die Hafen-Explosion in Beirut 2020, ein politischer Stillstand und der Krieg 2024 haben dies verschlimmert.

Die Wirtschaftslage im Libanon ist also schwierig – und weltweit werden Budgets zur Auslandhilfe zusammengestrichen. Früher kriegte Hanna Djasem noch einen Zustupf vom UNHCR von 140 US-Dollar, sagt sie. «Das war zwar nicht viel, aber es half, die Miete für das Zelt zu bezahlen.» Vor einigen Monaten wurde das gestrichen.  Zwei ihrer Kinder im Teenageralter haben die Schule abgebrochen und arbeiten nun. Genauso wie ihr Mann, zwei ältere Kinder und auch sie gelegentlich, wenn es denn Arbeit gibt.

«Alle arbeiten, aber wir kommen nirgends hin», sagt Djasem. Syrer:innen sind auf dem libanesischen Arbeitsmarkt rigiden Einschränkungen unterworfen: Sie dürfen nur in der Landwirtschaft, auf dem Bau und als Reinigungskräfte arbeiten. Das Lohnniveau ist tief, Vorurteile gegenüber Syrer:innen sind tief verwurzelt.

In der gleichen Lage wie die Familie von Djasem sind Hunderttausende Flüchtlinge, die oft nur die Wahl zwischen einem Leben in bitterer Armut diesseits oder jenseits der Grenze haben. Nach dem Sturz der Assad-Diktatur kehrten zwar gemäss Schätzungen über 200’000 Menschen zurück. Es kamen jedoch 100’000 neu Geflüchtete an, vor allem religiöse Minderheiten, die sich vom neuen Regime der islamistischen Miliz HTS fürchten. Und von jenen, die nach Hause gingen, kehrten manche erneut in den Libanon zurück – sie fanden im befreiten Syrien keine Möglichkeit zu überleben.

Die Zeit läuft davon

Der Libanon hat parallel dazu den Druck erhöht, damit die Syrer:innen in ihre Heimat zurückkehren. Trotzdem ist sich die Regierung bewusst, dass Syrer:innen im Libanon Diskriminierung erleben.

«Es gibt Rassismus gegen die Syrer in diesem Land, das ist klar», sagt der Vize-Premierminister Tarek Mitri, der sich für den interreligiösen Dialog im multikonfessionellen Staat einsetzt. «Aber die Flüchtlinge werden vor allem von politischen Parteien in demagogischer Weise instrumentalisiert», sagt der Vertreter der Reformregierung, die zurzeit das Land führt. Sie seien keine Gefahr für den Libanon.

Tarek Mitri
Tarek Mitri, Vize-Premierminister des Libanon. Giannis Mavris / SWI swissinfo.ch

 «Wir hatten mit Syrien seit Jahrzehnten keine richtigen diplomatischen Beziehungen. Die bauen wir jetzt erst auf», sagt Mitri. Ein zentraler Punkt sei dabei natürlich, was mit den Flüchtlingen passiere.

Trotz ihrer schwierigen Lage versucht die Familie von Hanna Djasem so gut es geht Geld auf die Seite zu legen. Um das zerstörte Haus in der Heimat wiederaufzubauen, sagt sie, «damit wir zurückkehren und in Würde leben können».

Editiert von Benjamin von Wyl

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